Salam ya Amman
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Downtown Jungle

Veröffentlicht: 01.10.2019

Montag, 30. September

6:30 am. Als ich heute morgen im Treppenhaus unseres Hotels an meinem Reisebericht schreibe, kann ich die Lage unseres Hotels nicht verleugnen: von außen ist ein enormer Lärmpegel zu hören. Autos die beschleunigen, bremsen, und hupen. Vor allem hupen. Zum Glück habe ich nachts einen tiefen Schlaf, sonst müsste ich mir wohl auch bis zum Trommelfell Ohropax in die Ohren schieben, wie Rebecca es macht. Rebecca leistet mir ein wenig später Gesellschaft und wir setzen uns in den Frühstücksbereich.

Frühstück gibt es hier auf Bestellung, und wir bekommen frisches Brot, Marmelade, Labaneh, Hummus, Omelette, Käse und Gemüse serviert. Alles sehr frisch und sehr lecker. Wir nehmen uns danach Zeit zum Entspannen und Duschen und schlendern um die Mittagszeit dann zum römischen Theater. Es stammt vermutlich aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. und befindet sich direkt auf der anderen Straßenseite von unserem Hotel. Mit dem Jordan Pass, den wir noch aus der Summer School haben, müssen wir keinen Eintritt zahlen und schauen dann von der Theaterbühne aus hoch in die Ränge. Es ist sehr eindrucksvoll und viel größer, als es von der Straße aus wirkt. Die Steintreppen nach oben sind steil und glatt, und wir tasten uns vorsichtig Schritt für Schritt voran, bis wir dann ganz oben sitzend auf Theater und Amman hinunterblicken. Ein Traum.

Als ich mich mit meiner Kamera ein paar Meter von Rebecca entferne, sehe ich, wie ein Mann mit seinem Handy auf sie zugeht. „Sura“, höre ich ihn auf sein Handy deutend sagen. Ich weiß, dass das „Foto“ bedeutet und rufe es Rebecca zu. Es stellt sich dann heraus, dass er nicht möchte, dass Rebecca ein Foto von ihm macht, wie wir es vermuten. Er möchte ein Selfie mit ihr zusammen machen. Natürlich kann ich nicht genau wissen, was ihn dazu bewegt. Ich glaube aber, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich vermute, dass es etwas mit ihren Haaren zu tun hat. Rebeccas extrem helle Haare erregen hier immer wieder Aufmerksamkeit. Vermutlich liegt das daran, dass viele Menschen hier dunkle Haare haben, und man immer das haben möchte, was man gerade nicht hat.

Wir machen uns wieder auf den Abstieg und suchen ein Café für eine Kaffeepause auf. Direkt an der vielbefahrenen Hauptstraße finden wir eins, das Getränke und Shisha serviert, und einen unheimlich gemütlichen Außenbereich hat, der nicht zur Straße führt. Die Stille hier ist wirklich wohltuend und wir entspannen dort so lange, bis uns der Hunger wieder auf die Straße treibt. An einem kleinen Imbiss besorgen wir uns ein Sandwich und beschließen, es vor unserem Hotel zu essen. Der kleine Platz dort, mitten zwischen den beiden Hauptstraßen, hat für Rebecca und mich etwas Faszinierendes. Zu jeder Tageszeit halten sich dort zwischen den Geschäften Menschen auf. Ladenbesitzer, deren Freunde, Passanten, Kinder. Alles locals, die dort stehen, sitzen, sich unterhalten, oder stumm die Umgebung beobachten. Aus einem der Geschäfte kommt arabische Musik, die die Szenerie sehr passend untermalt. Wirklich alles hier wirkt sehr authentisch.

Wir entspannen uns auch hier ein bisschen, bis Rebecca dann die restliche Zeit vor unserer Vorlesung mit einer Serie verbringt, während ich mich auf der Dachterrasse ein wenig mit arabisch beschäftige. Mir fällt fast schon gar nicht mehr auf, dass im Hintergrund irgendwann das ‘Asr erklingt, eines der fünf täglichen Pflichtgebete im Islam. Immer zur Morgendämmerung, am Mittag, Nachmittag, zum Sonnenuntergang und am Abend ertönen für etwa eine halbe Stunde die betenden Gesänge aus den Moscheen. „They are not singing. They are praying!“, hat uns Noor immer gerügt, wenn wir auf die Klänge reagiert haben, die für uns wie arabische Choralgesänge klingen. Ich habe mich mittlerweile schon daran gewöhnt, und die Gebete als unentbehrlichen Teil des Amman-Alltags in meine Erinnerung abgespeichert.

Ein bisschen früher als nötig brechen wir dann zu unserer Vorlesung auf, um davor noch einmal über den Markt zu gehen, den wir gestern entdeckt haben. Wie auch gestern schon tauchen wir mit Einbiegen in die kleine Marktgasse in eine andere Welt ein. Die Stimmen, mit denen die Verkäufer hier ihre Produkte anpreisen, schallen laut und melodisch über Gemüse und Obst hinweg, und wenn ich es nicht besser wüsste, wäre ich mir sicher, dass sie ein Megaphon benutzen. Die Aufmerksamkeit, die wir durch unser „westliches“ Erscheinungsbild hier von allen bekommen, ist nicht aufdringlich oder unangenehm. Die Menschen wirken einfach neugierig und interessiert, und lassen uns stolz von ihren Produkten probieren. In einem Mix aus arabisch und englisch kaufen wir Äpfel, Bananen und geröstete Nüsse ein und gehen dann mit unserem Pausensnack weiter Richtung Uni.

„Ich fühle mich ein bisschen unwohl“, sagt Rebecca, als wir die Marktgasse verlassen. Rebecca hat heute ihre Sportleggins an, rein aus Bequemlichkeitsgründen. Wir bekommen jetzt allerdings zu spüren, warum Adib mir davon abgeraten hat, hier in Downtown joggen zu gehen. Vielmehr bekommt Rebecca es zu spüren. Ich bin nur Zeugin davon, welche Blicke sie kassiert. Von allen Männern, die an uns vorbeigehen, am Straßenrand stehen, oder ihre Köpfe aus vorbeifahrenden Autos strecken und Rebeccas Beine so lange anstarren, bis sie außer Sichtweite ist. Ganz ohne Hemmungen. Da wir schon zu weit von unserem Hotel und damit von einer Umkleidemöglichkeit entfernt sind, bleibt Rebecca jedoch nichts anderes übrig, als den Dschungel zu ertragen, bis die Straßen weiter oben immer leerer werden, je näher wir der GJU kommen. Diese Erfahrung wird Rebecca definitiv kein zweites Mal machen.

Die Vorlesung, die wir heute haben, ist Research bei Dr. Rawan. Wir haben sie schon in Würzburg kennengelernt, wo sie zwischendurch einmal an der FH zu Besuch war. Sie hat damals schon einen sympathischen und kompetenten Eindruck gemacht, was sich jetzt noch einmal bestätigt. Wie auch gestern stellen sich alle kurz vor, sie hört interessiert zu, und kann sich am Ende der Vorstellungsrunde sogar noch an alle Namen erinnern. „Your lovely characters are going to add value to our classes.”, sagt sie. Wir werden in ihrem Kurs Forschungsprojekte im machen und Research Proposals schreiben, in Gruppenarbeit, worauf ich mich wirklich schon sehr freue.

Nach der Vorlesung bindet sich Rebecca ihren Schal um die Hüfte (besser als nichts), und wir spazieren zurück Richtung Downtown. Wir nehmen uns auf dem Rückweg noch ein Sandwich auf die Hand, aus einem Laden, den Adib uns empfohlen hat. Für einen halben Dinar bekommen wir hier ein leckeres Halloumi-Oliven-Sandwich und werden super nett bedient. Auf Adibs Empfehlungen kann man sich einfach immer verlassen.

Es wartet jetzt noch ein kleines Abendprogramm auf uns: zufällig ist eine Freundin von Rebecca gerade mit ihrem Freund im Rahmen einer Jordanien-Rundreise in Amman, und wir treffen die beiden in der gleichen Shisha-Bar, in der wir heute Mittag schon Kaffee getrunken haben. Die Kellner kennen uns noch, sind super freundlich, und wir bekommen zu unserer Shisha kostenlos verboten leckere Baklava und gesalzene Lupinen gereicht, während wir auf dem Balkon zur Straßenseite direkt gegenüber vom römischen Theater sitzen. Hier werden wir ganz sicher öfter noch vorbeikommen.


Die Vokabeln:

Apfel - تفاحة

Banane- موز

achso- ايوه

Freund- رفيق

Lupinen- ترمس

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