Veröffentlicht: 11.12.2021
Es kam letztlich doch wieder ganz anders. Kurz nachdem ich mich entschieden hatte, die chinesisch-australische Familie auf Teneriffa aufzusuchen, bekam ich noch eine weitere Rückmeldung einer gewissen Reda, die ihrem Bild zufolge eine segelnde Dame mittleren Alters mit Sonnenbrille zu sein scheint.
Um diese Möglichkeit noch in Betracht zu ziehen, entschloß ich mich noch am selben Abend wieder runter nach Las Palmas zu fahren, um sie und den Skipper zu treffen.
Etwa zeitgleich wies mich Amy im Telegramm-Stil an, nicht zu kommen, da sich die Pläne geändert hätten und ich noch diese Nacht Bescheid bekommen sollte.
Ich war etwas irritiert, aber wollte erstmal abwarten, was da noch kommen sollte. Innerlich erwog ich aber direkt, dass es nicht klappen sollte, was wiederum das Treffen mit Reda in seiner möglichen Bedeutsamkeit ansteigen ließ.
Ich verabredete mich mit ihr in der Sailors Bar an der Marina. Ich traf neben ihr auch einen braungebrannten Briten fortgeschritten Alters an. Hager, jedoch robust wirkend. Von seiner Eindringlichkeit zu sprechen und seinem Gesicht bin ich an Captain Barbossa aus Fluch der Karibik erinnert. Ernsthaft, doch viele Lachfalten. Er ist klar in dem, was er will. Strukturiert stellt er seine Fragen. Er wird es sein, mit dem ich alleine nach Antigua segeln würde. Reda, seine Frau, sowie ihre Tochter wollten eigentlich mit ihm gemeinsam den Atlantik überqueren. Doch nun ist ihre litauische Mutter erkrankt und schon seit zwei Jahren nicht besucht worden. Das heißt, sie werden nach Litauen über Weihnachten sein und Chris, der Skipper, solle nicht allein drei Wochen unterwegs sein. Auch wenn er das ganz selbstbewusst ebenfalls allein die Reise auf sich nehmen würde. Aber es müsse ja nicht unbedingt sein und er schätze Gesellschaft. Er will mehr jemanden auf den er sich verlassen kann, und der im Zweifel fragt, als jemanden, der schon viele Erfahrungen hat und dann sein eigenes Ding macht. Chris fährt bereits seit 37 Jahren zur See, doch den Atlantik habe er noch nie überquert. Mit Pathos schildert er, wie einst auch Kolumbus und Humboldt diese Reiseroute auf ihren historischen Meilensteinen wählten. Allgemein scheint es Chris zu mögen viel zu erklären: die Geschichte der Schiffsfahrt, wie die Situation mit der Einreise in Antigua sei, welche Vorkehrungen ich treffen sollte, wie er durch den Brexit in seiner Reisefreiheit eingeschränkt sei...
Er zeigt auch Interesse an meinem Leben und begeistert sich zum Beispiel für das Potential der Zirkuspädagogik.
Seine Frau, Reda, scheint sich zu freuen, in der Hoffnung mit mir jemanden gefunden zu haben, der gut mit ihrem Partner auskommt und ein Auge auf ihn hat. Auch Chris betont, wie gut ich mich präsentierte habe. Meiner Ansicht nach eher zurückhaltend. Als wir uns verabschieden, bin ich zufrieden diese Möglichkeit noch im Petto zu haben. Ganz überzeugt fühlt es sich jedoch auch nicht an. Trotzdem sag ich dem Angebot am nächsten Vormittag auf einen Kaffee zum Boot zu kommen zu. Je mehr Eindrücke ich bekomme, desto differenzierter ist mein Bild und meine Entscheidung eventuell fundierter getroffen.
Ich hab ganz vergessen auf die Uhr zu schauen, verpasse den eigentlich letzten Bus und warte daher bis halb 1 am Busbahnhof, um zurück in die Berge zu fahren. Aber ich telefoniere mit Merlin und fühle mich somit in bester Gesellschaft.
Am nächsten Morgen (7.12.) packe ich nach einer Yogarunde mit Blick in die Berge meine Sachen zusammen. Ich werde heute das. Camino Art Hostel verlassen. Es wurde mir ein Ort, an dem ich mich geborgen fühlen und zur Ruhe kommen konnte. Die Menschen hier und die Atmosphäre werd ich wohl noch gut in Erinnerung behalten.
Dann setze ich mich wieder einmal in den Bus den Berg hinunter und sinniere über meine Möglichkeiten weiter zu machen. Noch immer hab ich keine Rückmeldung von Amy & Chang erhalten und hake daher nochmal nach. Chris war nett, aber war in seiner Redemanier ganz schön dominant. Sowohl mich als auch Reda wurden öfter unterbrochen, was mich zweifelnd zurücklässt. Auf der anderen Seite würde ich bestimmt viel lernen, wenn wir nur zu zweit sind. Die Erfahrung über den Atlantik zu segeln würde mich noch mehr betreffen, als wenn wir zu fünft auf dem Boot sind. Außerdem wär ich einfach auch schneller wieder unterwegs und würde nicht wieder in diesen Raum der Ungewissheit kommen. Meine Zeitplanung würde sich freuen.
Doch dann kommen mir nochmal Rene, Joline und die Kinder in den Sinn. Wenn ich nach meinem Bauchgefühl entscheiden würde, dann führ ich mit ihnen. Plötzlich erscheint mir diese Vorgehensweise so richtig. Auch wenn meine ganzen Bedenken und Vorhaben in Bezug auf den Sinn meiner Reise dagegen sprechen - die Selbstbestimmung und Autonomie, jederzeit gehen und bleiben zu können, wie es sich richtig für mich anfühlt. Aus einem Impuls heraus schreibe ich René eine Nachricht. Ich mache die Möglichkeit auf, doch mit ihnen zu fahren und betone meinen Wunsch auch freie Stunden zu haben. Ich möchte keine Full-Time-Nanny sein.
Die Antwort kommt schnell. Sie hatten gehofft, dass ich mich nochmal melde und meinen, dass ich auf jeden Fall ein, zwei Tage die Woche mein eigenes Ding machen kann. Jeder solle seinen Spaß haben.
Im ersten Moment bin ich überrascht und freue mich. Dann kommt ein Engegefühl. Ich überlege, wie ich von Französisch Guyana nach Kolumbien komme und merke, dass es weit ist und viel Dschungel dazwischen liegt. Fliegen wäre die einzige Möglichkeit, wenn ich nicht erst im März in Kolumbien ankomme möchte.
Ich bin total verwirrt. Ich weiß nicht, was ich will. Zeitig vorankommen, entspannt sein, mit Menschen fahren mit denen ich mich wohl fühle, loslassen können, wenn es nicht so ist. Ich steige aus dem Bus an der Marina und weiß nicht, was ich René antworten soll. Und ob ich jetzt weiter zu Chris zum zweiten, eventuell verbindlichen Treffen soll.
Ich setze mich auf eine Bank zwischen der Straße und dem Hafenstrand und esse ein paar der Eier, die ich mir noch am morgen gekocht im Hostel gekocht habe. Es füllt irgendwas in mir und beruhigt mich etwas.
Dann gehe ich zu Ponton K in der Marina von Las Palmas. Chris öffnet mir das Tor und wir schlendern den Steg entlang der ganzen Segelboote bis zur Amarylis - eine Sun Fizz Jeanneau mit einer Länge von 12,30 Meter. Chris hilft mir aufs Boot und wir setzen uns für einen Moment auf die gegenüberliegenden Bänke um das „Cockpit“ herum. Hier wird gesteuert und Ausschau gehalten. Chris zeigt mir die verschiedenen Autopiloten, die sich von der aktuellen Windrichtung bis hin zu den Koordinaten unterschiedlich orientieren. Dann demonstriert er mir noch auf dem Deck verschiedene Segel und erklärt mir die Sicherheitsvorkehrungen. Beispielsweise gibt es einen Gurt an den Rettungswesten, den wir auf Deck tragen werden, und mit dem wir uns an einem Gurt am Boot befestigen können.
Bevor wir zu Reda und ihrer Tochter Monika nach unten in den Bauch des Schiffes gehen, sitzen wir noch eine ganze Weile draußen, werden von Monika mit Schwarzen Tee mit Milch und Keksen versorgt und reden über die geplante Überfahrt. Chris meint, sobald ich auf das Boot ziehe, werde es unser Boot. Er gesteht mir viel Mitsprache und Teilnahme zu. Das gefällt mir. Drinnen geht die Führung über die Kabinen, Stauräume, den schwankenden Ofen, das Wasser- und Stromsystem und vieles mehr weiter. Ich fühle mich schließlich nach vier Stunden auf dem Boot ganz schön voll. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen mit Chris gemeinsam zu reisen und sage ihm zu. Insgeheim behalt ich mir allerdings noch immer die Möglichkeit absagen zu können. Wir würden am Samstag losfahren. Ab Freitag früh werd ich wohl aufs Boot ziehen. Wir werden einkaufen, alles verstauen und das Boot vorbereiten.
Ich gehe nun erstmal in Richtung Innenstadt von Las Palmas. Dort soll es ein cooles Hostel geben. Online hab ich in Las Palmas gar nichts mehr erschwingliches gefunden, weshalb ich mich zum angesagten LuaLuaHostel begebe. Leider sind sie bereits ausgebucht, aber ich bekomme die Adresse von ein paar Alternativen. Dann fällt mir der Ort ein, wo ich morgen zum Ecstatic Dance gehen möchte. Einer aus dem Camino Art Hostel erzählte mir davon und ich hab mich gleich angemeldet. Es findet im Hostel Soledad Big Waves statt - einem Bilderbuch-Surfhostel etwas westlich von Las Palmas. Ich erreiche Nici, die Managerin des Hostels, telefonisch und kann ganz spontan für zwei bis drei Tage bleiben. Sie spricht deutsch, so auch beinah jeder andere in diesem Hostel, wie sich später herausstellen sollte. Doch bis zu meiner Ankunft habe ich noch zwei Stunden, weil Nici jetzt erstmal zur gemeinschaftlichen Meditation geht und mich erst danach einchecken kann.
Mir kommt das super gelegen, weil sich mir dadurch ein Fenster erschließt, durch das ich ins Meer springen kann. Ich laufe zum Playa de Canteras auf der anderen Seite der Stadt. Hier war ich noch nie und im Gegensatz zum Strand an der Marina, wo das “Meer” still steht und so weit das Auge reicht, Boote auf Anker liegen, ist der Ozean hier lebendig und natürlich Es gibt ein Riff und ich schwimme im Dunklen hindurch. Lasse mich mit geschlossenen Augen vom Salzwasser tragen.
Draußen am Strand bewege ich mich noch ganz wild herum, sodass die Menschen oben an der Promenade schon anfangen stehen zu bleiben und zuzuschauen. Ich mach weiter, bis ich ganz ausgepowert bin und mich dann auf den Weg auf die Suche nach dem richtigen Bus nach El Pagador, wo sich das Surfhostel befindet.
Die Menschen dort sind alle ganz nett und interessiert und sportlich und cool. Und deutsch. Ich verweile gar nicht so lange im Gemeinschaftsraum mit den hohen Wänden mit offenem Backstein, der Chillecke mit den antiken Sitzgelegenheiten und den ganzen Surfbrettern, die aufgereiht an der Wand stehen. Ich bin ganz müde und brauche Ruhe.
Am nächsten Tag (8.12.) schlafe ich aus und entscheide mich spontan am täglichen Surfunterricht teilzunehmen. Wir sind sechs Schüler*innen und zwei Lehrer und fahren mit dem Auto zum Playa de la Laja. Es macht Spaß und ich hab zwischendrin sogar einen richtigen Lauf. Dann fahren wir zurück und ich erhol mich noch kurz, bevor der Ecstatic Dance auf der Dachterrasse beginnt.
Für die Tanzeinlage kommt sogar DJ Javi, der in der Manier der Ritmos del Sur die Stimmung beeinflusst. Der Aufbau seines Sets entspricht ganz der klassischen Dramaturgie eines Theaterstücks. Wir sind etwa 15 Menschen und obwohl wir alle Kopfhörer tragen, entwickelt sich über die Zeit eine gemeinsame Energie, in der ich mich sehr frei und kraftvoll fühle.
Jetzt kürz ich den Rest etwas ab, weil ich mich schon auf dem Schiff auf dem Weg nach Antigua befinde und nicht weiß, wie lange mein Verbindung reicht.
Ich hab den Tag danach nochmal ganz unverplant und treffe mich mit Marietta, einer Hostel-Bekanntschaft aus dem Camino Art Hostel in Agaete, weil es dort natürlich entstandene Pools geben soll. Obwohl es recht frisch ist gehen wir baden. Ich bekomme noch ein Angebot von einem Wolfgang, mit ihm und zwei weiteren Frauen von Teneriffa aus loszusegeln. Direkt Skypen wir kurz. Es ist nett, aber auch sehr knapp angebunden und ich merke nicht besonders viel Interesse. Mit Marietta sondiere ich nochmal die Lage.
Chang & Amy haben mir in der Zwischenzeit abgesagt, weil das Schiff einen Unfall hatte und erst repariert werden muss. Amy scheint ganz verängstigt und für mich scheidet diese Situation erstmal aus.
René & Joline sage, nach dem Treffen bei Chris ab. Es fühlt sich nicht nach meiner eigentlichen Mission an.
Peter & Irene werd ich noch absagen, weil sie noch lang im Hafen sein werden und ich nicht erst so spät in der Karibik sein möchte.
Marietta fragt mich, wie es wäre wenn Wolfgang und Co mir absagten. Ich merke, dass es voll okay für mich wäre.
So bleibt Christopher May übrig. Ich entschließe mich mit ihm zu fahren. Es bleibt ein Teil eines mulmigen Gefühls. Aber ich sehe es als Herausforderungen mich von seinen ausschweifenden Erzählungen nicht zu sehr einnehmen zu lassen. Und vielleicht, bin ich nach meiner ersten Erfahrung auch besonders sensibel. Ansonsten seh ich viel Potenzial: ich kann auf dem Boot Sport machen (Chris ist ehemaliger professioneller Skifahrer und Kajaker), ich werde in Entscheidungen, z.B. In Bezug auf den Einkauf einbezogen, er will mich wirklich dabei haben und die Abfahrt wird nicht lange auf sich warten lassen. Ich Male mir viel Bei-Mir-Sein auf dem Ozean und Ruhe aus.
Am Freitag ziehe ich also auf die Amaryllis. Chris ist etwas traurig, weil seine Partnerin Reda am Morgen abgefahren ist. Wir kaufen gemeinsam ein, verstauen alles und essen gemeinsam zu Abend.
Dann gehen wir noch in die Sailors Bar. Dort gibt es Wifi und ich kann mir die Iridium App herunterladen. Ich werd also auch unterwegs eine Internetverbindung von 5 KB pro Sekunde haben. Über die App reicht das um SMS zu verschicken.
Unter dieser Seite kann ich zu wichtigen Anlässen erreicht werden.
https://www.predictwind.com/iridium-free-sms/
Die Nummer lautet:
881651442967.
Wenn ich eine SMS schreiben sollte, antworte NICHT direkt als SMS, sondern über die Webseite. Es wird sonst wohl sehr teuer.
Außerdem kann man unsere Route live mitverfolgen:
https://forecast.predictwind.com/tracking/display/SV_Amaryllis/
Am Samstag, den 11.12.2021, um 10.30 Uhr legen Chris und ich von Las Palmas ab mit dem Ziel Antigua ab. Wir werden wohl Schätzungsweise am 30.12.2021 ankommen. Aber natürlich sind Wind, Wetter und Wellen nicht bestimmbar und so beginnt hier das nächste Abenteuer.
Ich wünsche jetzt schonmal allen eine ganz besinnliche Weihnachtszeit! Bis bald :)