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Die Überfahrt: Gibraltar - Gran Canaria

Veröffentlicht: 01.12.2021


Es ist die erste Nacht für mich auf dem Atlantik in meiner Kajüte im Segelboot. Ich träume seltsam. Ich bin auf Land mit meiner Familie unterwegs und diese Wahrnehmung des Schaukelns in alle erdenklichen Richtungen ist auch jetzt noch da. Einige wenige würden diese Wahrnehmung wohl auch nach Schiffsreisen noch für immer behalten. Der Arzt hat wenig Hoffnung für mich und der ganze Traum ist durchzogen vom Schwindelgefühl.

Ich erwache um 6.00 Uhr morgens. Draußen ist es stockfinster. Cyril hat mich nicht geweckt. Um trotzdem noch etwas von der Nachtschicht des Watch Keepings mitzubekommen, ziehe ich mich schnell an und steige hinauf in den Aufenthaltsraum. Der Raum in der Mitte des Boots mit der eingebauten Küche, dem großen vom Mast durchbohrten Tisch mit der Sitzecke und der Fensterfront, die nach vorne und den Seiten auch von Innen eine freie Sicht auf den Ozean ermöglicht.

Als ich oben angekomme, begrüße ich die dort stehende Julia ganz motiviert. Der auf der Sitzbank liegende Massa gebietet mir mit einer Handbewegung ruhig zu bleiben. Er schlief wohl und ich hab ihn im Dunkeln gar nicht wahrgenommen.

Ich gehe nach oben auf die Brücke. Es ist kalt, aber aushaltbar. Ich trage eine Leggins unter meiner Hose, ein langes Unterhemd, zwei Pullover und eine Regenjacke. Massa kommt mir nach und wir sitzen kurz schweigsam nebeneinander. Die Motoren rauschen im Hintergrund. Ich möchte nach unten gehen, um mir einen Tee zu machen. Massa hatte bereits einen Schwarztee aufgesetzt, der nun lange durchgezogen ist und den ich trinke, weil er mir ihn anbot. Er schmeckt bitter.

Es beginnt nun, dass ich mehr Aufmerksamkeit brauche, um die Balance zu halten bei dem Wanken meines Untergrundes. Meine Magengegend wird mir bewusster und drückt etwas. Es fällt mir schwer tief zu atmen und ich fühle mich zunehmend etwas schwächer. Um 8.00 Uhr löst Cyril Massa ab und die Motoren werden jetzt das erste Mal ausgeschaltet. Massa wartete damit bis Cyril erwacht, damit dieser nicht gestört wird und sich sorgt. Cyril macht einen Kaffee und bietet mir auch eine Tasse an. Ich lehne nicht ab. Nach dem

Trinken des ersten Schluckes zieht es mich eilig nach unten. Ich übergebe mich vier mal in das WC. Danach geht es mir direkt besser. Ich sage erstmal nichts und versuche vorsichtig das verlorene Wasser wieder reinzutrinken.

Ich gehe wieder auf die Brücke nach oben. Die Frische Luft belebt mich. Ich lese und schaue gedankenlos auf das Meer. Zwischendrin dehne ich mich oder mache ein paar Liegestütz. Mittags versuche ich eine Banane mit Erdnussmus zu essen. Sie schafft es leider keine halbe Stunde und verlässt mich mit allem Wasser wieder auf dem selben Wege wie zuvor. Danach geht es wieder besser und ich esse auch bis zum Abend nichts. Ich schlafe nochmal und auf Cyrils Anraten esse ich reichlich von seiner etwas trockenen Pasta mit Hühnchen. Ich versuche unkompliziert zu sein. Es geht mir nun wirklich besser und ich habe mich etwas an die sich ständig ändernden Bedingungen akklimatisiert.

Cyril in der Küche

Um 18.00 geht die Sonne unter. Die Stunde davor ist besonders schön. Um 19.00 Uhr liege ich im Bett, da ich ab 0.00 Uhr, gemeinsam mit Julia, Cyril bei der vierstündigen Nachtschicht unterstützten werde. Wir bewegen uns mit etwa 7 kts, der Wind hat 27 kts, Wellen sind 2,5 Meter hoch.

Sonnenuntergang Samstag

Ich bin Pünktlich ab 0.00 Uhr am 28.11. auf der Matte. Es schaukelt immer noch ganz schön, der Wind rauscht mit über 30 kts. Ich gehe kurz nach draußen, hinten aufs Deck, und hocke etwas, während ich mich an der Reling festhalte. Cyril schnauzt mich an und fragt, ob ich verrückt sei. Das sei kein Ort Yoga zu machen. Er droht mir mich nicht weiter mitzunehmen und, dass ich mir jemanden anderen ab Gran Canaria suchen könne. Ich frage ihn, ob er besorgt ist, dass ich ins Wasser fallen könnte. Er stimmt mir wütend zu und meint er sei verantwortlich für mich. Ich erkläre ihm, dass ich aufpasse und mich gut festhalte. Später entschuldigt er sich für seinen Anfall und beruft sich auf die harte Manier der Seeleute. Sie seien nun mal so. Er schmunzelt. Der Rest der Schicht verläuft entspannt. Wir bleiben alle drinnen, weil es zu gefährlich sei, nach oben zu gehen. Nach der Schicht schlafe ich zwischen 4.00 und 7.30 Uhr. Dann weckt mich mein Wecker, denn ich habe noch das Bedürfnis mich zu waschen und möchte mich kurz abduschen. Es tut gut und klappt trotz des Schaukelns reibungslos . Die Wellen sind jetzt noch etwas höher aber bauen sich langsam und kontinuierlich auf, was alles etwas rhythmischer und Ausgleichsbewegungen berechnender macht.

Frisch und munter bin ich zur zweiten Schicht um 8.00 Uhr im Aufenthaltsraum. Cyril befiehlt mir meine Tür zu schließen und ist fragt, ob ich geduscht habe. Er ist fassungslos und schreit mich an, ob ich verrückt sei, bei so einem Wellengang zu duschen. Ich werde bezahlen, was ich zerstöre. Kein Mensch komme auf die Idee zu duschen. Ich Berufe mich auf mein Bedürfnis und meine Unkenntnis des Duschvebots während der Fahrt. Cyril hatte mir ja selbst die Dusche bei meiner Ankunft gezeigt und angeboten.

Ich frage ihn, ob er auch einen Kaffee möchte aber er verneint. Er könne schließlich warten. 20 Minuten darauf macht er sich dann selbst einen. Ich bekomme auch etwas und es scheint erstmal wieder friedlich.

Sonnenaufgang Sonntag 

Ich sitze über den Vormittag oben mit Julia und wir unterhalten uns über Covid, die Verantwortung des Individuums und der Politik sowie ihre Potenziale etwas zu bewegen oder auch nicht. Cyril erscheint, um uns zu ermahnen nicht zum Spaß hier zu sein und die Boote im Blick zu behalten. Wir pflichten ihm besänftigend bei.

Später möchte ich meinen Brokkoli kochen. Cyril schlägt vor ihn mit den Resten der Nudeln von gestern für ein Gratin zu verwenden. Ich finde die Idee gut. Ich habe den Eindruck zu etwas Gemeinschaftlichen beizutragen und das fällt mir hier gar nicht so leicht.

Den restlichen Nachmittag sitze ich oben und lese ganz friedlich, das einzige Buch, das ich dabei habe - How to change your mind: what the New Science of Psychedelics Teaches Us about consciousness, dying, addiction, depression and transcendence von Michael Pollan, einst ein Geburtstagsgeschenk von Magda. Jetzt ist Raum mich einzulassen auf unsere kulturelle und wissenschaftliche Geschichte im Umgang mit sowie seine persönliche Erforschung von psychedelischen Substanzen. Ich fühle mich sehr entspannt beim langsamen Lesen und verstehen. Zwischenzeitlich schaue ich in die Ferne und ich weiß nicht wie viel dabei Zeit vergeht. Irgendwann kommt Cyril entspannt zu mir und fragt wie es mir geht. - Großartig!Ich fühle mich beseelt und friedlich. Lange Zeit habe ich nicht mehr so viel gelesen und nichts getan. Er freut sich für mich. Am Nachmittag begleiten uns außerdem bestimmt für zwei Stunden eine Horde Delfine. Sie kommen immer wieder, springen synchron oder in Choreos vor dem Bug des Schiffes aus dem Wasser und unterhalten uns. Es scheint, als hätten sie Freude und eine Freude zu machen. Alle sind ganz entzückt und bestaunen das Spektakel.

Delfine eskortieren uns :)

Nach Sonnenuntergang gehe ich hinunter wieder in den Aufenthaltsraum. Alle schauen auf einem kleinen Bildschirm eine Serie auf Französisch. Sie spielt in Korea, wo Menschen für Geld an einem Spiel teilnehmen, das viele ihr Leben kostet wird. Ich höre die Brutalität nur und verabschiede mich in meine Kajüte. Dieses Mal haben wir alle alleine unsere Schicht. Meinen gehen von 20-22 und 6-8 Uhr.

Sonnenuntergang Sonntag

Nach dem Mittagessen heute haben wir drei Neulinge von Cyril eine Lektion in Segelkunde im Frontalunterrichtsstil erhalten. Er hat die alte Schule echt drauf. Zu viel denken ist nicht erwünscht - und zu wenig auch nicht! Wir lernten, welche Lichter wir in der Nacht wie interpretieren und welche Möglichkeiten es gibt einem Zusammenstoß zwischen Booten zu verhindern. Abends während der Zeit für mich kann ich Musik hören, meditieren, und mich dehnen. Auch meine Schicht verläuft sehr entspannt, weil ich alleine mehr das Gefühl habe mich frei bewegen zu können.

Watch Keeping in the night

Am 29.11. mache ich während meiner morgendlichen Schicht sogar ein kleines Workout. Danach bin ich trotzdem wieder etwas müde und lege mich nochmal bis 10.00 Uhr hin. Weil ich ich nach dem Erwachen Hunger habe, nehme ich ein paar der von mir extra gekauften Dinge, eine Gurke, drei Karotten, eine Avocado und eine Dose Fisch mit nach oben. Ich bereite mir einen Teller mit drei Scheiben Brot und setze mich an den Tisch an dem auch Cyril sitzt. Massa ist auch in der Küche und holt gerade eine Schale aus dem Schrank. Er will wohl bereits dabei anzufangen das Mittagessen zu bereiten.

Ich sitze gerade als Cyril mich plötzlich rethorisch fragt, ob ich das jetzt wirklich essen möchte. Er ist verärgert und schreit. Seine ohnehin stets vorhandenen Stirnfalten intensivieren sich und seine Augen werden kleiner. Massa fange doch gerade an zu kochen und Cyril wolle, dass alle zusammen zum Mittag essen. Ich erwidere, dass ich noch nichts gefrühstückt habe und zum Mittag natürlich trotzdem dabei bin. Es ginge, um Höflichkeit, was seine Mutter ihm beigebracht habe - meine wohl nicht. Ich mache ihn “fucking crazy”. Ich frage, ob er möchte, dass ich die Sachen wieder zurück tue und bis zum Mittag warte. Er verneint das. Ich solle machen, was ich wolle. Dann haut er erbost in sein Zimmer ab. Ich entscheide mich also zu essen. Massa steht unbeteiligt daneben. Auch er hat eine zerknirschte Stirn.

Als ich nach 20 Minuten fertig bin und gerade meine Sachen abspüle, kommt Cyril wieder hoch. Er ist jetzt wirklich auf 180 und schreit herum. So etwas habe er noch nicht erlebt, für wen ich ihn halte und was ich glaube, wer ich sei. Ich mache ihn verrückt und das sei kein verficktes Hotel. Er droht mir. “I’m a fucking pirate and I gonna kick off your ass off this boat. I’m the fucking captain and this is my boat and my rules!” Mein Bauch zieht sich zusammen, werde etwas zittrig und versuche ruhig zu bleiben. Ich antworte sozial erwünscht und möchte ihn besänftigen. Massa bedeutet mir mit einer Handbewegung nicht weiter auf ihn einzugehen. Ich lasse es also über mich ergehen bis er mit seinem Wutanfall fertig ist. Ich fühle mich kurz wie gelähmt. Dann nehme ich das Kehrblech aus der Schublade unter der Spüle und fege den Boden. Wohl um irgendwie nützlich zu sein und nicht nur im Raum herumzustehen. Vielleicht um zu demonstrieren, dass ich mich ums Gemeinwohl kümmere.

Dann gehe ich hoch auf die Brücke. Elia sitzt dort. Sie fragt, wie es mir ginge. Ich sage, ich sei traurig wütend und schildere ihr kurz, was passiert ist. Ich merke erst jetzt wie viel Angst ich eigentlich habe. Diese Situation von jemandem bedroht zu werden von dem ich mich im Gewissen Maß abhängig fühle, jemand der mir das Gefühl gibt, alles falsch zu machen, so sehr ich mich auch bemühe, wirft mich zurück in meine Vergangenheit. Es ist die Macht des anderen über mich, die mich hilflos werden lässt.

Ich starre aufs Meer. Ich könnte alles wegdrücken und so tun als wär nichts, aber entscheide mich dafür es zuzulassen. Ich denke, es ist ein seltsamer Zufall, dass ich mich in diese Situation manövriere, in der sich Dinge für mich wiederholen. Cyril löste so viel Angst in mir aus, wie ich sie in den letzten Jahren nur selten erlebt habe. Ich bin verzweifelt mit Cyril noch weiter in einem Boot zu sitzen.

Aber ich möchte Handlungsfähig bleiben und jetzt als Erwachsener Verantwortung für mich übernehmen. Deshalb frage ich Elia, ob sie mich in den Arm nehmen kann. Ich brauche Halt. Sie macht es gerne und schluchze und weine. Ein richtiger Film aus Erinnerungen und dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins gehen in mir ab. Ich wünschte mir so sehr nicht hier zu sein. Elia ist unterstützend und bestärkt mich. Cyril habe wirklich ein Problem mit Kommunikation.

Der ganzen Traurigkeit und Verzweiflung weicht eine Starre, als Cyril mit Massa nach oben kommt, um etwas am Ruder und dem Segel zu arrangieren. Erst bleibe ich sitzen, dann wird es eng und ich flüchte doch nach unten, weil ich es nicht aushalte so nah zu sein . Ich sitze auf meinem Bett und schreibe auf, was ich erlebt habe und noch im Innern erlebe.

Ich konnte richtig beobachten, wie ich die Angst und Traurigkeit wegdrücke, wenn ich mit Cyril im Kontakt bin. Wie schwer es mir fällt das zeigen. Ich glaube in diesem Moment nicht, dass für meine Befindlichkeiten Raum wäre und er Verständnis aufbringen könnte. Ich habe Angst, er könnte es noch als Vorwurf betrachten und komplett ausrasten und etwas tun, was auch er bereuen würde. In diesem Zustand der Angst, halte in vieles für möglich. Ich denke darüber nach das Rettungsboot zu bezahlen und alleine weiter davon zu rudern.

Dann werde ich von Elia gefragt, ob ich auch zum Essen komme. Ich komme, weil ich nicht noch einen Grund zur Aufregung geben möchte. Mir ist, als sei ich ein verdroschener Hund, der jetzt zu seinem Herrchen zurück soll. Ich fühle mich in meiner Würde verletzt. Machtlos und ausgeliefert. Funktionieren, um mich nicht noch weiter zu gefährden.

Nach dem Essen macht Cyril eine Ansprache an uns drei. Er wiederholt, dass er der Kapitän sei, dass es Regeln gebe. Er möchte die Dinge klarstellen, will eine soziales Miteinander (deswegen das gemeinsame Mittagessen) und dass wir uns beteiligen. Er sagt es nochmal, weil ich Arschloch mich nicht daran halte. Ich esse für zwei und nutze ihn aus. Er sei bereits sehr nice gewesen, weil er uns für 10€ am Tag mitfahren lässt. - Wir sollen uns schuldig fühlen und gleichzeitig dankbar sein, dass es uns so gut getroffen hat. - Julia meint, sie sei nicht einverstanden mit allem. Ich fühle mich etwas geschützt, aber schlucke selbst trotzdem viel herunter.

Dann komme ich doch noch zu Wort und kann den Sachverhalt klären.

Cyril wusste als einziger nicht, dass ich einen extra Einkauf machte von dem ich zehre, wenn ich für mich alleine esse. Er dachte, ich esse außerordentlich viel vom Gemeinschaftsgut. Er wird etwas sanfter. Ich gebe mich verständnisvoll, fast unterwürfig, um Frieden herzustellen. Ich bin erstmal erleichtert. Wortkarg scheint die Spannung erstmal gelockert. Gleichzeitig sehne ich unsere Ankunft auf Land und meine Freiheit herbei.

Am Nachmittag bin ich wieder viel oben auf der Brücke. Zum Abend hat Cyril mit geschnittener Salami, Käse und Brot aufgetischt. Ich mache noch ein bisschen Gurke, Sellerie und Humus dazu. Er möchte eine Flasche Wein öffnen und es fühlt sich fast etwas feierlich an. Der Wechsel geht mir fast zu schnell und der Schrecken sitzt mir noch irgendwo. Aber ich versuche erstmal mitzuschwimmen, weil die vermeintliche Gefahr vorüber ist und ich gerade nichts aufwühlen möchte.

Dann schauen wir alle zusammen diese brutale Serie. Es nicht meine Lieblingsart ein Gemeinschaftsgefühl zu kultivieren, aber es funktioniert trotzdem irgendwie.

Sonnenuntergang Montag

Später soll ich die Schicht zwischen 22.00 und 00.00 Uhr machen. Kurz bevor es losgeht, klopft Cyril an meine Tür und meint er übernimmt die Nacht. Der Wind drehe die ganze Zeit und er muss da sein, um schnell reagieren zu können. Er wirkt jetzt fast zahm.

Ich schlafe unruhig. Die Wellen schlagen regelmäßig gegen die Wand meiner Kajüte. Ich stehe heute am 30.11. um 7.00 Uhr auf. Massa ist der einzige der außer mir wach ist. Es wirkt alles viel entspannter als gestern.

Land in Sicht!

Und am Horizont endlich Land in Sicht! Isla de Alegranza, La Graciosa und groß Lanzarote erscheinen am sich langsam erhellenden, diesigen Horizont. Es sind noch 130 nautische Meilen, also etwa 20 Stunden bis wir auf Gran Canaria sind, aber es ist erleichternd zu wissen, dass es bald vorbei ist.

Sonnenaufgang Dienstag

Mit Cyril ist es jetzt entspannt, fast freundlich. Wir arbeiten nochmal das „Missverständnis“ auf. Er sei eben sehr passioniert und sage die Dinge deshalb direkt. Ich verstehe, dass es ihm nicht leicht fällt seine Bedürfnisse und Wünsche auf eine Art zu vermitteln, die ich als nicht autoritär bezeichnen würde und nicht in anderen das Gefühl der Erniedrigung auslöst. Er wünscht sich das nächste mal, dass ich ihm nach dem Einkauf, bevor wir aufs Boot gehen alles zeige, was ich gekauft habe und es zum Teilen für alle zur Verfügung stelle. Dieses nächste Mal wird es mit Cyril zwar nicht geben, aber für andere bin jetzt sensibilisiert, dass das als Betrug aufgefasst werden kann. Auch ziehe ich in Betracht, dass die Menge an Essen, die ich mir zugestehe, für andere als maßlos angesehen werden kann. Das werde ich wohl nicht immer verhindern können.

Wir reden dann noch weiter über Vipassana, was er neben seinem verbrauchenden Piratenleben seit ein paar Jahren für sich entdeckt hat und dann intensiv praktiziert. Er gehe alles 100% an. Deshalb sei auch der Transfer seines inneren Friedens während der mehreren Tage andauernden Meditationskurse auf sein restliches Leben, von meiner Seite fast unbemerkt, noch nicht so richtig realisiert. Sein Ziel ist es, sich ein eigenes Boot kaufen zu können und dann dort den Weg der Achtsamkeit mit dem Südseeleben verbinden zu können.

Dabei hat wohl jeder sein eigenes Tempo und seinen eigenen Weg und ich freue mich für ihn, dass er diese Facette des Daseins für sich entdeckt hat.

Cyril ärgert sich dann noch vor mir über die Mädels, die auch mal kochen sollten. Eigentlich war Elia für das Mittagessen heute verantwortlich, aber Cyril hat zwischendurch mit vom Vortrag übrig gebliebenen Kartoffeln einen Salat zubereitet. Schon wieder habe er etwas gemacht. Ich meine zu ihm, dass er auch wirklich schnell dabei ist, Dinge die gemacht werden können anzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Die Mädels haben da ja kaum eine Chance ihm zuvorgekommen. Er scheint das an zuerkennend und wirkt nachdenklich. Und ich erkenne auch hier ein Muster wieder.

In der Nähe der Inseln ist das Meer wieder viel ruhiger und so schippern wir gemütlich in Richtung Südwesten. Wir werden so langsam fahren, dass wir morgen früh in Las Palmas ankommen und direkt in die Marina können.

Ich sitze den Tag über in der Sonne und schreibe und lese. Es ist jetzt wärmer als noch gestern und ich sitze in kurzer Hose und T-Shirt auf der Brücke.

Irgendwie muss man sich ja mit der Situation arrangieren :)

Diese Tage waren sehr intensiv für mich. Ich bin froh nach dem ersten Tag keine Probleme mehr mit Seekrankheit mehr gehabt zu haben. Das ermöglicht mir, meine Reise in Richtung Amerika auch per Boot fortzusetzen. Bis zum Horizont nur Wasser zu sehen ist wohltuend und beruhigend für mich. Sonnenauf- und Untergänge sind schon einfach meine Lieblingsmomente am Tag. 

Gleichwohl möchte ich mir nun mehr Zeit nehmen zu prüfen, ob meine zukünftige Crew auch wirklich gut passt. Es soll eine Bereichernde Reise für mich sein und nicht nur eine aushaltbare.

Ich nehme mir vor in Gran Canaria erstmal ein paar Tage anzukommen und entspannt Dinge zu tun, die mir gut tun. Am Meer liegen, Baden, lesen, die Ringe aufhängen und turnen. Ich werde die Augen offen haben, aber die nächste Etappe mit mehr Ruhe angehen. 

Nun ist aber gut hier mit Sonnenuntergängen - Dienstag
Die Nacht ist ruhig. Ich wache um 00.00 Uhr für meine Schicht auf. Las palmas de Gran Canaria glitzert bereits deutlich am Horizont in der Dunkelheit. Massa ist auch auf den Beinen und zeigt mir ganz mitteilsam Methoden die eigene Position ohne GPS anhand des Kompasses und drei leuchtende Punkten am Festland zu bestimmen. Wir halten Ausschau nach Booten, was jetzt mit den Lichtern im Hintergrund nochmal besonders schwierig ist. Ich hab den Eindruck er ist nochmal richtig aufgetaut. 

Dann lege ich mich schlafen und hab schon Netz, um die Zeilen hier hochzuladen. 

Ich freu mich in ein paar Stunden schon  festen Boden unter den Füßen zu haben!

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