Da ich heute zu Apple möchte, ist der Tag leider nicht für einen schönen Auflug nach Lantau, Lamma oder den New Territories nutzbar. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Also zäume ich das Pferd heute mal von hinten auf und bastele Sightseeing darum herum. Der Wecker klingelt in aller Herrgottsfrühe, um 5.30 Uhr. Ich stehe so leise wie möglich auf, um Armelle nicht unnötig zu wecken, springe in die Anziehsachen und mache mich auf den Weg.
Mein Ziel ist der Kowloon-Park, auf dessen Plattform sich jeden Morgen die älteren und ganz alten Leutchen zum Thai-Chi treffen. Das finde ich so irre, dass ich mir das auf jeden Fall ansehen möchte. Zum Glück weiß ich ja inzwischen, dass der Park hinter Ladenzeilen und anderen Gebäuden versteckt ist. Auf der Plattform biegen sich bereits zahlreiche Omis und Opis zu der chinesischen Chillmusik, die aus einem vorsintflutlichen Rekorder scheppert. Zwei ältere Damen haben offensichtlich das Heft in der Hand. Sie stehen frontal vor den anderen und machen sehr einfache Energieübungen vor. Arme nach oben strecken und zur Seite. Ich setze mich auf den bepflanzten Mittelteil, lasse mich von der Musik tragen und schaue einfach zu. Chlorgeruch der benachbarten Schwimmbäder liegt in der Luft und das McDonaldszeichen blinkt völlig unsexy im Hintergrund. Aber das stört hier niemanden. Teilnehmer kommen und gehen, ganz nach Belieben. Geredet wird nicht viel, dazu ist es vielleicht auch noch zu früh am Morgen. Dennoch ist an den Gesten sichtbar, dass hier jeder jeden kennt und das vielleicht schon seit Jahren. Klasse, wie sie das so machen. Kein harter Workout, aber sicher gut, um mit mehr Beweglichkeit und Energie in den Tag zu starten. Ich genieße die Frische des Morgens, die von der aufgehenden Sonne vertrieben wird.
Als ich mich satt gesehen habe, mache ich mich auf den Rückweg und lasse mich mit der Kamera durch die noch leeren Straßen treiben. Um diese Zeit sieht dieser Stadtteil ganz anders aus. Nicht unbedingt schöner, aber eben anders.
Ich nutze die Zeit, um bei H&M neue Socken zu kaufen. Haha, H&M gibt es tatsächlich auch hier, aber gut versteckt in einer schicken riesigen Mall. Bei Starbucks gönne ich mir eine Kaffeepause und den Hong Kong Becher aus der Reihe „You Are Here“. Das Besondere an den bunten Bechern mit den Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Stadt ist, dass man sie nur vor Ort bekommt. Man muss also dort gewesen sein, um sie besitzen zu können. Ist vielleicht bescheuert, aber wenn ich mir an grauen Novembernachmittagen eine Kerze anzünde und einen heißen Kaffee eingieße, dann habe ich jedes Mal eine wunderbare Gedankenreise.