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Zwischen Queerfeminismus und Intersektionalität

Veröffentlicht: 16.03.2019

Im Zuge meines entwicklungspolitischen Dienstes muss ich auch hin und wieder mal einen Bericht abgeben. In meinem letzten Bericht  habe ich mich über meine subjektive Sichtweise zu Feminismus in den palästinensischen Autonomiegebieten auseinandergesetzt. Checkt das gerne ab : 

"ImMärz vergangenen Jahres habe ich mich im Bezug auf dasVorbereitungsseminar für meinen entwicklungspolitisches Auslandsjahrin Palästina mit dem Thema Feminismus im Westjordanland auseinandergesetzt. Bereits damals war es schwierig aussagekräftigeLiteratur der heutigen Zeit zu diesem Thema zu finden. Zwar gibt esviel Literatur zu intersektionellen Feminismus und islamischenFeminismus und im Bezug auf Israel auch viel Literatur zuzionistischen Feminismus aber wenig Literatur konkret im Bezug aufFeminismus in Palästinensischen Autonomiegebiet. 

Deshalbmöchte ich mich zunächst mit meinen persönlichen Begriff des intersektionellenFeminismus auseinandersetzen. Denn gerade als „weiße“ -privileligierte Frau mit deutschen Reisepass ist es etwas zynischüber Feminismus in Palästina, oder über andere Frauen* odergegebenfalls PoC – Frauen* zu schreiben und Schlüsse aus einer6-monatigen Auslandserfahrung zu ziehen. Aufgrund dessen, kann ichhöchstens von persönlichen Erlebnissen berichten und Definitionender jeweiligen Fachbegriffe bringen, jedoch wenig mit sachlicherFachliteratur zum speziellen Thema „Feminismus in Palästina“dienen.

Zunächstist es also vorab wichtig, den intersektionellen Feminismus zubeleuchten.

Sostehen in den ersten feministischen Reihen weltweit oftmals Frauen*,die bestimmte Privilegien gegenüber anderen Frauen* besitzen. Diesbedeutet metaphorisch zum Beispiel, dass eine weiße, gesunde Frau*mit guter Ausbildung möglicherweise weniger Diskriminierung erfahrenwird, als Frauen* auf die diese Kriterien nicht zutreffen.

Undauch wenn ich aufgrund von persönlichen Erfahrungen hier vor OrtDiskriminierung oftmals auf die patriarchalen gesellschaftlichenGegebenheiten reproduziere, erstreckt sich die Diskriminierung derFrau* auch in Palästina über ein weiteres Feld. Hier spielt dieHautfarbe eine Rolle, die Religion, ist die Frau* behindert, wie altist sie, ist sie chronisch krank, übergewichtig, arm, gehört sieder LGBTQ* Szene an. So kann sich in Palästina genauso wie in jedemanderen Teil unserer patriarchalen Welt, in einem einzelnen Menschendemnach mehrere Punkte potentieller Benachteiligung überschneiden.

Sobedeutet Sexismus auch hier, dass Menschen, auf Sterotypen reduziertwerden und aufgrund dieser gesellschaftlich benachteiligt werden. Sokann die Intersektionalität auch hier dazu beitragen, denFeminismus zu stärken. Sie ist ein Aufruf an jed*e Feminist*in sichselbst zu überprüfen. So muss auch ich mich immer wiederüberprüfen, bevor ich rasche Urteile ziehe. Ich muss mich fragen ,welche Privilegien habe ich und bin ich möglicherweise selbst einTeil der Unterdrückung? Dies gilt in den meisten Situationennatürlich gegenüber anderen Frauen*, die in noch prekärerenUmständen leben und demnach noch mehr gefährdet sind.

Undauch wenn ich über die Wichtigkeit des Intersektionellen Feminismusaufgeklärt bin. Auch wenn ich ihn mir selbst auf die Fahne schreibe.Auch wenn ich dazu Literatur verschlinge und ihn schon tausende Maleruntergepredigt habe, laufe ich Gefahr mit meinen Erfahrungen undpersönlichen Erlebnissen schnell unbewusst antimuslimischeRessentiments zu bedienen. Dennoch ist es für mich von Wichtigkeitzwar kein "White Feminism" zu betreiben, dennoch die Realität nichtauszuschließen. So ist es Realität, dass nicht nur islamischeVerbände in Deutschland, wie Ditib, IGMG, oder Atib, sondernnatürlich auch islamische Strukturen im Westjordenland selbst, durchihre islampolitische Agenda strukturell nationalistisch, frauen*- undqueerfeindlich und klar antisemitisch gefärbt sind.

Einweiteres Problem, dass mir ins Auge fällt, besteht darin, dass dasThema der Rolle der Frau* und Queerness im Westjordanland/ Palästinanicht nur im politischen Islam sondern flächendeckend eineLeerstelle darstellt. Es wird partout nicht behandelt als gäbe eskein patriarchales Problem. Als gäbe es keinen Sexismus gegenFrauen*. Als gäbe es keine strukturelle Feindlichkeit gegen LGBTQ*Personen im Westjordanland.

Wasaber traurige Realität in Israel wie auch in den palästinesischenAutonomie Gebieten ist, dass die Rate der Ermordeten arabischenFrauen* im Land von Jahr zu Jahr drastisch steigt. Die Gewaltwelle anv.a. Arabischen Frauen* hat einen traurigen Höhepunkt in den letztenMonaten erreicht. So wurden im Jahr 2018- 24 Fälle registriert inwelchem, Frauen* umgebracht worden sind und zwar ausschließlich vonihren Familienmitgliedern und Bekannten , mehr als die Hälfte derermordeten Frauen* waren arabischen Ursprungs. Das ist eine markanteSteigerung im Vergleich zu den Vorjahren. 2016 und 2017 wurdenjeweils 16 Frauen getötet, 2014 und 2015 jeweils 13.

DieMordrate in den nichtjüdischen Gemeinschaften Israels liegtsignifikant höher als in den jüdischen. Laut einem Bericht derKnesset vom Februar dieses Jahres kam es zwischen2014 und 2017 zu rund 100 Morden jährlich. 64 Prozent der Opferwaren Nichtjuden.

RandaSiniora vom Womans Centre for Legal Aid and Counselling beklagt zum Beispiel demnach nicht nur die Besetzung, sondern auch dieperverse "Kultur" der "Ehrenmorde" ebenso wie die derVertuschung. Die Dunkelziffer dürfte enorm hoch sein. Viele Morde anvergewaltigten Frauen*, die "Schande" über ihre Familie bringen,werden schlicht nie gemeldet. Die Cops in den Autonomiegebietenunternimmt wenig Anstrengungen, die Verbrechen aufzuklären.

InIsrael selbst hingegen ändert sich einiges. Neun arabischeGemeinden haben sich dem landesweiten Proteststreik gegen Gewalt anFrauen* im vergangen Dezember 2018 angeschlossen. Dies kann durchaus als Bewusstseinssprung gedeutet werden. Auch zu betrachten ist der Aspekt, dass Bildung und Beschäftigungsgradkontinuierlich zunehmen, ist die Geburtenrate in den letzten Jahrenabgefallen, von 4,3 im Jahr 2001 auf 3,1 pro Frau* im Jahr 2013. Über40 Prozent der Palästinenserinnen haben eine Arbeitsstelle. Das sindnoch immer nur halb so viele wie bei Jüdinnen, aber doch viele imVergleich zu den meisten arabischen Ländern. In Ägypten zumBeispiel liegt die Beschäftigungsrate für Frauen bei 23 Prozent. Dennoch darf auch bei der Nennung dieser Zahlen eine ökonomischeAusbeutung der Frauen* nicht vergessen werden.

Inmeiner persönlichen Einschätzung und Erfahrung kann ich vielesleider bestätigen. So kam es in der Westbank immer öfter zuEhrenmorden. Erst letzte Woche kam es zu einem brutalen Mord an einerFrau*. Vor allem palästinensische Männer*, welche ich mit Fragen zuden Morden konfrontiere, vertuschen das Problem der Gewalt anFrauen*. Eine Frage, nach der Gewalt an Frauen* im Westjordenland,wird zunächst als Angriff auf die Ehre der Männer* und derpalästinensischen Identität gesehen. Faktisch gibt es laut dencis-männlichen Einwohner selbst wohl keine Gewalt an Frauen*. Leiderbelegen Statistiken und offizielle Angaben genau das Gegenteil.

PersönlicheErfahrungen zeigen auch mir, welche Rolle die Frau* in derpalästinensichen Gesellschaft spielt. Sexismus und sexuelleÜbergriffe, Schuldzuweisungen gegenüber meinem Geschlecht oderandere Unterdrückungsmechanismen gehören auch zu meinem Alltag. Das erste Mal habe ich mich in meinem Frau* sein schlecht gefühlt.Wollte mich verstecken, öffentliche Räume aufgrund des Patriarchatsmeiden. Sexismus und Unterdrückungsmechanismen fanden in sämtlichenOrten genügend Raum und die Frauen* die sich dagegen wehren, werdenvon der Gesellschaft selbst, meist für verrückt erklärt. Wennmensch nun wieder den Intersektionellen Sexismus miteinbezieht, dann war es auch eine Frage an mich selbst, ob ich überhaupt in der Lagesein darf, mich zu wehren. Darf ich als weiße privilegierte Frau* inder Lage sein, das Patriarchat in Palästina besonders zu beleuchten?Darf ich das Problem beim Namen nennen, oder ist dies Aufgabe derarabisch/palästinensischen Frau*? Doch allein diese Frage an michselbst, „Ob ich mich wehren darf“ zeigt die Absurdität und inwelche Rolle ich mich hier gedrängt fühle. Natürlich darf ich michals Frau* immer und überall gegen männlicheUnterdrückungsmechanismen wehren.

Ofthabe ich mich gefragt, wieso das Patriarchat hier so deutlich spürbarist. Liegt es nur an mir, dass ich für patriarchaleUnterdrückungsmechanismen besonders sensibel reagiere oder gibt estatsächlich einen Unterschied zwischen meiner Umgebung inDeutschland und den Nahen Osten? Ist es eine Art kultureller Schockder meine Empfindungen vertieft oder liege ich richtig, wenn ichbehaupte, dass es eine klare Unterdrückung der Frau* hierexistiert? Doch fest steht, dass die Herrschaft des Mannesallgegenwärtig ist und das wichtigste für jede unterdrücktePerson, hier und anderswo ist, dies anzuerkennen und nicht bei sichselbst die Schuld zu suchen. In dermenschlichen Geschichte war die Herrschaft des Mannes so langeallgegenwärtig, dass das Patriarchat noch nicht einmal als Konzeptidentifiziert wurde. So auch hier in Palästina. Wenn ich Menschenauf das Patriarchat anspreche, wissen die meist von nichts. DasPatriarchat ist laut den Befragten die Besatzung. Das Patriarchat istlaut den Befragten Israel. Nicht aber die Cis-Männer von denen dieGewalt ausgeht - selbst. Und schon allein diese Reaktion istnatürlich ist ein typisches männliches Phänomen. Wie soll es auchanders sein. Die Vorstellung, die Überlegenheit des Mannes* seinatürlich, ist selbsterfüllend und überall sichtbar. Und gibt esdann doch einmal Unterdrückungsmechanismen gegenüber Frauen*, dieauch in den Augen der eigentlichen Täter von der Norm abweichen,dann ist es sehr einfach, den Staat Israel immer und überalljegliche Schuld zuzuschieben.

Unddennoch bleibt immer festzuhalten, dass die Unterdrückung vonFrauen* im Patriarchat egal wo auf dieser Welt immer vielschichtigist. Sie funktioniert über Ungleichheiten auf mehreren Ebenen:Staat, Gesetz, Familie, Arbeitsplatz. Das Patriarchat wird voneinflussreichen kulturellen Normen aufrechterhalten und vonTraditionen, Erziehung und Religion gestützt. Natürlich kann ichdie Aussage von palästinensichen Feminist*innen daherunterschreiben, dass Patriarchat auch immer durch Besatzung undImperialismus unterstützt wird. Und zeitgleich wird es Unterstütztdurch Religion und Tradition. Eine andere Aussage wäre absurd. Denndas Patriarchat reproduziert sich endlos über die genannten Normen undStrukturen, die ihrem Wesen nach selbst patriarchal sind, wodurch esauf eine Art natürlich oder zwangsläufig immer wieder erscheint.

Einweiterer Punkt der endlos ausgearbeitet werden kann ist zum einen dieDifferenz zwischen den israelischen feministischen Bewegungen und denpalästinensischen Feministischen Bewegungen. Zwar gibt es immerwieder Überscheidungen und Bestrebungen von Frauen* gemeinsam Handin Hand gegen das Patriarchat vorzugehen, dennoch bleibtfestzuhalten, dass sich die Bestrebungen der einzelnen feministischenBewegungen sehr differenzieren. Gemeinsame Anhaltspunkte sind zum einen Aktionen gegen Gewalt an Frauen*, wie zum Beispiel derLandesweite Streik im vergangenen Dezember. NachAngaben der Organisator*Innen kamen bei dem Streik mindestens 20.000Menschen auf dem zentralen Rabin-Platz in Tel Aviv zusammen.Demonstrant*Innen blockierten große Kreuzungen. Frauen* hieltenSchilder mit Aufschriften auf Hebräisch und Arabisch hoch, wie:"Frauen werden umgebracht, die Regierung bleibt stumm."Auch im Rest des Landes protestierten zahlreiche Menschen. InJerusalem etwa spritzten Demonstrant*Innen rote Farbe auf eineStraße, auf der Schilder mit den Namen getöteter Frauen* lagen. Anden landesweiten Protesten beteiligten sich religiöse und nichtreligiöse Israelis, Jüd*Innen und Araber.*Innen Etwa 300 Firmen undöffentliche Einrichtungen unterstützten die Proteste. EinigeUnternehmen gaben den Frauen* frei, um an den Demonstrationenteilzunehmen.


Einweiteres Projekt das Frauen* in Israel und Palästina vereint ist der„March of Hope“ der im Jahr 2016 seinen politischen Höhepunktfand. Dort versammelten sich tausende jüdische und arabischeIsrael*innen um vor der Jerusalemer Residenz von PremierministerBenjamin Netanjahu für Frieden zu demonstrieren. Mit der Kundgebungendete ihr rund 200 Kilometer langer „Marsch der Hoffnung“, dervor zwei Wochen in Nordisrael begonnen hatte. DieFrauen* hatten ihren Marsch nach Jerusalem in der Ortschaft RoschHaNikra, an der libanesischen Grenze, gestartet. In Kasr al-Jahud ander israelisch-jordanischen Grenze trafen sie auf rund 1.000Palästinenserinnen sowie Hunderte Jordanier*Innen auf der anderenSeite der Grenze. Als die Teilnehmer*Innen in Jerusalem ankamen,schlossen sich ihnen weitere Demonstrant*Innen an. DieOrganisator*Innen sprachen am Ende von einer Kundgebung mit rund10.000 Teilnehmer*Innen.


Persönlichbetrachtet gibt es viele Vereinigungen wie der „March of Hope“und andere Aktionen welche aber oftmals religiös ausgerichtet sind.Ein radikaler Feminismus, welcher Palästinenser*Innen und Israelisvereint, gibt es nahezu nicht. Des Weiteren beziehen sich diemeisten feministischen Bestrebungen in Israel wie auch in Palästinanicht auf die Abschaffung des Patriarchats sondern in erster Liniebezieht sich der Feminismus hier immer auf eine friedliche Coexistenzder Völker und oftmals ein Ende der Besatzung.


Dennochfehlt mir persönlich hier das Nennen der meiner Meinung nach aucheinschneidenden Probleme. Das Nennen der ökonomischen Ausbeutungvon arabischen Frauen*. Das Nennen der stetig steigenden häuslichenGewalt gegen Frauen* nicht nur im Westjordanland. Das Nennen vonSexuell Harassment in öffentlichen Räumen. Das Nennen vonpatriarchalen Familienstrukturen, die es Frauen* manchmal nichteinmal erlaubt – neben Männern* in der Universität zu sitzen. Dasnennen von enormer Trans- und Homophobie. Das Nennen allgegenwärtigercis-männlicher Unterdrückungsmechanismen die durchaus durchBesatzung und Imperialismus  bespielt werden. Die aber auchunabhängig durch religiöse Norm- und Wertvorstellungen  bestärkt werden. Aufgrunddessen ist es für mich wichtig Hand in Hand für einen intersektionellenFeminismus einzustehen, was bedeutet dass Patriarchat anzugreifen undzeitgleich gerade als weiße Frau* im nahen Osten seine eigenenPrivilegien abzuchecken und zu reflektieren. Zeitgleich würde ich nie eine rückwärtsgewandte oft religiös bedingte Wertevorstellung, welche Menschen unterdrückt verteidigen wollen. Die Auseinandersetzung mit Feminismus in palästinensischen Autonomiegebieten als weiße Frau* mit krassen Privilegien  bleibt also ein endloser Kreislauf , voll mit Fettnäppchen. Fest steht, das Patriarchat ist scheisse - immer und überall!

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#feminism#israel#palestine