Veröffentlicht: 19.08.2018
Heute ist es soweit, wir werden den sechsundsechzigsten Breitengrat überqueren und uns ab da nördlich des Polarkreises bewegen. Ziel der heutigen Etappe ist der Saltstraumen, der mächtigste Gezeitenstrom der Welt.
Am Polarkreis befindet sich neben der „Saltfjellveien“ genannten Straße das sog. Polarkreiscenter. Im Grunde ist es ein großer Souvenirshop samt Restaurant mit einem steinernen Mal davor, welches den Breitenkreis auf 66° 33′ 55″ nördlicher Breite markiert. Da wir unmöglich nach vier Wochen Norwegen mit leeren Händen zurückkehren möchten, werden ganz Touri-like Souvenirs eingekauft. Hier treffen wir ein deutsches Paar wieder, das uns schon bei der Grønligrotta und dem Svartisen über den Weg gelaufen ist. Oh Mann, macht hier eigentlich jeder das Gleiche?
Die Landschaft entspricht jetzt auch wirklich dem, was man sich unter dem hohen Norden vorstellt, typische Tundravegetation, fast nur noch Nadelbäume und niedrige, bodenbedeckendes Gewächse wie Moos, Flechten, Heidekraut, etc. Noch befinden wir uns im Svartisen-Nationalpark. Wieder einmal fließt ein wilder Fluß neben der Straße entlang, über Wasserfälle und Katarakte. Wenn wir überall anhielten, wo sich interessante Motive anbieten, würden wir niemals ankommen. Für die augenscheinlichsten nehme ich mir aber trotzdem die Zeit, versuche, nicht in den Touri-Knipser-Modus zu verfallen.
Nach einer landschaftlich kurzweiligen Fahrt kommen wir an einem Campingplatz direkt rechts neben der Saltstraumen-Brücke an. Diese spannt sich in einem hohen, eleganten Bogen über die Engstelle zwischen Meer (genauer gesagt äußerem Saltfjord) und dem inneren Saltfjord, die den mächtigen Gezeitenstrom bedingt. Da es wieder einmal regnet und wir heute ein gewisses Verlangen nach Komfort verspüren, gönnen wir uns wieder einmal eine Hütte, die mit 1000 NOK zu Buche schlägt.
Unsere Ankunftszeit ist genau richtig, laut Saltstraumen-Tabelle, die von der Kommune Bodø zur Verfügung gestellt wird, hat die Stärke des Stroms um 15:44 ihr Maximum erreicht. Da die Flut einsetzt, findet der gigantische Wasseraustausch im jetzigen Zeitraum vom Meer Richtung innerem Saltfjord statt. Fast 400 Millionen Kubikmeter Wasser werden durch den 150 Meter breiten Sund gepresst und erreichen dabei eine Geschwindigkeit von bis zu 40 km/h. In den Randbereichen des Stroms entstehen starke Strudel, die bis zu 4 m in die Tiefe reichen und kleinere Boote wie Kanus oder Kajaks hinabziehen können. Auch gute Schwimmer hätten nicht den leisesten Hauch einer Chance, gegen diese Gewalten anzuschwimmen. Wir betrachten dieses Schauspiel heute von oben auf der Brücke. An der höchsten Stelle befinden wir uns in ca. 40 Metern Höhe und haben einen atemberaubenden Blick auf den Saltstraumen und auf die nebelgekrönten, spitzen Berggipfel in der Ferne. Der Anblick des Stroms ist wirklich gigantisch, das Wasser an dessen Rande scheint zu kochen, es brodelt, immer wieder bilden sich die erwähnten Strudel. Man kann erahnen, was hier für unglaubliche Kräfte am Werk sind. Auch die Möwen lassen sich dieses Spektakel nicht entgehen. Über dem Gezeitenstrom kreisen hunderte von ihnen in wildem Aufruhr, denn neben dem Wasser müssen auch ganze Fischschwärme durch die Engstelle, die den Gewalten ebenfalls mehr oder weniger ausgesetzt sind. Es steht also ein reichhaltiges Buffet bereit, so üppig offenbar, dass die Jagdgesellschaft sich schon lange vor dem Schwächerwerden des Stroms auflöst und zum Verdauen auf einer kleinen Insel im Sund niederlässt.
Wir für unseren Teil begeben uns tief beeindruckt in unser hölzernes Domizil und heizen erstmal ein, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen.