Veröffentlicht: 15.01.2020
Wer glaubt, Camper würden wenigstens Neujahr Ausschlafen, irrt gewaltig. Um 7.20h am 1.1.20 stehe ich vor den vier Duschen, die alle besetzt sind. Ok, ich hab um halb neun gefrühstückt, einige Neujahrsgrüße verschickt und komme kurz vor 9 nach dem Abwaschen los. Der Himmel ist dick bewölkt, es ist fast windstill und in den Hängen bleiern Nebelschwaden.
Ich kurve also los, stelle nach 6km fest, daß sich hinter mir im Camper irgendein Eigenleben entwickelt. Also irgendwo anhalten und den Kühlschrank-Inhalt aufsammeln 🤪. War wohl nicht richtig zu... Ich kurve also weiter, die Landschaft ist so herrlich ursprünglich.
Unendlich viele Baumfarne, die aus der Ferne immer wie Palmen mit schwarzen Stämmen aussehen, aber auch unzählige Manuka-Büsche, die mit ihren grazilen Zweigen und weißen oder rosa Blüten eher wie Ziersträucher aussehen, aber natürlich den vielen Bienen dienen.
Immer wieder sieht man Bienenstöcke unterwegs, während die Strecke ansonsten keine sichtbaren Lebewesen aufweist. Wild-schöne podocarps, diese hoch aufragenden Bäume mit ihren dünnen Stämmen und den hohen Baumkronen sind neben nicht heimischem Nadelwald auch überall auszumachen.
Platt gefahrene Possums gibt es auch hier reichlich. Und während man diese Tiere z.B. im Tasmanien als niedlich ansieht, sind sie in Neuseeland ein Übel. Auch sie sind - genau wie Wiesel, Katzen, Hunde und Igel - eine permanente Bedrohung für Kiwis. Zu der Thematik hatte ich vor ein paar Tagen geschrieben, als ich den weißen Kiwi "besucht" hatte. Also hier sind tote Possums und Igel nichts, worüber man hier in auch nur ansatzweise Bedauern ausbricht. "Possums - New Zealand's little speed bumps" stand mal an einem Woll-Geschäft am Octagon in Dunedin. So ist das. Die Possums haben traumhaft weiches Fell, das hier zusammen mit Merinowolle zu herrlich warmen Socken, Mützen, Pullovern etc. verarbeitet wird.
Zurück zum East Cape... Die Kurven reihen sich aneinander und ich muss trotz meines braven Toy-Opa (sprich: Tojopa nix Spielzeug-Opa🤣), der gern auch noch im 4. Gang machen Hügel nimmt, immer mal wieder links ranfahren, um andere vorbei zu lassen.
Fotos kann ich meist nur während der Fahrt machen, da es keine wirklichen Parkbuchten oder die mir ans Herz gewachsenen "slow vehicle bays" gibt. Die komplette Strecke von rund 160km bis Opotiki hat keine solche Überholspur sondern bleibt je Richtung einspurig. Etwa 50km hinter meinem Start kommt die Bay of Plenty in Sicht, nach der bald auch der Bezirk hier benannt wurde.
Der Highway 35, dem ich auch heute folge kurvt hoch und runter, mal am Meer, dann wieder sicher 50, 80m oberhalb einer Bucht. Die Strände sind braun, nicht so dunkel wie noch vor ein paar Tagen. Immer, wenn ich denke, ich muss jetzt nicht mehr kuppeln, schalten, Gas geben bremsen, dann führt der Weg doch wieder in die Berge, die links neben mir bis auf gut 1000m aufragen. Alles dicht bewaldet, wenn nicht abgeholzt 🙄. Die Warnung vor kreuzenden Logging Trucks ist allgegenwärtig, aber die haben auch heute Feiertag. Als ich 80km bis Whakatane habe, also 130km hinter mir habe, sind fast 3,5h vorbei! Ich kriege vorübergehend mal 3 Balken zum Telefonieren und kann zuhause anrufen.
Ich habe zwar an zwei, drei Marae angehalten und ein paar Pflanzen fotografiert, aber die Fahrt zieht sich enorm. Es gibt hier unmissverständliche Hinweise der Maori, das dies ihr Land ist. Irgendwo ragt eine Fahne aus den Büschen "This is our territory" oder "respect our whenue". Whenue heißt u. a. Land in der Sprache der Maori.
Traumhafte Buchten, schmale Brücken über breite, steinig trocken gefallene Flussbetten sind meine optischen Genüsse und Abwechslung.
Knorrige Pohutukawas klammern sich in rauhen Mengen überall an sandige und steinige Hänge. Leider blühen auch diese hier noch nicht. Erste zaghafte rote Blüten sind schon zu sehen. Diesen Abschnitt so in 2 Wochen zu fahren, dürfte der Hammer sein, wenn wirklich tausende dieser Bäume rot erblüht sind.
Kurz vor Opotiki - quasi der Endpunkt der Umrundung des East Cape - wird das Wetter besser und der Himmel blau.
In Opotiki bin ich wieder in der Zivilisation. Endlich eine ⛽ Tankstelle mit Klo! Während man eigentlich hier überall, wo Touristen rumstolpern öffentliche Toiletten findet, die im Regelfall auch sauber sind, ist das East Cape dahingehend "etwas" ursprünglich. Ich habe kein Problem mit einem Ausflug in den Busch, wenn es aber an dieser Kurvenstrecke keine geeignete Haltebucht gibt, kann es eng werden 😉. Was hinter Opotiki beginnt ist etwas, was ich in der Form auf rund 20.000km in Neuseeland noch nie so erlebt habe: STAU! Für die läppischen 44km von Opotiki über Ohope nach Whakatane brauche ich fast 1,5 Stunden! 😭 Ich fahre über die Wanui Road, die entlang eines Salzmarsch-Gebiets verläuft, das sich hier in einer Lagune gebildet hat.
In Ohope, einem Ferienort, quält sich die Autoschlange von roundabout zu roundabout und jeder Hang wird zur Nagelprobe für alle, wenn vorne ein LKW, ein Wohnwagen oder eine Schnecke 🐌 fährt... Es ist fast halb drei, also 5,5h nach meiner Abfahrt aus Te Araroa. 211km liegen hinter mir. Ich reiße hier echt nicht viele km pro Tag ab, aber es gibt einfach extrem viele Strecken mit unendlich vielen Kurven und Steigungen, die mit einem Camper nicht so rasant zu nehmen sind, wie mit dem Auto.
Einmal war ich um meine dezimierte Geschwindigkeit dankbar, als ich heute in einem Dorf in eine Auseinandersetzung von Jugendlichen geriet, wo die eine Partei, um die anderen effektiver mit Steinen beschmeissen zu können, ihren off-road truck kurzerhand quer auf meiner Spur abgestellt hatten, weil in der Einfahrt das Auto der Gegner stand. So flogen Steine und ich war froh, dass gerade kein Gegenverkehr kam.
Der Whakatane Holiday Park liegt traumhaft am Deich. Denn Whakatane liegt am Whakatane River, der praktisch parallel zum Meer verläuft. Zwischen Campingplatz und Meer dümpelt dieser hier eher kleine Fluss entlang und hinter dem gegenüber liegenden Ufer ist der Pazifik. Die Sonne müht sich redlich, aber es bleibt etwas verhangen. Nach diesen Stunden im Auto brauche ich Bewegung und laufe hinter meinem Camper hoch auf den Deich und spaziere in das City Center.
Leider alles ziemlich ausgestorben. Auch die Tourist Info hat seit 14h zu. Ich ergatter noch einen cookie in einer Bäckerei, die schon 30min vor Ladenschluss alles einräumt, mir sagt, ich müsse entweder alles mitnehmen oder morgen wiederkommen, weil sie jetzt auch keinen Kaffee mehr servieren. Dafür nehmen sie aber 15% Aufschlag, weil Feiertag ist. Ich hoffe, dass die Angestellten davon profitieren und nicht der Inhaber.
Ich laufe entlang der Anlegestelle der White Island Tours - jener Ausflugsagentur, die am 9.12.19 während des Vulkanausbruchs auf White Island viele ihrer Gäste vor Ort noch retten konnte. Allerdings sind mittlerweile fast 20 Menschen gestorben, zwei werden weiterhin vermisst. An einem Gitter hängen noch ein paar Botschaften zum Gedenken. White Island liegt rund 50km vor der Küste von Whakatane.
Sehr beeindruckend ist das Mataatua Marae. Ein riesiges Versammlungshaus, das fast 150 Jahre alt ist. Gebaut wurde es paradoxerweise als ein Zeichen des goodwill der Ngati Awa an Queen Victoria, wenngleich die Briten der indigenen Gemeinschaft schwer zugesetzt hatten.
Das Marae hat eine bewegte Geschichte, denn es wurde mehrfach komplett auseinander genommen und um die Welt verschickt. In Australien baute man es falsch zusammen, so dass die aufwendigen Schnitzereien nicht im Innern, sondern an der Außenwand waren und den Elementen ausgesetzt waren. In England war es in verschiedenen Städten, verstaubte in Museumskellern und war dann über 70 Jahre auf der Südinsel in Dunedin.
2011 wurde es hier, am Ort seines Ursprungs und seines Stammes nach 15jähriger Restaurierung den Ngati Awa wieder übergeben. Ich werde von einer Frau begrüßt, sehe mir einen Film über die abenteuerliche Weltreise dieses Gebäudes an und kann aber leider keine Führung mehr mitmachen. Die letzte war um 16h, jetzt ist es 16.10h.
Whakatane gilt als die am längsten besiedelte Ortschaft in Neuseeland. Die Mythologie sagt, dass das Kanu der Ahnen (mit Namen Mataatua, wie heute dieses Versammlungshaus) hier anlegte. Als es drohte mit der Strömung ins Meer gerissen zu werden, hat Wairaka, die Tochter des Kapitäns Toroa, das Kanu Mataatua gerettet. Mit dem Ausruf "ka whaka tane au I ahau" (Ich muss hier wie ein Mann handeln) hat sie zusammen mit anderen Frauen das Kanu gerettet und so hat der Ort seinen Namen erhalten. Ob die Männer währenddessen in der Kneipe waren, ist nicht überliefert 😉.
Nach der Rückkehr zum Campingplatz gibt's erstmal einen großen Kaffee. Ich sitze in der milden Sonne es ist schon 19h, als ich mit diesem Text fertig bin. Nach einer aufgewärmten Dosenmahlzeit fahre ich zum Kohi Lookout, etwa 6, 7km von hier. Hoch oben hat man eine wahnsinnig tolle Sicht auf Whakatane, die Bay of Plenty - aber leider nicht so sehr auf die Sonne, die auch am Abend hinter hohen Smog-Wolken verschwindet, bevor man sie versinken sehen könnte. Dieser Dunst hängt auch über dem Meer, man sieht gerade noch Whale Island, aber die Vulkaninsel White Island ist nicht zu sehen. Grund hierfür sind die Auswirkungen der Buschbrände im über 2000km entfernten Australien.