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Mit grauen Stiefeln über rosarote Treppen

Veröffentlicht: 01.09.2020

Ich lief die vom Regen glänzende Treppe hinauf und Erinnerungsfetzen zogen durch meinen Kopf wie der Nebel, der in der Schmiedgasse vor mir lag. Vor mir tauchte die rosafarbene Schule auf, die ich als 13-Jähriger in grauen Lederstiefeln betreten hatte und die ich vorzeitig einige Jahre später, mit einigen Schuhnummern grösser, verlassen musste. Meine schlechten Noten hatten verhindert, dass ich meine Freunde im nächsten Schuljahr wiedersehen würde. Das Gefühl des Versagens hatte an mir noch lange wie ein französisches Eichhörnchen genagt, da ich meine Manneswürde nur über meinen schulischen Erfolg definiert hatte – meine sportlichen Leistungen waren eher bescheiden und für eine Modelkarriere hat es auch nie gereicht.

Nun war ich wieder nach über zwanzig Jahren an diesem Ort der Freuden und der Leiden, eingeladen zum Klassentreffen von meinen damaligen mitpubertierenden Jahrgängern. In meinen Erinnerungen waren sie immer noch jene Teenager mit Träumen im Kopf und Pickeln im Gesicht. Stattdessen traf ich an diesem regenverhangenen Tag auf reife Erwachsene mit Falten um die Augen und Bauchansätzen unter dem gebügelten Hemd. Hinter müden Gesichtern, ausgelaugt von ihren Karrieren und Kindern, erkannte ich wieder den einen und anderen Grind und manche Erinnerung der Jugend. Die Begrüssung war etwas verkrampft und die gegenseitigen Fragen drehten sich stets um Beruf, Partner und Kinder, als ob diese drei Dinge ein Garant für das vollkommene Glück wären. Dabei schien es mir, dass ich die eine oder andere Verwüstung eines schwunglosen Lebens erkennen konnte.

Dann stiess ich auf Sandra, das quirlige Mädchen von damals und anstelle der drei obligaten Fragen, wollte ich wissen, ob sich ihre Träume erfüllt hätten, ob sie mit ihrem Leben zufrieden sei und was ihre nächsten Pläne wären. Sie erzählte mir, dass ihr vor gar nicht allzu langer Zeit das Schicksal ein Bein gestellt hatte. Wie der Phönix ist sie aus der Asche nach mehreren Operationen wieder auferstanden, um die Liebe mit dem Leben und die Träume der Jugend aufleben zu lassen.

Ich habe zwar keinen Master gemacht, bekleide keine Stelle, die als besonders angesehen gilt und verdiene nicht so viel Geld, wie der Anwalt mit den nach hinten gekämmten Haaren, doch mein turbulentes Leben zaubert mir ein Lächeln auf das Gesicht. Ich bin tausend Mal gescheitert, habe aber nie kapituliert und bin meinen Träumen, mit einigen Umwegen, treu geblieben.

Das einzige, was mich an diesem Abend ins Straucheln und mich beinahe zur Kapitulation gebracht hätte, war der viele Rotwein, der bis in die frühen Morgenstunden reichlich geflossen ist. 

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