Veröffentlicht: 11.10.2020
Ich fand ein Stück Kultur verborgen in den schönsten Herbstfarben im Engadin. Im Garten Il Parkin mit Kunstwerken von Not Vital tanzen noch die Elfen unter den gelben Lerchen und unter den tiefgrünen Arven suhlen sich grimmige Gnome. Not Vital ist der Engadiner Künstler, der als Randolin vom Bündnertal in die weite Welt ausflog, um mit Andy Warhol seine Fantasie zu entfesseln. Seine Seele fühlt sich neben dem afrikanischen Agadiz an vielen Orten auf dieser Erde zuhause. Bei Not Vital habe ich das Gefühl, dass er sich mit einem süffisanten Lächeln über die Menschen lustig macht und ihnen einen Tritt in den Arsch gibt, damit sie endlich ihre eigene Intuition einsetzen. Er hat Kuhfladen in Bronze giessen lassen und diejenigen mit Geld haben sie gekauft. Um die grössten Fladen haben sie sich am meisten gerissen, da sich der grösste Mist bekanntlich am besten verkaufen lässt.
Il Parkin erstreckt sich über einen terrassierten Hang, an dessen Fuss sich ein kleines schattiges Tal mit einem schäumenden Bach befindet. An diesem mystischen Ort erwartet den Besucher kein Fährmann, der ihn für eine Münze ins Schattenreich übersetzt, sondern das Wasserhaus. Das grosse dreieckige Fenster ist zum sprudelnden Bachlauf hin ausgerichtet, dessen unbändige Kraft die Scheibe und den eigenen Körper erzittern lässt. Ich fühlte mich im wahrsten Sinne von der bebenden Macht des Baches berauscht und die nach allen Seiten stiebenden Wassertropfen zogen mich in ihren Bann. Und dann zerstörte der Herr mit dem Deuter Rucksack und den On Schuhen die ganze Magie dieses Momentes. Seine einzigen Gedanken galten der Sorge, was für ein Krampf es doch sein würde, dieses Fenster mit seiner unpraktischen Form sauber zu halten. Not hätte sicherlich laut heraus gelacht und ihm wortlos als Trost einen seiner berühmten Eselsköpfe geschenkt. Mir hätte er die Originalvorlage seiner Kuhfladenplastik in die hohle Hand geklatscht, weil ich diesem Mann erlaubt habe, mir diesen Augenblick durch sein dummes Gegackere zerstören zu lassen.
Erst wenn wir das Finden zulassen, dann aktivieren wir unsere Intuition. Not zeigt uns durch seine Kunst, was Träumen heisst. Als Kinder machen wir Dinge vom Grund unseres Herzens und später als Erwachsene putzen wir all das wirklich Spontane, wie die Wasserflecken auf dem Fenster, von uns ab.
Als Nots Werke schon lange im Museum of Modern Arts in New York bewundert wurden und Not Vital als einer der grössten Künstler der Gegenwartskunst galt, haben die Bergler hinter vorgehaltener Hand wie Teenager über diesen Spinner gelacht. Und gerade dieses unsichere Kichern zeigt, dass Not ein menschliches Bedürfnis anspricht, das wir schon viel zulange unterdrücken - wenn du etwas machen musst, dann mach es einfach, scheissegal, was die anderen denken. Geh deinen Weg und lass all den Schrott, den du nicht brauchst, auf der Müllhalde.
Der Putzfreudige mit dem Deuter Rucksack trat vor mir aus dem Wasserhaus und ich folgte ihm mit genervtem Gesicht ans Tageslicht. Das schadenfreudige Gelächter eines Tannenhähers brachte meine abgeschweiften Gedanken in die Gegenwart an diesen wunderbaren Ort zurück. Vielleicht waren es nicht nur die Vögel, die mich als Bünzli ausgelacht haben, sondern auch der Künstler mit dem schwarzen Hut kicherte versteckt irgendwo unter einem Laubhaufen.