Veröffentlicht: 27.08.2022
Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich so schnell den nächsten Beitrag verfasse, aber ich bin jetzt fast genau 48 Stunden hier auf der Farm und ich habe so viel erlebt, dass ich die Sorge habe, dass es wieder etwas ausarten wird.
Und eigentlich wird in jeder Serie der Cliffhanger zu Beginn der nächsten Folge aufgelöst, da dies hier aber keine Serie, sondern mein Reiseblog ist, musst ihr euch noch etwas gedulden – HA!
Vorgestern wurde ich von Anja, der Frau des Farmbesitzers Mike, abgeholt. Anja hat selbst vor drei Jahren Wwoofing gemacht (das, was ich hier gerade mache) und ist hier auf der Farm mit Mike zusammengekommen und seitdem auch nicht mehr gegangen. Die Fahrt hat etwa 1h Stunde gedauert und Anja konnte mir bereits einiges erzählen, während ich nebenbei noch die Berge bewundert habe. Dann kamen wir hier an und ich wurde erst mal jedem vorgestellt. Ich kann euch sagen, dass das nicht gerade einfach ist und ich immer noch nur sehr wenige Namen kann. Anschließend sollte Mike mir das Gelände zeigen. Mike kann kein Deutsch und somit haben wir versucht, uns mit Händen und Füßen zu unterhalten. Die Leute auf der Farm sind auf jeden Fall alle sehr offen. Hier sind vier Deutsche, ein Franzose, eine Engländerin, ein Waliser und bestimmt noch mehr Nationen vertreten, die ich aber nicht mehr weiß. Interessant ist auch, dass es hier viele Kanadier gibt, die im Osten leben und jetzt aber den Westen des Landes erkunden wollen.
Ich habe dann versucht, hier mit einigen Englisch zu reden, gerade der Franzose ist sehr freundlich. Wahrscheinlich, da er sehr froh ist, dass jetzt jemand da ist, der noch weniger Englisch kann :D Ja und dann kam der Moment, Kane (der Franzose) fragte Mike, ob sie heute schießen gehen, denn Mike verspricht jeden, das einmal zu machen. Mike hat dann auch mich gefragt und warum nicht. Und so sind wir 3 Minuten (man kann gefühlt auch dahinlaufen) zum Schießstand gefahren und haben dort einfach mal geschossen. Es war so unglaublich. Erst einmal hatte ich das erste Mal in meinem Leben eine echte Schusswaffe in der Hand und zum anderen habe ich dementsprechend auch noch nie geschossen. Das war eine sehr interessante Erfahrung. Allerdings sollte ich kein Jäger werden, denn das Wettschießen habe ich verloren. Nachdem schießen saßen wir nur noch abends zusammen und dann sind wir ins Bett gegangen. Aktuell schlafe ich noch im Zelt, aber bald ziehe ich wahrscheinlich in einen Wohnwagen um. Am nächsten Tag hieß es dann um 6:30 Uhr aufstehen, da die Arbeit hier immer um 7 Uhr beginnt. Mein Arbeitsort war die Salatwaschstation. Dort war ich mit Mats (Waliser) und Rachel (Engländerin). Und klar war der Anfang schwer, doch Rachel und Mats haben mir alles super erklärt und jede Frage versucht zu beantworten. Das war richtig schön! Die Arbeit bestand darin, den Salat zu waschen, schlechte Blätter herauszusuchen, zu trocknen und anschließend abzupacken. Es gibt übrigens zwei giftige Spinnen hier und es ist echt selten eine davon zu sehen.....was soll ich sagen – 5 Minuten nach Arbeitsbeginn hatte ich solch eine giftige Spinne bei mir im Salatbecken. Da ich diese Zeilen noch schreiben kann, habe ich es ja überlebt. Nach der Arbeit hat man frei und ich konnte mich mit Fabian (Deutscher) unterhalten. Das war mal eine angenehme Abwechslung, um den Kopf etwas frei zu bekommen, denn ich merkte langsam, dass mein Kopf zu machte. Es ist ja so, wenn man damals für eine Arbeit oder Prüfung gelernt hat, brauchte man irgendwann eine Pause, um seinen Kopf etwas freizubekommen, um auch das Gelernte sacken zu lassen, aber hier hat man gefühlt keine Pause. Es gibt so viele neue Eindrücke und Erlebnisse: neues Land, neue Landschaften, neue Menschen, durchgehend Englisch.....irgendwann hat mein Kopf einfach zu gemacht und das war wirklich richtig schlimm. Habt ihr euch schon einmal einsam gefühlt, obwohl ihr nicht alleine seid? So habe ich mich am gestrigen Nachmittag + Abend gefühlt. Mein Kopf konnte einfach nicht mehr. Ich versuche zwar Englisch zu reden, aber dann fällt mir ein Wort nicht ein und schon ist der Redefluss gebrochen und die Blockade in meinem Kopf steht wie ne eins. Das ist so nervig und anstrengend und es tut mir immer so leid, dass ich mit den Leuten nicht so wirklich reden kann, da ich erst mal die Sprache wirklich erlernen muss. Und immer, wenn ich das nachfolgende sage, glauben mir das die wenigstens, aber ich bin extrem schüchtern und war damals sehr introvertiert. Über die letzten Jahre habe ich mir eine extrovertierte Art „angelernt“, die ist aber gefühlt in Deutschland geblieben. Durch diese Sprachblockade habe ich mich immer weiter zurückgezogen und dann fühlt man sich einfach alleine. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich hier im Zelt heule und mein ganzes Leben hinterfrage – Nein! Mir war klar, dass dieses Abenteuer viele Herausforderungen mit sich bringt und es definitiv nicht einfach wird und so habe ich mir zwei Sachen immer wieder gesagt: Es ist mein erster richtiger Tag auf der Farm UND ich habe noch ein ganzes Jahr vor mir. Aller Anfang ist schwer, aber ohne die nötigen Herausforderungen kann man auch nicht wachsen, daher muss man diese annehmen, akzeptieren und dann rockt man die Scheiße schon.
Gestern Abend ging es dann noch in eine Karaoke Bar und eigentlich hat meine Fahrerin gesagt, dass sie nur eine Stunde da bleiben möchte. Ich dachte mir: Okay, ich bin sehr müde, mein Kopf ist überladen mit den ganzen neuen Eindrücken, aber eine Stunde halte ich durch und dann zeige ich den Leuten hier ja auch, dass ich gewillt bin, mich zu integrieren. Fun Fact: Wir blieben keine Stunde.....wir waren über drei Stunden dort. Drei Stunden, in denen ich nur dasaß, weil ich einfach echt nicht mehr konnte. Wahnsinn, wie ermüdend das alles ist, aber wie gesagt, ich habe noch ein ganzes Jahr vor mir und es war mein erster Tag. Heute Morgen dann sind drei andere Wwoofer (Leute, die das gleiche machen wie ich) mit mir hier auf einen Berg gewandert. Es war des Todes anstrengend und morgen sind bestimmt meine Beine nicht mehr lebensfähig, aber es hat sich gelohnt. Die Aussicht ist einfach wunderbar und als wir zurück zum Auto gegangen sind, guckte ich nach rechts und BÄM! Ich habe meinen ersten Bären gesehen, zwar nur zwei Sekunden, bevor er im Gras verschwunden ist, aber WOW!
Halten wir fest: Innerhalb von 48 Stunden habe ich ganz viele neue Leute kennengelernt, zwei Waffen abgefeuert, meinen ersten Arbeitstag gehabt, eine Karaokebar besucht, gewandert und einen Bären gesehen ach und die ganze Zeit Englisch um mich drumherum. Man kann also vlt. erahnen wie viele Eindrücke hier auf mich einprasseln und warum dieser Beitrag schon wieder viiiiiiel zu lang ist :D
Sorry dafür! Jetzt sitze ich hier alleine im Gemeinschaftsraum und genieße die Stille.
Heute Abend ist hier die nächste Party angesagt und ich hoffe, dass ich da schon ein wenig aus mir rauskommen kann, aber selbst wenn nicht.... alles hat seine Zeit.
Bis bald!
Samuel