Veröffentlicht: 23.04.2024
Für heute sind 8 Stunden Gehzeit bis Città so Castello und 60 Prozent Regenwahrscheinlichkeit angekündigt. Die steilen und felsigen Streckenabschnitte können bei starkem Regen anstrengend und rutschig werden, sagt man mir. Für meine persönliche Pilgererfahrung reichen zu diesem Zeitpunkt die 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit von gestern, im Resultat mit dem über zwei Stunden anhaltenden, heftigen Schauer. Und so entscheide ich, meine nächste Etappe mit dem Bus zurückzulegen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Der Regen wird mich noch mehrere Tage begleiten. Irgendwann aber werde ich die Wetterkapriolen mit Gelassenheit annehmen und stoisch meine Strecke weitergehen. Nur: heute bin ich noch nicht soweit.
Ein Tag in der Stadt
Der freie Tag fühlt sich an, als habe man mich in eine Ecke gestellt, von wo aus ich nicht mehr mitmachen darf. Auch ist mir damit leider der Besuch von Montecasale und dem Kapuzinerkloster entgangen ist. Hier wäre das steinerne Bett zu besichtigen gewesen, auf dem Franziskus schlief, wenn er hier war, lese ich im Wanderführer. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es gibt unterwegs mehrere Schlafstätten aus Stein, auf denen Franziskus genächtigt hat, die ich alle noch sehen werde.
So aber habe ich Zeit für die Stadt Sansepolcro. Sie hat ein besonderes Flair, glänzt durch viele interessante Museen, durch die Geschichte des Kunsthandwerks und die besonderen Ausstattungen der Kirchen, wie etwa die Nachbildung des Heiligen Grabs in der Chiesa di San Rocco (1556). Zu Unrecht wird sie etwas stiefmütterlich im Führer und auch bei Wikipedia behandelt. Ich finde, Sansepolcro ist es wert, einen Halt einzulegen. Zu sehen gibt es genug.
Das Zauberwort
Wie übrigens heißt das Zauberwort, wenn man telefonisch ein Zimmer reservieren will? Nein, nicht "bitte", sondern "sono un pellegrino". Auch bei allen anderen Gelegenheiten öffnet dieser Satz Tür und Tor. Man findet eine Unterkunft, wo es eigentlich gar keine mehr gibt, und gelegentlich gibt es Rabatt aufs Essen. Meistens reichen auch schon ein Rucksack und dreckige Wanderschuhe und die Leute sprechen einen freundlich an. Und immer wieder hört man den Gruß: "Buon cammino".
Ein etwa 4-jähriger Bub steht mit Mutter und Großmutter am Weg. Er fragte mich auf Italienisch: "Gehst du nach Assisi? Ich bejahe und er ruft mir nach: "camminare con Dio“. Hinter mir vernehme ich noch das Entzücken von Mutter und Großmutter. Später lese ich die Übersetzung seines Grußes: "Geh mit Gott."
Und nun endlich zwei Kilogramm leichter
Das Schicksal führt mich heute zu einem Postamt. Dort habe ich meinen (zuhause etwas euphorisch und letztlich zu schwer bepackten) Rucksack auf unwichtige Dinge hin untersucht. Mit der Erkenntnis, zu viel an Gewicht durch die Gegend zu tragen, bin ich unter den Pilgerinnen und Pilgern nicht alleine. Jeder, den ich in den letzten Tagen kennenlernte, hat sich irgendwann einmal von den unwichtigsten unter den wichtigen Dingen befreit.
Ich entscheide, dass ich nicht auf den Fall vorbereitet sein will, im Freien schlafen zu müssen, und der Umfang meiner Hygieneartikel erscheint mir nach 10 Tagen Pilgerei übertrieben. Und so sortiere ich im Postamt, vor den Augen aller, meinen Rucksackinhalt. Danach gebe ich ein Paket auf. Um dieses Projekt umzusetzen, muss ich leider das gesamte Postamt in Aufruhr versetzen, denn ich kann mit meinen spärlichen Italienischkenntnissen mein Anliegen nicht bis in alle Details erläutern. Aber mit "sono un pellegrino", einem netten Lächeln und nach dem mehrmaligen Wiegen durch eine Mitarbeiterin hat es schließlich geklappt, 1966 Gramm meines überflüssigen Gepäcks zu ermitteln und einen entsprechenden Karton zu finden. Nun trägt einen Teil meines Rucksackinhalts die italienische Post zu mir nach Hause.