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Tallinn und der Regen

Veröffentlicht: 21.06.2018

Nach der weissen Nacht folgte leider ein grauer Tag. Bei deutlich kühleren Temperaturen machte ich mich sogleich nach dem Frühstück auf den Weg, die dritte baltische Perle zu erkunden. Und schon beim Verlassen des Hotels hatte ich ein Déja-vu: wie in den Ferien im April finden auch in Tallinn exakt vor der Haustüre des Hotels Dreharbeiten für einen Film statt. Leider konnte ich beim Hotelpersonal nicht in Erfahrung bringen, was da gerade gedreht wird. Spannend war, dass bei meiner Rückkehr gegen Mittag plötzlich ein Weihnachtsbaum auf dem Platz vor dem Hotel stand...

Aber zurück zur Stadt: auch Tallinn ist eine Hansestadt und strotzt nur so vor kulturellen Sehenswürdigkeiten. Die Altstadt wird von einer noch weitgehend erhaltenen Stadtmauer umgeben. Anders als in Riga und Vilnius hingegen, ist die Masse der Touristen, die sich durch die schönen Gassen wälzt an der Grenze des erträglichen. Im Hafen machte ich später 4 Kreuzfahrtschiffe aus, was wahrscheinlich so einiges erklärt. Grob lassen sich die gruppierten Menschenmassen in etwa wie folgt einteilen: 

1) Gruppenreisen aus dem fernen Osten, sprich China - erkennbar an einem ebenfalls chinesischen Reiseführer, der mit Fahne vorangeht und in fast militärischem Stil Kommandos von sich gibt, die wiederum die etwas ungeschickt über das - zugegebenermassen sehr grobe - Kopfsteinplaster stolpernden ReiseteilnehmerInnen niemanden zu interessieren scheinen (Vergleich: ein Sack Flöhe). 

2) Gruppenreisen aus deutschsprachigen Ländern, erkennbar einem ebenfalls deutschsprachigen Reiseführer, der mit Fahne vorangeht und versucht die durchschnittlich zwischen 80 und 105 jährigen ReiseteilnehmerInnen unversehrt durch die Stadt zu schleusen, was diese wahrscheinlich sogar interessiert, sie aber alle schwerhörig und/oder schwer von Begriff sind. (Vergleich: Seniorenwandergruppe, die in Zürich HB umsteigen muss und den halben Bahnhof verstopft)

3) Männerreisen aus einem undefinierbaren osteuropäischen Land, die halb- oder sturzbetrunken in einer undefinierbaren osteuropäischen Sprache irgendwelche Schlachtgesänge und Sprechchöre von sich geben obwohl a) die WM in Russland stattfindet und b) ihr undefinierbares Land wahrscheinlich gar nicht qualifiziert ist. (Vergleich: keiner aber das sind diejenigen, die einem so richtig auf den Zeiger gehen)

Die Turmbesteigung der Olaikirche wurde mit geschätzt 4 Gruppen der Kategorie 2 zu einer echten Challenge. Der Aufgang ist steil, eng und besteht zu 90% aus Wendeltreppen im Mauerwerk. Mehr zu erklären gibt es nicht. Die Aussicht in windiger Höhe hat für die Mühe entschädigt. Leider gesellte sich um die Mittagszeit zu Wolken und starkem Wind auch noch Regen. Erst ein bisschen, dann wahre Wolkenbrücke. Zum Glück gab es noch ein paar längere Trockenphasen, die ich für ein paar Sehenswürdigkeiten etwas ausserhalb genutzt hatte, so z.B. das Quartier Kalamaja mit vielen alten, typisch baltischen Holzhäusern oder ein trendiges Gebiet in einem alten Industriegebiet in der Nähe des Bahnhofs, das etwas an Frau Gerolds Garten erinnert. Zurück in der Altstadt hat dann der Himmel die Schleusen richtig geöffnet, was mir irgendwann die Lust am entdecken nahm. Nasse Kleider, aufgeweichte Schuhe, rutschiges Pflaster und der permanente Spiessrutenlauf um die Gruppen der Kategorien 1 und 2 herum, die sich jetzt auch noch mit Regenschirmen bewaffnet hatten, was einer Verbesserung der Verkehrssituation logischerweise nicht sehr zuträglich war. Zu erwähnen gibt es noch, dass einem die Strassennamen in Tallinn manchmal etwas merkwürdig anmute. Siehe dazu die Bildgallerie. 

So entschloss ich mich, etwas früher zum Fährterminal zu gehen und dort im Trockenen auf meine Passage nach Helsinki zu warten. Bereits der Wartebereich mit Einkaufsmöglichkeiten liess mich an die Erzählungen von erfahrenen Skandinavienreisenden denken, die von den legendären, feuchtfröhlichen Überfahrten berichteten. Auf jeden Fall bestand das Angebot des Shops eigentlich nur aus Alkohol. 

Die Überfahrt gestaltete sich dann aber wesentlich kultivierter als es diese Geschichten befürchten liessen. Aber tatsächlich decken sich viele Finnen bei einem Tagestrip (die Überfahrt dauert lediglich 2 Stunden) mit billigem Alkohol in Estland oder auf der Fähre ein, was bei den Bierpreisen in Finnland auch nicht erstaunlich ist. Die Fähren sind sehr komfortabel. Ich konnte im Pub in dem ich Platz genommen hatte sogar WM schauen und für die zwei Stunden trat tatsächlich auch noch eine Life-Band auf die Bühne. Mit Wehmut musste ich an eine 20-stündige Passage von Genua nach Palermo vor einigen Jahren mit einer italienischen Fähre denken. Bars und Restaurants waren eigentlich permanent "fuori servizio" und von etwas Unterhaltung konnte man nur träumen. So nahm ich es auch nicht persönlich, dass kaum als man an Bord gehen konnte, der Himmel plötzlich aufriss und wieder schönster Sonnenschein herrschte. Ab so viel Entertainment hätte ich fast meine Vorfreude auf Helsinki, der vierten Station meiner Reise vergessen. Doch davon später.

Antworten (1)

Esther
Ach da bin ich doch froh, im Jahr 2007 in Tallin gewesen zu sein. Auch da gabs schon Touristen aber keinesfalls in diesem Mass! Die baltischen Staaten waren damals fast noch Neuland. Nächstes Mal aufs Land!

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