Veröffentlicht: 06.08.2021
Tarvisio - Venzone (60 km) - Unser Wehklagen wurde offenbar erhört, zwar sah gestern morgen in Tarvisio nach wie vor alles grau in grau aus aber immerhin kam entgegen der Voraussage nichts mehr von oben herab und für den Rest des Tage sollte sich sogar die Sonne zeigen. So starteten wir nach 10h und fädelten sogleich wieder auf die alte Bahnstrecke ein. Zuerst geht es nochmals etwa 3.5 km leicht nach oben und man überwindet eine wunderschöne Hochebene, die einer Parklandschaft ähnelt. Dann senkt sich die Strecke und das ist das wunderbare an dieser Etappe: da es sich eben um eine Bahntrassee handelt, sind sowohl Steigungen wie auch Gefälle sehr moderat, so dass man auch die Bremsen kaum braucht. Wir durchqueren die ersten Tunnel (insgesamt werden es 27 werden), die längeren sind sehr gut beleuchtet, wechseln die Flussseite der Fella, Kreuzen mehrmals spektakuläre Auto- und Eisenbahnbrücken und gelangen schliesslich nach Pontebba, wo bis nach dem ersten Weltkrieg die Italienisch-Österreichische Grenze verlieft. Im Café della Porta gibts den ersten Cappuccino, mitten im Dorfkern.
Was danach folgt, ist mitunter etwas vom allerbesten, dass man auf zwei Rädern erleben kann! Nach Durchquerung des Dorfes kommt man wieder auf die Bahntrasse. Jetzt folgt Tunnel um Tunnel, Brücke um Brücke, hoch oben auf der Talseite erwartet einem hinter jeder Kurve ein neuer fantastischer Blick ins Tal. Seitentäler mit Wasserfällen, spektakuläre Brücken (die alten Eisenbahnbrücken wurden für den Radweg aufwändig restauriert) und eine wilde Vegetation. Es riecht nach Thymian und Rosmarin und es ist klar, dass es nun gegen Süden geht. In Chiusaforte kehren wir im ehemaligen Bahnhofsgebäude ein, dass zum Biker- und Einheimischentreff geworden ist. Sehr sympathisch und stimmungsvoll! Weiter geht es - immer noch auf der Trassee bis nach Resiutta, wo der ausgebaute Radweg vorläufig endet. Allerdings haben hilfsbereite Einheimische einen Hinweis auf die den Radweg gesprüht, der einem den Weg über einen Trampelpfad auf den noch nicht ausgebauten Teil weisst. Dieser ist etwas holprig aber problemlos befahrbar und man vermeidet damit immerhin ein paar Kilometer auf der Hauptstrasse SS13, die doch sehr verkehrsreich und mit vielen Lastwagen auch etwas unangenehm ist. Die letzten 3-4 km bis zu unserer Unterkunft führt dann aber keine weg daran vorbei aber das ist weder dramatisch noch trübt es das wunderbare Erlebnis dieser Etappe. Interessant ist auch, dass man trotz der relativ vielen Radtouristen vielfach das Gefühl hat, komplett alleine unterwegs zu sein.
Wir erreichen das Alma Living Hotel, dass etwa 3.5 km vor Venzone liegt und sich äusserst freundliche Herberge mit sehr gutem Restaurant entpuppt, wo auch viele Einheimische aus der Umgebung zum Nachtessen hinkommen (das sagt für Italien eigentlich genug). Davor haben wir aber nur schnell unser Gepäck deponiert und uns gleich wieder in den Sattel geschwungen, um uns noch das mittelalterliche Städtchen Venzone anzuschauen. Ganz mittelalterlich ist es eigentlich nicht mehr. Venzone wurde 1976 während der verheerenden Erdbebenserie bei zwei Beben im Mai und September praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Ein Bürgerkommittee beschloss, die Stadt anhand von über 100'000 Fotografien, anhand welcher die Trümmerteile zugeordnet und nummeriert wurden wieder aufzubauen. Eine unglaubliche Leistung und die Mühe hat sich, wie die Bilder zeigen mehr als gelohnt.
Das Nachtessen und Frühstück im Hotel Alma Living war übrigens erste Klasse. Vor allem den Umstand, dass am Morgen der Capuccino an der Bar zubereitet wird und nicht wie leider unterdessen vielerorts auch in Italien üblich aus dem Automaten kommt, möchten wir hier äusserst lobenswert erwähnen!