Veröffentlicht: 01.05.2023
Unser nächstes Ziel steuern wir mit gemischten Gefühlen an. Die Normandie war ja 1944 der Schauplatz der amerikanisch-britischen Landung an der Küste der Normandie, um Europa von der Herrschaft der Nationalsozialisten zu befreien.
Diese Landung in der Normandie am Morgen des 6. Juni 1944 hat so vielen Menschen das Leben gekostet, das es einem davor schauert, diese Plätze zu besuchen. Ich bin mir auch unsicher, mit welchem Gefühl ich mich hier bewegen werde.
Die sogenannten Landungsstrände erstrecken sich hinter Caen über die gesamte Küstenlinie. Die Strände tragen noch den Namen der damaligen Militäroperation (Utah Beach, Omaha Beach, Juno Beach ...) Der bekannteste Abschnitt ist Omaha Beach, ein langer feinsandiger Strand mit hellem Sand. Die schroffe Steilküste offenbart hier eine Lücke ins Hinterland, die offensichtlich als geeignet zum Anlanden schien.
Als wir dort am Strand stehen, wirken die Mahnmale, Gedenksteine und die vielen Besucher schwer. Man hat die Bilder aus den Filmen im Kopf, in denen die Landung in der Normandie gespielt wurde und die jungen Soldaten von Geschossen und Granaten empfangen wurden. Die Ungeheuerlichkeit von Kriegen wird einem hier bewusst, wenn man auf dem Sand steht, der für tausende von Menschen das letzte Bild war, welches sie im Leben sahen.
Ein Ehepaar um die 50 Jahre steht auf dem Strand und tanzt. Vielleicht war ihr Großvater einer der Soldaten, deren Leben hier endete. Vielleicht wartete zuhause die Frau mit dem kleinen Sohn oder Tochter auf den Mann, der nicht mehr zurückkehrte. Das Kind musste also ohne Vater aufwachsen. Angenommen, das Kind war 1944 gerade 2 Jahre alt, wäre es heute 80 Jahre alt und möglicherweise der Vater eines der beiden Menschen, die hier am Strand tanzten. Dann würden sie es für ihren Großvater machen, den sie nie kennenlernen konnten.
Als aktuell stolzer Großvater werden mir bei diesem Gedanken die Augen feucht.
Nie wieder Krieg - das kann doch nur die Warnung sein, die von solchen Orten ausgeht.
Der Strand liegt jetzt so friedlich da und wird auch von den Kindern zum spielen genutzt. Das ist wohltuend, trotz aller Gefühle.
Wir entscheiden uns, in der Nähe einen Platz zum Übernachten zu suchen und werden nur 6 km entfernt auf einem Bauernhof (Ferme de Rouge Fosse) fündig. Der große Bauernhof mit Viehwirtschaft hat im hinteren Teil 8 Stellplätze für Wohnmobile geschaffen, die sogar mit Strom und Entsorgung angeboten werden - für 10,- € die Nacht.
Das ist dort so wohltuend friedlich und schön, dass wir für 2 Nächte bleiben.
Am Sonntag fahren wir dann mit dem Rad die Küste entlang. Direkt an der Kante der Steilküste verläuft ein Radweg, den Teil der maritimen "Piste du Velo" ist.
Erstes Ziel ist eine 4 km entfernte Bunkerstellung, der Point du Hoc. Hier steht ein Besucherzentrum, Gedenktafeln und ein Rundweg entlang der Bunkeranlagen. Der Platz war ein Beobachtungsposten der deutschen Truppen und lag auf einer Landspitze mit Blick in Richtung Ost und West. Die Klippen sind hier etwa 30 m hoch und steil. Der Gedanke, dass hier die Truppen landeten und hinaufklettern mussten, raubt mir den Atem.
An den Gedenktafeln werden die amerikanischen Soldaten für ihren Mut, Tapferkeit und Willen zur Befreiung der westlichen Welt geehrt.
Besonders der Ausspruch "ever forwards" - nur nach vorne - macht mich betroffen. Sehenden Blickes sind die vielen Männer in den Tod gelaufen und haben denen, die folgten, den Weg bereitet.
Was für eine beschissene Welt - nie wieder Krieg.
Danach lassen wir uns beim Radfahren den Kopf freipusten. Am anderen Ende von Omaha Beach ist der amerikanische Friedhof, den wir nun ansteuern.
Auf dem Weg dorthin sind allerlei Museen, Ausstellungen, Mahnmale und Monumente zu sehen. Alle haben immer dieselbe Aussage - in Gedenken an unseren tapferen Männer, die für amerikanischen Werte und die Freiheit gekämpft haben.
Der Friedhof liegt direkt oberhalb des Omaha Beaches und ist sehr modern aufgebaut. Besucherzentrum und Parkanlage mit außergewöhnlichen botanischen Pflanzungen versprühen eine stilvolle Atmosphäre.
Das außergewöhnliche große Gedenkmonument in der Mitte der Anlage ist der zentrale Ort inmitten des Friedhofes. Von hier erblickt man die aufgereihten weißen Kreuze, alle mit Namen versehen, gelegentlich ein Blumenschmuck oder eine amerikanische kleine Flagge am Fuß des Kreuzes. Hier bekommen die Gefallenen einen Namen.
Als dann noch ein Kranz im Monument aufgestellt wird und ein Glockengeläut die amerikanische Nationalhymne spielt, ist der Höhepunkt erreicht.
Wir verlassen den Friedhof, der übrigens amerikanisches Staatsgebiet ist, und müssen erstmal durchatmen.
Die Überreste aus dem Krieg haben uns bereits seit der Einfahrt nach Frankreich begleitet. Irgendwo stand immer ein Bunker oder ein Mahnmal. Jetzt stehen wir sozusagen an der Stelle mit der höchsten Aussagekraft und wir haben uns dem auch hingegeben.
Nun reicht es aber auch.
Ab sofort verlassen wir die Route 1944 und wollen uns mit der Gegenwart beschäftigen.
Zurück an unserem Womo auf dem tollen Stellplatz drehen wir nochmal eine Runde über den Hof, freuen uns über die Kühe und Kälber und planen das nächste Ziel für morgen.