Veröffentlicht: 02.02.2022
01.01.2022
In der Schule schreiben meine Fünftklässler eine Prüfung und das meine ich so wörtlich wie selten. Schreibe ich doch zuerst alle Aufgaben an die Tafel und schreiben sie sie ab, bevor sie anfangen können. Schule fühlt sich an wie Honig, nur weniger süss. Die Stimmung ist heute eher bitter und ich erlebe die erste Tracht Prügel mit. Ein Lehrer legt all seine Schüler auf den Bauch unter einen Baum und schlägt mit einem Stock fünf- sechsmal zu. Nach zehn Kindern bricht der Stock und er sucht sich einen Neuen.
Lilian ist uns am Abend des Konzertes auch besuchen gekommen. Sie erzählte, dass auch sie den Stock einsetzt, jedoch eher auf psychologische Kriegsführung setzt. Du musst den wunden Punkt der Kinder ausfindig machen, sagt sie und diesen dann ausnutzen. Sie setzt darauf, dass die Kinder zu Hause auch ihre angebrachte Tracht Prügel erhalten und sie auf der Bugwelle der hiermit geschürten Angst mitreiten kann.
Am Abend besuchen wir die Familie einiger Schülerinnen der Sekundarschule. Die Familie ist Teil des Stammes der Viehhirten. Diese seien zwar reich, aber insgesamt zurückgeblieben sagt Regina. Preise für Tierprodukte sind immer gleich hoch und in Krisen fast noch höher, was ihre Existenz sichert.
Schon die Begrüssung ist eine andere als gestern und das ganze Gefühl ein anderes, wobei es mir schwerfällt, den Finger auf die Ursache zu legen. Wir bekommen geräuchertes Joghurt und Kuhmilch angeboten, von denen ich mir beide Male jeweils einen Anstandsschluck einverleibe. Ziemlich direkt setzen üble Bauchschmerzen ein und als das Essen serviert wird, habe ich das Gefühl in den Topf mit der extra für uns geschlachteten und eingekochten Geiss zu kotzen. Auch hier sitzen wir auf Stühlen, die Frauen am Boden, der Mann auf dem Sofa. Frauen müssten in dieser Kultur dick sein wird uns erklärt. Die Hochzeit, die wir Ende nächster Woche besuchen sollen, illustriert diese Einstellung. Die Frauen dürfen ab Verlobung ausschliesslich noch Milchprodukte zu sich nehmen und keinen Sport mehr machen.
Ich gehe hinaus an die frische Luft, wo mich einer der acht Kinder der Familie in gebrochenem Englisch fragt, was ich denn hier draussen tun würde. Er ist aus der Schule genommen worden, da er von mehr Nutzen sei beim Vieh. Auch die Dauer des Schulbesuches der drei Mädchen ist unsicher, laufen doch jetzt schon Verhandlungen zum Preis der Mitgift. Wird sich einmal geeinigt, wird Bildung abgebrochen und die Mädchen sollen Kochen, Putzen, Kinder gebären und vor allem keine Fragen stellen.
Der Weg nach Hause ist noch lang also verabschieden wir uns kurz nach Sonnenuntergang. Als noch etwa eine halbe Stunde zurückzulegen ist, würgt es auf einmal den Motor ab, sämtliche Elektronik gibt den Geist auf und wir rollen langsam aus. Dankbarerweise haben wir kaum Empfang und können Regina, die vor uns gefahren ist nicht erreichen. Zum Glück ruft sie an, um zu fragen, wo wir sind. Sie kommt zurück, klopft mit einer rostigen Zange auf die Batterienkontakte und das Licht erwacht zum Leben. Ich hoffe, dass die Nacht meinem Magen etwas Erleichterung bringt.