Veröffentlicht: 13.05.2023
Ich mache mich fertig, die Nacht war unruhig. 10 Minuten Meditation richten so einiges, um ein Mittagsschläfchen werde ich später noch herum kommen. 🥱
Ich nehme die Bahn von Osaka nach Kyoto. Das ist hier so ein Ding. Bei uns ist die Streckenauswahl recht eingeschränkt. Willst du mit den Zügen von A nach B, dann hast du relativ wenig Spielraum. Hier hingegen gibt es einen großen Spielraum, wenn du in den Ballungsgebieten unterwegs bist. Es gibt hier einen Mix aus öffentlichen und privaten Anbietern von Zuglinien. Diesen Mix gibt es auch mit Bahnstationen. Das ist vermutlich einer der Gründe, warum es so effizient und pünktlich zu geht.
Die S6 fällt mal wieder aus? Tja, leb' damit.
Die Tanimachi Line kommt 5 Minuten zu spät? Na gut, gehe ich halt rüber zur Konkurrenz.
Beim Umsteigen hüpfe ich schnell auf das nächste Gleis, perfektes Umsteigen. Ich wuchte mein Backpack auf den Gepäckträger, verstaue ihn dort und setze mich hin. Nachdem der Zug losgefahren ist stelle ich allerdings fest, dass ich den falschen genommen habe. Also schon die richtige Linie, aber den Local Train statt den Limited Express. Der Local hält wie eine Bimmelbahn an jeder Station und wartet auch ein wenig länger. Ich lote meine Optionen aus und entscheide mich für den Flow. Laptop ausgepackt, Tippen und die Landschaft genießen. Bis zum Check-in habe ich ja sowieso noch etwas Zeit. Und um meinen Ausstieg muss ich mich nicht sorgen, der dauert noch eine Weile.
Ich sitze, tippe, schwimme im Gedankenteich, bis mich etwas aus meinen Gedanken reißt. Etwas Weiches. Etwas aus Stoff. Etwas 10 kg schweres .
"Darf ich vorstellen? Backpack, Kopf. Kopf, Backpack."
Ich habe nicht im Ansatz eine Idee, wie mein Rückenbegleiter sich losmachen konnte. Ich fange mich, sammele mich, höre der Durchsage zu. Dieser Zug endet hier. Die Locals verkehren also nur zwischen den Limited Express Stationen. Wieder etwas gelernt.
Was den Zeitpunkt meines Backpack-Kusses angeht, so habe ich schon längst aufgeben, Zufälle zu hinterfragen... 🔮
Ich komme in Kyōto an, habe noch gut zwei Stunden bis zum Check-In, weshalb ich auch in den nächstgelegenen Starbucks gehe; was für eine Überraschung. :D
An der Theke bestelle ich einen grünen Tee. Zumindest versuche ich das. So simpel es auch klingen mag heißes Wasser mit Geschmack zu bestellen. Wenn du die abgefahrensten Version von Getränken erhalten willst, kein Thema. Aber simplen Tee? Keinen Latte, einfach nur Tee. 🙄 Irgendwann haben wir uns dann durchverständigt. Sie fragt mich noch etwas, vollführt eine ausladende Rührbewegung. Ach schön, ja, warum nicht bereits umgerührten Tee erhalten. Am Tisch finde ich dann heraus, dass es die Schlagsahne-Bewegung war. 🤨
Welcher Wahnsinnige bestellt freiwillig simplen Tee mit Schlagsahne. Bis ich den Tee überhaupt trinken kann, ist die Sahne bereits eins mit dem Tee. Ich stemple es als "ausprobiert und durchgefallen"-Erfahrung ab.
Während ich so aus dem Fenster schau und tippe, merke ich nicht nur am Ortsnamen, dass ich wieder zurück in Kyōto bin. Draußen junge Frauen in Kimonos, die anmutig durch die Straßen schreiten. Kein Spur von Überheblichkeit oder Arroganz, just the way it is. Auch ist mir hier der weiblichere Kleidungsstil aufgefallen. Er ist mir vermutlich aufgefallen, weil es bei uns wohl nicht so sehr ist. So genau kann ich das mittlerweile nicht sagen, denn mit sieben Wochen habe ich eine Gewohnheitsgrenze überschritten. Neue Gewohnheiten etablieren sich im Schnitt nach rund sieben Wochen.
Es ist hier eine schöne Normalität, dass Frauen in (Sommer)Kleidern rumlaufen. Es unterstreicht die feminine Schönheit ohne dabei billig auf "mein Rock ist kürzer als deiner" zurückzugreifen. Es ist für mich wie ein Unterschied vonbeblumter Allee und Fleischtheke.
Entweder gehe ich eine schön anzusehende Allee entlang, auf der an beiden Seiten verschiedene schöne Blumen in allen Variationen und Farben blühen und süßlich duften. Angucken und im Vorbeigehen wertschätzend bewundern, gerne. Pflücken ist ein No-Go.
Oder du gehst auf dem Wochenmarkt zwischen den Fleischtheken vorbei. Dir wird an jeder Ecke nacktes Fleisch so billig wie möglich um die Ohren gehauen, welches du einfach nur runterschlingen sollst.
Ich bin kein Eunuch - auch ich lasse meinen Blick gerne mal über die Fleischtheke schweifen. Ich bin auch nur ein Mann, das zu Vergleugnen wäre mich zu verleugnen und gegen mich zu arbeiten, statt mich zu lieben. Aber... Es ist schwer zu beschreiben, wenn man das hier nicht mal selbst gesehen hat. Es ist schön anders, und es ist anders schön.
Natürlich gibt's auch in Japan auf beiden Seiten der Geschlechter die komplette Bandbreite an Kleidungsstilen und Unarten. Die komplette Bandbreite? Nein, das stimmt nicht.
Frauen laufen hier in Hosen- und Rockanzügen rum, addrett.
Frauen ziehen auch hier Jeans und T-Shirts an. Es gibt auch die leichte Mädels, wenn auch nicht so weit verbreitet. Aber es hat sieben Wohnung gebraucht, bis ich die erste asiatische Frau mit Leggings hier gesehen hatte.
Und jetzt, wo ich so über die Kleidungsstile der Männer hier nachdenke: Ich habe bisher nicht eine Person - männlich und weiblich - gesehen, die eine Jogginghose trug. Also gut, abgesehen von einem Jogger.
Ich denke, ich werde wohl zu Hause noch mal meinen Kleiderschrank auf links drehen. Weniger Auswahl, mehr Stil. KISS, Keep It Simple & Sexy.
Ich komme in der Unterkunft an. Es ist eine eher wohl Gegend, das Hotel macht von außen einen eine Mischung aus modern und zugleich traditionell. Das Gebäude hat vier Stockwerke. Es gefällt mir, ich gehe rein und es empfängt mich eine junge Mitarbeiterin, um die 20, an der Rezeption. Sie ist gekleidet in einem gold-schwarzen, auch modern-traditionellen Aufzug. Ihr Englisch ist recht gut, ich komplementiere das entsprechen. Es ist immer wieder schön, wie Leute aufblühen können, wenn man etwas ehrlich einfach ausspricht.
Ich betrete das Zimmer, es ist noch einladender als auf den Bildern. Mir gefällt es auf Anhieb. Schnell hüpfe ich in den nächsten Food Market, 6 Minuten entfernt, hole mir was zu essen, die Arbeit wartet - oder auch nicht. 😅
Auch die Gegend ist wie ein Traum für mich. Ich bin auf dem Weg hierhin an einem Torii vorbeigekommen, der zu zwei Schreinen führt. Quasi in meinem Hinterhof, ein Steinwurf entfernt. Die Straße runter ein kleiner Park, gegenüber eine Poststation, damit ich endlich die Briefe abschicken kann. Und der Bento-Kochkurs morgen ist 3 Minuten zu Fuß entfernt. Die Tee-Zeremoni nur 15 Minuten. Als könnte ich dieses Land verlassen und dabei nur Tee aus PET-Flaschen getrunken haben. 😁