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Napoli: Die Stadt, die immer wäscht

Veröffentlicht: 04.05.2018

Das Bild von Neapel ist für mich unzertrennlich mit dem Bild frisch gewaschener Wäsche verbunden. Frisch gewaschene Wäsche hängt hier überall: Vor den Fenstern und auf den Balkonen, über den schmalen Häuserschluchten und auf dem Wäscheständer mitten im Verkehr. Sie wird neben Wäscheklammern auch schon mal mithilfe ausgeklügelter Konstruktionen festgehalten – beispielsweise einer vollen Wasserflasche, die ans Ende der Bettlaken gebunden als Gewicht dient. Die Wäsche trocknet und prägt das Stadtbild, während ich mir Sorgen um ihre Sauberkeit mache: Denn ist die Wäsche immer noch wie frisch gewaschen, wenn sie Stunden lang über oder mitten in den Auto- und Mopedabgasen baumelt? Und dann fängt es während meines zweitägigen Aufenthaltes auch noch ständig zu schütten an – und wieder bin ich in Gedanken bei der frisch gewaschenen Wäsche.

Neben trocknender Wäsche sind es die Mopedfahrer, die das Stadtbild und die städtische Geräuschkulisse beherrschen. Sie düsen in einem Teufelstempo und mit heulendem Motor durch engste Gassen, ohne vor den Kreuzungen zu bremsen, geschweige denn sich um Vorfahrtsregeln zu kümmern. Nur eines tun sie, um andere Verkehrsteilnehmer von ihrem Herannahen in Kenntnis zu setzen: Sie hupen. Sie hupen an jeder Kreuzung, sie hupen beim Abbiegen, sie hupen aber auch, um sich gegenseitig zu grüßen. Hat man also den aufheulenden Motor überhört, muss man sich spätestens beim Hupsignal in Sicherheit bringen.

So spaziere ich unter und neben baumelnder Wäsche fremder Leute umher und springe alle zwei Minuten hupenden Mopedfahrern aus dem Weg. Neapel ist auf eine schräge Art lustig, Neapel ist mit der Zeit aber auch anstrengend. Und was mich bei meinen Rundgängen allmählich bedrückt, ist die Armut, mit der ich konfrontiert werde. Denn sie ist nicht zu übersehen.

Hierzu eine Szene, die mich besonders berührt: Eine vierköpfige Familie macht Großputz. Da sich die Wohnung direkt neben der Straße im Erdgeschoss befindet, kann ich direkt hineinblicken: Sie besteht aus einem einzigen ca. 40 m² großen Zimmer, das in Wohn-, Ess- und Duschbereich aufgeteilt ist. Papa liegt auf der Couch und scheint nicht ganz bei sich zu sein. Mama und 2 Töchter (ich schätze 8 und 12 Jahre alt) schrubben wie wild die Fenster, die ärmlichen, abgenutzten Möbelstücke stehen teilweise auf der Straße – ich schätze, es wird auch der Boden sauber gemacht. Das Radio läuft mit voller Lautstärke, und die große Tochter singt mit. Sie singt so laut, dass sie alles übertönt: Das Radio, die hupenden und mit aufheulendem Motor vorbeifahrenden Mopeds, die Flüche der Autofahrer, die Gespräche der Umherstehenden, vermutlich auch ihre eigene Not. Sie singt mit einer so kräftigen Bruststimme, dass ich mir für einen Moment sicher bin, dass sie es schaffen wird, der winzigen Wohnung mit ärmlichen Möbeln und einem komatös wirkenden Vater zu entkommen. Dann verfliegt der Moment, und ich sehe nur noch den Müll rundherum, eine kränkliche Katze, die herumliegende Essensreste beschnuppert und eine Nachbarin, die einen Kübel voller Abwaschwasser direkt vor den Habseligkeiten der Familie auf die Gasse leert. Dann höre ich wieder ein Hupen und biege schnell in eine andere Straße ab.

Die Armut berührt einen in Neapel auf Schritt und Tritt. Die Hauptstadt der Region Kampanien ist zwar nur 230 km von Rom entfernt, trotzdem liegen Welten zwischen den beiden Metropolen. Allein wenn man sich die Preise anschaut, stellt man fest, dass sie sich auf dem kurzen Weg in den Süden quasi halbiert haben. Und doch oder gerade weil: An vielen Straßenecken steht ein Schrein, hängt ein Kreuz oder das Bild eines Heiligen. Und in der Via San Gregorio Armeno, in der sich auch meine (etwas heruntergekommene) Unterkunft befindet, ist das ganze Jahr über Weihnachten. Denn die Straße, auch bekannt als „Krippenstraße“, bietet ganzjährig alles rund um Krippenfiguren und Zubehör an, ob von Hand gemacht oder aus Plastik. Eine Straße voller Kitsch und voller Hoffnung mitten in einer Stadt mit ganz viel Armut und Not.

Klar, es gibt zahlreiche sehenswerte Kirchen und Museen, die belebte Einkaufsstraße Via Toledo mit vielen schicken Boutiquen und der Galleria Umberto, die hübsche Piazza del Plebiscito mit dem Königspalast (Palazzo Reale) und nicht zuletzt die Festung Castel Sant’Elmo auf einem Hügel über der Stadt, doch der Großteil der Altstadt (übrigens UNESCO-Weltkulturerbe) macht einen sehr verwahrlosten Eindruck. Und dennoch: Wenn ich in Neapel jemanden anlächle, bekomme ich ein Lächeln zurück, wenn ich nach dem Weg frage, bekomme ich alle Infos, die ich brauche und wenn ich ein Foto machen möchte, springt man mit einem „Scusi“ aus dem Bild. So groß die Not auch ist, so groß ist auch die Herzlichkeit. Und ich hoffe für alle Neapolitaner, dass die Wäsche, wenn sie dann abgehängt wird, jedes Mal trocken und sauber ist!
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