Tour dei Baschenis
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Eskapismus in die Welt der Fresken

Veröffentlicht: 17.10.2020

Wir haben es tatsächlich geschafft, alle 40 Kirchen zu besichtigen. Fast alle Pfarrer, Mesner*innen und Freiwilligen waren zur Stelle oder hatten die Kirche zumindest pünktlich aufgesperrt. Nur am letzten Tag standen wir gleich dreimal vor geschlossenen Türen, aber nach kurzen Erinnerungen per Telefon waren auch diese Probleme bald gelöst. In manchen Kirchen hat uns die Alarmanlage an der genauen Betrachtung der Fresken gehindert, die häufig hinter dem Hochaltar in der Apsis versteckt sind - auch da konnte Roby immer einen netten Menschen auftreiben, der die Alarmanlage für uns abschaltete. Wir sind all den liebenswürdigen Menschen dankbar, die uns ihre Kirchen aufgesperrt und manchmal auch überaus ausführlich erklärt haben. Keine*r wollte einen Groschen Geld dafür (wir haben trotzdem meist eine Spende für die Kirche hinterlassen). Ein bisschen waren wir wie Wesen mit zwei Köpfen - fast alle fragten, wie wir auf diese Leidenschaft für die Baschenis gekommen seien. Die Erklärung ist einfach: 2015 war ich mit meiner Mutter in Südtirol und im Trentino unterwegs. In Carisolo (das ist die Kirche mit dem früheren Totentanz von Simone II auf der Außenfassade, der nicht so gut erhalten ist wie der berühmte in Pinzolo) haben wir eine Broschüre der Provinz Trento bekommen, in der alle Kirchen verzeichnet sind, in denen die Baschenis gemalt haben: ein richtiger kleiner Reiseführer mit Fotos und guten Texten. Wir haben es witzig gefunden, dass es da Maler gibt, die gar nicht schlecht sind, von denen selbst die wirklich interessierten Kunstkenner*innen noch nie etwas gehört haben - und diese Tour dei Baschenis schon lange geplant, aber, wie eingangs schon geschrieben, erst für das höhere Alter.

Uns hat die kleine Reise richtig viel Spaß gemacht - und sie hatte einen Nebeneffekt, den wir nicht vorhergesehen haben. Die dauernde Beschäftigung mit den Fresken hat uns für ein paar Tage aus der bedrückenden Corona-Welt befreit. Ja, wir haben bei den Besichtigungen Masken getragen, was insbesondere für mich sehr lustig war, weil sich bei jedem Atemzug meine Brille beschlagen hat - das hilft bei der Betrachtung von Fresken ungemein. Ja, die Menschen haben im Freien Masken getragen, obwohl sie das nach der Rechtslage nicht so häufig hätten tun müssen - aus Unsicherheit, Angst (vor den hohen Strafen und der Krankheit) oder Rücksichtnahme. Es ist beklemmend zu sehen, wenn Menschen in den Bergen allein mit Maske spazieren gehen, weil klar ist, dass da eine irreführende Informationspolitik dahintersteht. Aber für mich am schlimmsten war es, in Trento unterwegs zu sein, wo fast alle Masken trugen. Das war geradezu gespenstisch - und auch dort so nicht vorgeschrieben. Wir setzten unsere freundlichen Masken nur auf, wo es eng wurde - die Polizei, die alles streng beobachtete, hatte damit kein Problem, manche Passanten*innen schon, wie die bösen Blicke zeigten, denn fast alle waren davon überzeugt, dass man im Freien unter allen Umständen Maske zu tragen habe - und nicht nur dann, wenn man den Sicherheitsabstand nicht einhalten kann, wie es die Verordnung vorsieht. Ich würde jedenfalls von Städtereisen abraten, solange derartige Missverständnisse herrschen könnten - und flüchte noch einmal in die Welt der Familie Baschenis. 

Eines ihrer liebsten Motive war das Letzte Abendmahl, bei dem der Verräter Judas immer als einziger auf der anderen Seite des Tisches sitzt und, als Karikatur eines Juden gemalt, eindeutig antisemitische Einstellungen (von Auftraggebern und Malern) verrät. Der Tisch ist stets reichlich gedeckt, und immer befinden sich zahlreiche Flusskrebse unter den Speisen. Die Flusskrebse, zur Zeit der Baschenis in den Bächen des Trentino omnipräsent und ein typisches Arme-Leute-Essen, sind eine Besonderheit der Baschenis-Abendmähler. Aber in der klassischen Ikonographie sind sie ein absolutes No-Go auf dem Abendmahlstisch, denn für die Juden (deren Pessachtafel ja eigentlich abgebildet wird) sind sie nicht koscher, und für die Christen sind sie ein Zeichen des Bösen. Die Fotos bieten noch einmal einen Vergleich zwischen den malenden Familienmitgliedern.

Interessiert haben wir übrigens zur Kenntnis genommen, dass es auch eine trentinische Version des Anderl von Rinn gibt. Das alte große Tirol scheint ein gutes Pflaster für solche antisemitischen Legenden gewesen zu sein. Wir haben zahlreiche Fresken aus der Hand der Baschenis gesehen, die den "beato" Simonino darstellen: einen kleinen Buben, der 1475 angeblich von Juden aus Trento umgebracht worden war (das Anderl ist angeblich 1462 ermordet worden). In Wahrheit ging es der Kirche darum, Judenpogrome zu rechtfertigen; sie hat sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts offiziell von diesen Legenden distanziert: 1965 in Trento und 1994 in Innsbruck.

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