Veröffentlicht: 09.10.2020
Ich habe eine große Schwäche für Fresken, und zwar gar nicht so sehr, weil sie kunsthistorisch bedeutend sind, sondern weil sie so etwas wie die Vorläufer unserer Comics sind - und ganz ohne Text auskommen. Die Zeitgenossen*innen der Maler (ja, das waren damals nur Männer) konnten die Bilder an den Wänden der Kirchen (das ist ihr üblicher Platz) lesen, auch wenn sie gar nicht lesen konnten. Hier in den trentinischen Bergen war das für die bäuerliche Bevölkerung vielleicht noch wichtiger als in den Städten der Toskana zum Beispiel.
Alle Heiligen konnten einwandfrei an ihren Attributen erkannt werden, so auch in der ersten unserer Baschenis-Kirchen, die gleichzeitig die letzte ist, nämlich die letzte, die die Malerfamilie hier im Trentino ausgemalt hat. Über die Familiengeschichte erzähle ich später noch mehr, hier nur soviel: Es gibt zwei Zweige, die beide aus der Gegend um Bergamo stammen und sozusagen als Wandermaler arbeiteten. Im frühen 15. Jahrhundert kamen sie erstmals hierher, und dann in den nächsten 150 Jahren immer wieder, um zahlreiche Dorfkirchen zu schmücken. Simone II Baschenis hat in Sant'Udalrico in Vigo Cavedine die Apsis ausgemalt: Natürlich erkennt man die Madonna mit dem Jesuskind, rechts von ihr stehen Petrus (mit Schlüssel) und Antonio Abate (mit Glöckchen, Schwein und Stab). Antonio Abate war für die Bauern wichtig, weil er als Schutzheiliger der Tiere galt (das Schwein!), außerdem bewahrte er die Menschen vor der schmerzhaften Gürtelrose (auf Italienisch: fuoco di Sant'Antonio).
Was ich mich gefragt habe: Warum zerfleddert das Jesus-Kind einen Vogel? Vielleicht den Heiligen Geist? Das wäre ja ein Sakrileg. Die Menschen des 16. Jahrhunderts werden es wohl verstanden haben.