Veröffentlicht: 26.06.2022
Tag 68: Heute Nacht habe ich sehr gut geschlafen. Nur leider wollen wir schon um 7 zum Frühstück, ansonsten hätte ich definitiv länger geschlafen. Wir gehen zu Ihop, einer Frühstückskette, die überraschend gut ist. Danach geht es mit einem uber zurück zum Trail. Ich teile mir eines mit Ninja, Gumby und Mrs Gumby. Die anderen nehmen eins kurz vor uns. Sie haben Glück, denn auf der Straße wird gebaut und sie müssen nicht warten. Wir stehen dafür gute 20 Minuten vor der Baustelle. An sich geht es mir gut soweit, das Schienbein spüre ich nur noch, wenn ich den Fuß überstrecke oder sehr plötzlich belaste, zum Beispiel wenn ich in Schnee ausrutsche. Die Erkältung ist okay, mir läuft die Nase und ich muss viel husten, was aber nicht mehr weh tut. Trotzdem merke ich, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis ich wieder komplett auf der Höhe bin. Rein körperlich durch den Husten und ich bin noch unsicher mit meinem linken Bein und laufe weiterhin, als ob es verletzt wäre. Und unglücklicherweise habe ich zumindest Warrior, vielleicht auch Hasbeen, angesteckt. Ich hoffe die beiden kommen ähnlich gut davon wie ich und dass der Rest verschont bleibt. Die Landschaft ist heute wieder unfassbar schön. Der PCT verläuft schon seit einiger Zeit parallel zum Tahoe Rim Trail und heute betreten wir die Desolation Wilderness.
Den ganzen Tag über geht es an Seen entlang oder man sieht sie aus der Entfernung. Von Dicks Pass aus gibt es eine tolle Sicht auf Dicks Lake. An dieser Stelle möchte ich wieder einmal aus FarOut zitieren: "It's not harder than myself, especially after two months without my girlfriend". Mit diesen Worten beschrieb maraminarik_ am 10. Juni 2022 den Aufstieg zu Dicks Pass.
Der Abstieg führt wieder einmal über ein Schneefeld. Ich kann den Tag kaum erwarten, an dem wir das erste Mal keinen Schnee mehr überqueren müssen, aber der wird wohl noch ein wenig auf sich warten lassen. Denn der Sommer kommt zwar, aber gleichzeitig bewegen wir uns immer weiter nach Norden. Es ist interessant zu beobachten, denn seit Wochen sehen wir die Blätter der Bäume knospen, aber immer gleich weit fortgeschritten. Seit heute bewegen wir uns auf dem FarOut Kartenausschnitt North Cal, was ein tolles Gefühl ist, vor allem, da wir zusätzlich die 1100 Meilen überqueren.
Die High Sierras waren definitiv wunderschön, aber auch körperlich und mental extrem fordernd, tückisch und gefährlich. Sie sind wie ein schönes, aber wildes Tier und man sollte nie vergessen, dass es zubeißen kann. Und wir haben noch nicht einmal ihre übelste Seite kennengelernt. Mit meinem neuen Sunhoodie bin ich sehr zufrieden. Tatsächlich fühlt es sich mit meinen besser werdenden körperlichen Beschwerden, aber vor allem mit meiner inzwischen wieder großen Freude fürs Wandern und meiner viel besseren Stimmung so an, als ob ich, in Bezug auf meinen Namen, in South Lake Tahoe erneut in Flammen aufgegangen wäre und dabei bin, mich wieder zu erheben. Und ein Outfitwechsel scheint da sehr angebracht. Jedenfalls bin ich wieder sehr gespannt, was noch vor uns liegt. Außerdem hatte ich ein Gespräch mit Hasbeen und Warrior. Wir wollen definitiv Kanada zusammen erreichen, aber in nächster Zeit lockerer umeinander hiken, sprich vielleicht auch mal getrennt campen und in der nächsten Stadt wieder zusammen treffen, einfach um mehr individuelle Freiheit zu haben. In den Sierras war das aus Sicherheitsgründen nicht möglich, aber jetzt sollte es kein Problem mehr sein und ich bin froh über diesen Ansatz. Ähnlich war es zuvor schon mit Sorry und Butterfly und wir werden sehen, inwieweit wir mit den beiden zusammen bleiben, aber mit dem System sollte dem nichts entgegen stehen.
Tag 69: Heute Nacht hatte es seit längerem Mal wieder Minusgrade. Ich habe gut geschlafen, aber das Aufstehen macht dann weniger Spaß. Heute führt der Trail die meiste Zeit durch den Wald und es gibt wenig zu sehen. Außerdem ist alles nach wie vor sehr nass und der Trail ist oft wieder ein Bach. Vom Tempo her kann ich inzwischen wieder gut mit allen mithalten.
Als wir am Mittag zum Barker Pass Trailhead kommen, treffen wir auf Trailmagic. Im Moment haben wir sehr viel Glück, was das angeht. Die Trailangel hier haben selbstgemachte Sandwiches, Sodas, Bier und alle möglichen Snacks und so verbringen wir hier einige schöne Stunden. Warrior geht es leider nicht so gut, aber wir schaffen 19 Meilen und sie hält gut durch. Und übermorgen kommen wir nach Truckee, wo wir einen weiteren Zero einlegen könnten, falls notwendig. Sorry und Butterfly sind heute weitergelaufen, ich bin mir nicht sicher, ob wir die beiden so schnell nochmal sehen. Vielleicht werden wir wieder Townfriends. Und beim Abendessen eröffnet Hasbeen uns, dass er aus persönlichen Gründen ab morgen für die nächsten 300 Meilen alleine hiken möchte. Danach wollen wir wieder zusammen weiterwandern. Ab morgen ist unsere Gruppe zunächst also deutlich kleiner und in Truckee verlassen uns dann wahrscheinlich auch die Gumbys.
Tag 70: Als ich am Morgen nach einer sehr guten Nacht aufstehe und nach dem Packen das Zelt verlasse sehe ich, dass auch Ninja weg ist. Scheinbar ist sie schon früher los, weil sie nicht mehr schlafen konnte. Der Trail führt heute durch Skigebiete und den ganzen Tag kann man Skilifte sehen. Am Morgen komme ich vom Trail ab. Kurz vor den Twin Peaks gibt es eine Trailabzweigung, die aber nicht auf der Karte ist und von der ich daher nichts weiß. Kurz vor dieser Abzweigung gehe ich auf Toilette. Als ich zurück komme und auf einen Trail stoße, nehme ich an, es sei der PCT und folge ihm. Nach etwa einer viertel Meile fällt mir auf, dass die Twin Peaks links von mir sind, aber rechts sein sollten. Ich checke die Karte und bemerke meinen Fehler. Zum Glück ist es mir noch früh genug aufgefallen, aber so viel Pech muss man auch erstmal haben.
Als ich wieder auf dem Trail bin geht es einen schönen Bergkamm entlang. Als ich aber von einem Schneefeld hinab auf den Boden springe, rutscht mein linker Fuß weg. Ich bin nicht sicher, aber ich denke ich habe ein Band gezerrt oder ähnliches. Zunächst tut es gar nicht weh, aber über den Tag ist es mal besser und mal schlechter und jetzt am Abend ist da ein blauer Fleck. Zum Glück sind es morgen nur 6,7 Meilen nach Truckee, wo ich eine Nacht verbringen möchte und genug Zeit haben sollte, den Fuß zu eisen. Am Nachmittag bekomme ich eine Nachricht von Ninja, dass sie heute schon nach Truckee hitcht, daher verabreden wir uns morgen zum Frühstück. Ich nehme an, dass sie morgen direkt weiterläuft, also heißt es morgen wohl auch von ihr Abschied nehmen. Und die Erkältung zieht weiter ihre Kreise. Am Morgen fühlt sich Gumby etwas krank und später treffe ich Waterbaby, der mit mir und Hasbeen in Tahoe in der zweiten Nacht ein Zimmer geteilt hat und sich auch nicht gut fühlt.
Tag 71: Heute Nacht haben wir auf einem Bergkamm gecampt und es war sehr windig. Aber wir finden eine windgeschützte Stelle hinter einer Baumgruppe, wodurch wir den Wind nicht abbekommen, aber es ist die ganze Nacht über sehr laut. Und als der Mond aufgeht ist es, als würden wir in einem Scheinwerferstrahl liegen. Trotzdem schlafe ich nicht zu schlecht. Die knapp 7 Meilen am morgen nach Donner Pass sind sehr schön und schnell erledigt. Angeblich wurden 1846 81 Siedler hier vom Winter überrascht und eingeschneit. 34 der Siedler starben und laut Tagebucheinträgen überlebten die anderen nur durch Kannibalismus. Wir jedenfalls nehmen ganz entspannt ein uber nach Truckee. Dort treffen wir uns mit Ninja zum Frühstück, die den ganzen tag bleiben und mit uns morgen auf den Trail zurück kehren wird. Sorry und Butterfly starten heute schon wieder. Und die Gumbys bleiben eine weitere Nacht. Ab morgen bin ich also erstmal mit Ninja und Warrior unterwegs. Der Tag in Truckee ist sehr entspannt. Nach dem Frühstück gehen wir zum Redlight Hotel. Das Zimmer der Gumbys ist schon fertig und wir können dort Duschen und unsere Sachen lassen. Danach gehen wir einkaufen und dann Kuchen essen im Coffee &. Der Kuchen ist sehr lecker. Dann ist es auch schon 16 Uhr und auch wir können unser Zimmer beziehen. Die Wäsche können wir einfach abgeben und sie wird für uns erledigt. Während wir warten packen wir und ich schaue eine Folge ZDF Magazin Royale, so gut ist das WiFi hier. Als die Wäsche fertig ist geht es zum Abendessen ins Old Town Tap, wo es für amerikanische Verhältnisse seht gute Pizza gibt. Truckee ist wirklich eine tolle kleine Stadt und der Nero hier einer der entspannendsten bisher.
Tag 72: Heute Nacht hatte ich einen sehr merkwürdigen Traum. Irgendwo in einem schwarzen Raum stand ein weißer quadratischer Tisch. An einer Seite war ich als Beobachter, körperlos. Sich gegenüber saßen "Niklas" und "Phoenix" und haben sich unterhalten. Der eine sprach Deutsch, der andere Englisch. Der eine sah aus, wie ich im Moment aussehe und trug, was ich zur Zeit jeden Tag trage. Der andere, wie ich bis vor zweieinhalb Monaten aussah und rumlief. Vom Gespräch weiß ich nicht mehr so viel, aber es war der merkwürdigste Traum, den ich bisher hatte. Nach dem Aufstehen gehen wir nochmal zum Frühstück ins Squeeze Inn und werden vom Kellner auch direkt wiedererkannt. Danach heißt es Abschied nehmen von Gumby und Jo. Für Warrior ist es am schwersten. Sie hat Gumby im Shuttle nach Campo kennengelernt und die beiden sind seit dem ersten Moment zusammen unterwegs gewesen. Aber auch ich werde Gumby definitiv vermissen. Die beiden nehmen einen weiteren Tag frei, wollen dann noch ein wenig weiter auf dem PCT und sich dann ein Auto mieten und verschiedene Touren machen. Mit Hasbeen, der sich schon vor drei Tagen auf seine Solomission begeben hat und Sorry und Butterfly, die gestern Truckee verlassen haben, sind im Moment also Warrior, Ninja und ich weiter zusammen unterwegs. Der hitch zurück zum Trailhead ist überraschend einfach. Auch hier sind die Einwohner sehr hikerfreundlich und so bringt uns Sam zum Trailhead, obwohl er da gar nicht hin muss. Mein linkes Bein ist endlich wieder komplett in Ordnung und der Husten zwar noch da und nervig und er schränkt mich immernoch ein wenig ein, aber es ist um Welten besser. Auch Warrior geht es deutlich besser und so schaffen wir heute noch 19 Meilen, obwohl wir erst nach 10 Uhr starten. Nach vier Meilen unterqueren wir die Interstate 80. Das machen wir nicht durch eine Unterführung oder ähnlichem, sondern wir waten durch Drainagetunnel. Auch eine interessante Erfahrung.
Kurz vor der Mittagspause kommen wir an der Peter Grubb Hut inklusive zweistöckigem Plumsklo vorbei. Und am Nachmittag, kurz vorm Camp, legen wir den nervigsten Abschnitt auf dem PCT bisher zurück. Wir folgen einem Waldrand, an dem noch sehr hoch der Schnee liegt. Dieser ist weich und rutschig. Direkt neben dem Schnee ist die Erde total schlammig durch das Schmelzwasser. Immer wieder geht es vom Schnee in den Matsch und zurück. Einmal posthole ich und stehe bis zum Knie im Schnee, während mein Fuß im Matsch versinkt. Ich bin wirklich durch mit Schnee. Angeblich haben wir diesen ab Meile 1177, also irgendwann morgen, zunächst hinter uns und ich hoffe, dass das stimmt. Heute sind wir seit 72 Tagen auf dem Trail. Tatsächlich hoffe ich, ihn in maximal 144 Tagen abschließen zu können, das bedeutet von der Zeit her Halbzeit. Und da wir nur noch 150 Meilen vom Halfwaypoint entfernt sind bin ich sehr sicher, dass ich das auch ohne große Probleme schaffe. Während ich das hier schreibe, fängt es an zu regnen. Ninja, die cowboycampen wollte, stopft schnell all ihre Sachen in ihren Schlafsack, gibt ihn mir ins Zelt und baut dann ihr Zelt auf. Ich bin froh, mich direkt für das Zelt entschieden zu haben.
Tag 73: Nach allem, was ich mitbekommen habe, wird Deutschland gerade von einer Hitzewelle überrollt. Als ich aufstehe, ist das Zelt von Schnee bedeckt. Drei Tage vor der Sommersonnenwende schneit es. Und das Wetter bleibt den ganzen Tag über kalt und wechselhaft mit einer Mischung aus Schnee, Regen und vereinzelt Sonne.
Ninja ist schon früher los. Sie hat drei Monate frei durch ein Sabbatical, welche Ende des Monats rum sind. Daher will sie sich noch mal herausfordern und heute so viele Meilen wie möglich machen, vielleicht sogar eine 24h-Challenge. Der Plan ist aber, dass wir uns in Quincy wieder treffen und zusammen zum Halfwaypoint gehen. Damit sind Warrior und ich also zu zweit unterwegs. Der Trail führt durch eine Region, die sehr an den Schwarzwald erinnert, wenn man den Sandstein durch Vulkangestein ersetzt. Zum Frühstück machen wir einen kleinen Abstecher zum Jackson Meadows Reservoir. Hier gibt es einen Campingplatz mit Wasser, Picknicktischen, Mülltonnen und Toiletten, sogar mit Spülung. Alles echter Luxus. Danach geht es weiter und schon vor 15 Uhr erreichen wir nach 23 Meilen unser heutiges Tagesziel, den Highway 49. Da es sehr einfach sein soll, nach Sierra City zu hitchen, wollen wir unser Glück versuchen, um Townfood zu bekommen. Schon das zweite Auto hält. Darin sitzen zwei ältere Damen, die übers Wochenende unterwegs waren und selbst nach Sierra City wollen, um etwas zu essen. Leider ist ganz Sierra City von einem Stromausfall betroffen und es gibt nichts. Wir bekommen den Tipp, es ein Stück weiter den Highway runter im Sierra Pines Resort zu versuchen. Die haben zwar einen Generator, aber die Küche öffnet erst um 17 Uhr und außerdem richten sie eine Hochzeit aus und haben davor keine Tische frei. Der Besitzer empfiehlt uns, es den Highway rauf in Bassetts zu versuchen. Das liegt sowieso auf dem Weg der beiden Damen, also nehmen sie uns dorthin mit. Dort gibt es ein Motel mit angeschlossenem kleinen Shop und Grill. Der öffnet zwar auch erst um 17 Uhr, aber es gibt selbstgemachte Sandwiches. Also holen wir uns Sandwiches und Soda und verbringen eine gute Stunde im warmen und trockenen. Danach geht es zurück zum Trail. Wieder haben wir Glück, das erste Auto nimmt uns mit. Es ist Jim mit seinem "Dirtcar", einem offenen Geländewagen. Eine super spannende Erfahrung, vor allem, da Jim zwei Töchter im Alter von einem und vier Jahren hat. Deren Kindersitze sind auf den hinteren beiden Sitzen angebracht. Jim ist super nett und Warrior kürt ihn zum coolsten Dad der Gegend. Zurück am Trail bauen wir unsere Zelte auf. Während wir da sitzen und uns unterhalten kommt Waterbaby vorbei. Auch er war in Sierra City und ist angefressen, dass alles geschlossen ist. Vor allem wollte er dort aber auch resupplien. Wir geben ihm den Tipp, nach Bassetts zu fahren. Es ist inzwischen halb sieben, aber ich bin recht sicher, dass der Grill noch offen ist, da er erst um fünf wieder geöffnet hat. Also geht Waterbaby, um sein Glück dort zu versuchen. Ich hoffe sehr, dass er etwas zu Essen und seinen Resupplie bekommt. Kurz bevor wir ins Bett gehen erklingt plötzlich eine merkwürdige Melodie und dann Sirenen, die ein bisschen klingen wie unser Katastrophenalarm. Da aber nichts weiter passiert denken wir uns nichts dabei und gehen schlafen.
Tag 74: Der Tag beginnt erstmal mit einem langen und stetigen Anstieg. Seit gestern tut mein rechter Fuß und Knöchel weh, aber nach einer kurzen Aufwärmphase ist es in Ordnung. Normalerweise trage ich Einlagen mit mittlerer Unterstützung des Fußgewölbes. In South Lake Tahoe hat mir ein Verkäufer zu Einlagen mit niedriger geraten. Da ich schon den Eindruck hatte, dass das nicht so recht passt, habe ich mir in Truckee neue geholt. Dort hatten sie aber nur welche mit mittlerer bis hoher Unterstützung. Ich habe beide Paare behalten, aber keines passt so recht und überlastet den Fuß an anderer Stelle. Was heute gut funktioniert hat, ist alle zehn Meilen die Einlagen zu wechseln. Das werde ich wohl noch zwei Tage so machen und in Quincy bekomme ich hoffentlich wieder ein passendes Paar Einlagen. Der Trail führt jedenfalls an einem schönen Bergkamm entlang und wir machen Pause um 10 Uhr nach zehn Meilen an den Tamarack Lakes. Davor überqueren wir noch die 1200 Meilen. Allerdings fällt mir das erst später auf und ich habe auch keine Markierung gesehen. Es ist schon interessant, am Anfang wurden alle 100 Meilen als großer Erfolg gefeiert, inzwischen denke ich nicht mehr wirklich daran und es kümmert uns nicht großartig.
Als wir weiterlaufen kommen wir Pack Saddle Campground vorbei. Während Warrior weiterläuft will ich dort kurz auf Toilette gehen. Gerade als ich auf dem Weg dorthin bin biegt ein Auto ein und fragt mich, ob ich eine Soda möchte. Ich nehme dankend an. Es sind zwei PCT Thruhiker von letztem Jahr, die einen Wochenendtrip gemacht haben und jetzt ein wenig Trailmagic verteilen. Ich habe Glück, denn sie haben noch zwei Sodas übrig. Die letzte bekommt eine Hikerin namens Pickels, die zusammen mit mir ankommt. Wir unterhalten uns ein wenig über den Trail und über das Burnt-Area des Dixie Fires, das bald beginnt und eine Ausdehnung von 100 Meilen hat. Das werden wohl ein paar deprimierende Tage werden. Der Rest des Tages ist zunächst unspektakulär. Wir schaffen 24,4 Meilen, wie wir uns vorgenommen haben und was uns beide sehr freut, denn so langsam geht es wieder aufwärts. Während wir abendessen kommt eine Frau vorbei und fragt, ob wir Empfang haben. Ihre Familie hat sich ein wenig die Straße runter festgefahren, was wir tatsächlich hören konnten. Leider können wir nicht weiterhelfen, also läuft sie weiter. Eine Weile später kommt sie mit jemandem zurück. Während sie ihre Familie holt, unterhalten wir uns mit dem Mann. Es ist ein Einwohner aus Quincy, der drei Meilen entfernt mit einigen Highschool Schülern campt und die Familie dorthin mitnimmt. Außerdem empfiehlt er uns die Brauerei in Quincy, die wir übermorgen sicher besuchen werden. Als es langsam Zeit fürs Bett wird, gehe ich nochmal zur nahe gelegenen Quelle, um Wasser für morgen zu holen. Gerade als ich an meinem Zelt vorbeigelaufen bin, knackt es plötzlich laut im Gebüsch neben mir. Ich schrecke zusammen und drehe mich um. Keine drei Meter von mir entfernt kommt ein Reh aus dem Gebüsch, steht da, schaut mich an und frisst. Ich beobachte es ein wenig, dann hole ich Wasser. Als ich zurück komme steht es immer noch da und lässt sich von mir nicht stören. Also hole ich Warrior und wir schauen dem Reh eine Weile zu. Irgendwann läuft es erst auf die andere Straßenseite und verschwindet irgendwann. Eine verrückte Begegnung. Ich hoffe, es erinnert sich an meinem Zeltplatz und stolpert heute Nacht nicht über mich.
Tag 75: Heute gibt es nicht viel zu erzählen. Warrior und ich haben einen guten Tagesrhythmus gefunden. Wir hiken zehn Meilen, machen Frühstückspause, hiken zehn Meilen, machen Mittagspause und hiken, wie viel wir noch nachen wollen. Heute 7,4 Meilen, womit wir seit langem mal wieder einen Marathontag gemacht haben und unseren zweitlängsten Tag überhaupt. Insgesamt sind wir die letzten Tage seit Truckee sehr gut unterwegs. Mein Husten wird immer besser, nur der rechte Fuß nervt, aber das kann ich hoffentlich morgen beheben. Seit heute Mittag sind wir wieder einmal in einem Burnt-Area. Überall an den uns umgebenden Berghängen ragen die verkohlten Baumstämme wie Zahnstocher in den Himmel. Wir campen in der Mitte einer alten Serviceroad, da man in Burnt-Areas eigentlich nicht campen soll, aufgrund der Gefahr von umstürzenden Bäumen. Aber wenn man die Brandgebiete nicht an einem Tag durchqueren kann, muss man eben zumindest schauen, eine Stelle zu finden, an der möglichst keine Bäume um einen herum sind. Was es in Burnt-Areas leider auch zu Hauf geben kann sind Moskitos. Anhalten ist quasi unmöglich, ohne sofort restlos ausgesaugt zu werden. Während ich jetzt in meinem Bett liege kleben an meinem Zelt mindestens 30 der kleinen Mistviecher, die scharf auf mich sind. Da ich weiß, dass ich ab morgen früh wieder den kürzeren ziehe, bereitet es mir eine gewisse Schadenfreude, zu beobachten, wie verzweifelt sie versuchen einen Weg zu mir zu finden. Aber zumindest für heute habe ich gewonnen.
Tag 76: Kaum komme ich aus dem Zelt, sind die Moskitos wieder da. Also wird schnell das Zelt abgebaut und los gelaufen. Zunächst beenden wir den steilen Abstieg ins Tal des Middle Fork Feather River, nur um direkt im Anschluss auf der anderen Seite wieder genauso steil aus dem Tal zu klettern. Danach sind es nur noch zehn Meilen nach Quincy. An der Big Creek Road treffen wir auf fünf Leute. Wenn ich es richtig verstanden habe drei Hiker, die hier Besuch bekommen von Freunden, zwei älteren Damen die Cousinen sind und mit denen wir uns ein wenig unterhalten. Sie freuen sich total über die vielen internationalen Hiker, die sie schon getroffen haben und zu denen ja auch wir gehören. Als sie hören, dass wir nach Quincy wollen, meint die eine, sollte sie uns später sehen bringt sie uns in die Stadt. Ein nettes Angebot, von dem wir nicht glauben, dass es eintreffen wird. Doch als wir zwei Stunden später die Bucks Lake Road erreichen, stehen die beiden tatsächlich da. Da ihre Freunde wohl noch eine Weile brauchen werden, bringt uns die eine in die Stadt. Das ist unfassbar nett und ich bin wieder einmal erstaunt, wie hilfsbereit und freundlich viele Menschen hier Hikern gegenüber sind. Da es Dienstag ist, ist in Quincy leider vieles geschlossen. Daher gehen wir essen in Jeffrey's Pub, der gefühlt als einziger Laden offen hat. Aber das Essen ist gut, daher macht es nichts. Anschließend treffen wir Ninja in unserem Zimmer in der Gold Pan Lodge. Nachdem sie während ihrer 24h-Challenge 103 Kilometer zurückgelegt hat, eine unfassbare Leistung vor der ich großen Respekt habe, vor allem da der Trail nicht einfach war und viele Höhenmeter zu überwinden waren, ist sie schon gestern angekommen und legt heute einen Zero ein, um morgen mit uns weiter zu wandern. Da wir in drei Tagen in Chester sind, wo wir einen Zero einlegen wollen, beschließen Warrior und ich hier nicht zu waschen. Nach einer Dusche geht es also zum Resupplie. Auf dem Weg holen wir uns im Spielzeugladen ein kostenloses Eis ab. Der Besitzer und der Angestellte dort sind sehr nett und wir unterhalten uns ein wenig. Nach dem Resupplie treffen wir uns mit Waterbaby und einem Hiker namens A.K.A., den Ninja gestern kennen gelernt hat, aus Ermangelung an Alternativen in Jeffrey's Pub zum Abendessen. Ich freue mich immer, Waterbaby zu treffen und auch A.K.A. ist ein cooler Typ. Zurück auf unserem Zimmer unterhalten wir uns noch eine Weile. Ninja hat hier gestern Hasbeen getroffen. Nachdem er ein paar Tage 35 Meilen pro Tag gelaufen ist hat auch er jetzt Probleme mit Shin Splints. Im Moment hiked er mit einer anderen Gruppe. Mal sehen, ob und wann er sich nochmal bei uns meldet. Darüber hinaus führen wir wieder einmal ein tiefes Gespräch über unsere Päckchen, die jeder hier mit sich herumträgt, welches mich noch lange beschäftigt.
Tag 77: Heute Nacht konnte ich nicht gut schlafen. Zunächst habe ich viel über unser Gespräch nachgedacht, dann war es sehr warm im Zimmer und dann haben auch noch einige Moskitostiche wie verrückt zu jucken angefangen. Eigentlich hatte ich mich sehr auf das Frühstück im Morning Thunder gefreut, da es laut FarOut eines der besten auf dem Trail ist. Leider haben sie heute geschlossen. Also gehen wir in Sweet Lorraine's Bakery. Die Frühstückssandwiches sind super und werden von den Muffins noch übertroffen. Auf einen Hitch zurück zum Trail brauchen wir auch nicht zu lange zu warten. Wir werden von einem Mann mitgenommen, der gerade seinen Job gekündigt hat und nun zum Angeln fährt. Ein wenig die Straße runter fahren wir an A.K.A. vorbei, den wir auch noch mitnehmen. Kurz nach dem wir wieder auf dem Trail sind beginnt dann das Burnt-Area des Dixie Fires. Mit einer Ausdehnung von bis zu 100 Meilen ist es das größte Burnt-Area, das wir durchqueren. Es ist zwar nicht durchgehend, aber die meiste Zeit geht es an komplett abgebrannten Bäumen und Sträuchern vorbei und wir laufen über Asche. Dementsprechend sehen auch unsere Beine aus. Das Ziel für heute ist das Belden Resort, das direkt auf dem Trail liegt und einen Grill, eine Bar und einen kleinen Store hat. Neben Frühstück gibt es also auch noch Abendessen. Belden liegt am North Fork Feather River. Auch dieser Abstieg ist steil und führt über enge Serpentinen. Morgen geht es dann, wie könnte es anders sein, auf der anderen Seite wieder hinauf, insgesamt 1750 Höhenmeter über 13,7 Meilen. Aber damit beschäftige ich mich morgen. Das Belden Resort ist jedenfalls sehr gemütlich und das Essen in Ordnung. Vor allem kalte Cola und kaltes Bier sind heute sehr willkommen, denn es war sehr warm. In den nächsten Tagen wird es deutlich über 30 Grad, am Wochenende sogar bis zu 40 Grad warm werden. Daher beschließen wir auch, morgen wieder etwas früher, um 6 Uhr, zu starten. Campen tun wir dann mit vielen anderen Hikern auf der anderen Seite des Flusses auf einer Rest Area.
Da es so warm ist, würde ich gerne cowboycampen. Allerdings sind auch viele Moskitos da. Zunächst versuche ich es und liege komplett in meinen Schlafsack gehüllt und mit Moskitonetz auf dem Kopf da. Um 21 Uhr gebe ich auf. Es ist einfach zu warm, um so zu schlafen. Also baue ich schnell mein Zelt auf. Das ist eine wichtige Lektion: cowboycampen mit Moskitos funktioniert nur, wenn es kalt genug ist, um sich im Schlafsack zu verstecken. Ob dann aber Moskitos unterwegs wären, weiß ich nicht.
Tag 78: Schon als wir am Morgen aufstehen, ist es warm. Während des Aufstiegs wird es noch wärmer. Wir überqueren die interessanteste Brücke des Trails bisher. Die Brücke ist nämlich letztes Jahr abgebrannt und es geht über die verbrannten Balken, die einfach im Fluss liegen.
Ich bin froh, dass wir früher los sind, denn es wird wärmer und wärmer. Während ich den Trail hinauf laufe, höre ich plötzlich keckernde Schreie und ein rauschen hinter mir. Ein Falke fliegt ganz knapp über meinen Kopf, landet auf einem nahen Baum und zetert weiter. Ganz offensichtlich hat er etwas dagegen, dass so viele Menschen hier durchkommen. Als er wieder losfliegt, halte ich einen meiner Trekkingpoles über meinen Kopf, da ich gehört habe, dass Raubvögel immer den höchsten Punkt angreifen. Allerdings lässt er mich tatsächlich in Ruhe. Später unterhalte ich mich mit anderen Hikern, die teilweise bis zu fünf Mal von dem Vogel angeflogen wurden. Ansonsten passiert nicht mehr viel. Es geht weiter durch Burnt-Areas und wir legen einen weiteren Marathontag hin.
Damit befinden wir uns jetzt genau 9,9 Meilen vor dem Halfwaypoint. Ich bin gespannt wie es wird, ihn zu erreichen. Und ich freue mich ungemein auf den Zero in Chester, der wirklich dringend notwendig ist. Seit 12 Tagen hatten wir keinen Zero mehr. Inzwischen sind meine Beine beide wieder in Ordnung, meine Hand so gut wie verheilt und auch die Erkältung abgesehen von ein paar vereinzelten Hustern über den Tag überstanden. Trotzdem habe ich das Gefühl, den Tag zu brauchen, um endgültig wieder auf den Damm zu kommen, denn körperlich bin ich sehr geschafft. Ninjas Bus nach Reno fährt erst am Montag, daher haben wir den ganzen Zero Zeit, um uns zu verabschieden und ihren Trailabschied und unsere Halbzeit zu feiern, auch wenn der Abschied am Ende wieder traurig werden wird.
Tag 79: Der Weg zum Halfwaypoint ist schön, tatsächlich wird die Landschaft durch Vulkangestein wieder interessanter. Allerdings geht es auch wieder lange Zeit durch Burnt-Areas. Und dann sind wir am Halfwaypoint. Nach zweieinhalb Monaten haben wir die Hälfte des Trails geschafft. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Es ist ein riesen Meilenstein und ich freue mich auf den Trail, der noch vor mir liegt. Doch gleichzeitig ist es inzwischen eine sehr lange Zeit, die ich schon unterwegs bin und wir sind erst am Halfwaypoint. Gerade in den letzten Tagen fühlt sich Hiken immer mehr nach einem Job an. Jeden Morgen aufstehen, Camp abbauen und laufen. Das ist, was wir halt zu tun haben. Und gleichzeitig will Kalifornien einfach nicht aufhören. Der Halfwaypoint ist definitiv eine Motivationsspritze, aber ich kann es kaum erwarten, endlich Kalifornien zu verlassen und nach Oregon zu kommen. Aber davor wollen noch 350 Meilen gelaufen werden.
Nachdem wir einige Zeit am Halfwaypoint verbracht haben, geht es noch acht Meilen weiter, um nach Chester zu kommen. Gerade als wir an der Straße ankommen, werden einige Hiker von einem Trailangel abgesetzt, die uns dann mit in die Stadt nimmt. Wieder einmal haben wir unfassbar viel Glück beim hitchen. Denn nicht nur dass sie uns in die Stadt bringt, sie hat auch Sodas dabei, die wir bei der Fahrt trinken. In der Stadt geht es dann Mittagessen im Pine Shack Frosty, wo es unglaublich gute Milkshakes gibt.
Danach ins Hostel, Duschen, Waschen, das übliche. Abendessen gehen wir mit Waterbaby und danach in eine Bar, um Ninjas letzten Trailtag zu feiern. Dort treffen wir auch A.K.A. Der Abend in der Bar ist super, wir spielen Billard, Cornhole und trinken Bier. Es wird sehr spät, erst gegen 1 Uhr sind wir im Bett. Normalerweise ist um 21 Uhr "Thruhikers-Midnight", man könnte also sagen, wir haben uns die ganze Nacht um die Ohren geschlagen.
Tag 80: Heute war ein typischer Zero, also Essen, Resupplie, Ausrüstungscheck und relaxen. Chester ist eine dieser langgezogenen Städte mit zu großen Grundstücken. Trotzdem ist alles gut zu Fuß erreichbar. Daher hatten wir einen sehr entspannten Zero. Inzwischen freue ich mich wieder aufs Hiken und auf den Trail, der Zero hat da wirklich geholfen. Ansonsten ist nicht viel passiert, abgesehen davon, dass ich von einem Glückskeks gedisst wurde: "A closed mind is like a closed book: just like a block of wood."