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Tag 139-142: Bonusrunde: noch einmal Oregon

Veröffentlicht: 18.09.2022

Tag 139: Nachdem ich also noch ein wenig Zeit im KFC und Mc Donalds totgeschlagen habe, geht es um 12:05 mit dem Greyhound nach Portland. Eigentlich dachte ich, ich könnte durchfahren, aber tatsächlich wird in Seattle der Bus getauscht und ich sitze zwei Stunden mitten in der Nacht an der Greyhound Station. Ich habe einen kleinen Kulturschock, denn es ist viel zu laut und zu viel los. In den letzten Monaten war ich auch in den Trailstädten immer klar zu erkennen als Hiker, heute morgen wurde mir noch zum Thruhike gratuliert, jetzt bin ich einfach ein stinkender Typ mit runtergerockten Klamotten, für den sich keiner interessiert. Fast fühle ich mich ein wenig meiner Identität beraubt. Ganz so schnell geht der Wechsel von Phoenix zurück zu Niklas wohl doch nicht. Das ist mir alles zu viel und ich bin sehr froh, nochmal ein paar Tage auf den Trail zurückzukehren, um das Ende des Trails richtig verarbeiten zu können. Dann geht es jedenfalls weiter nach Portland und tatsächlich ist die Amtrakstation in Portland, also der Bahnhof, um ein Vielfaches schöner und gemütlicher als jeder Bahnhof in Deutschland. Da könnte sich die Bahn noch was anschauen. Von Portland geht es jedenfalls weiter nach Eugene und dann nach Bend. Von Bend habe ich 27 Tage zur kanadischen Grenze gebraucht, jetzt lege ich die Strecke mit Hitchen und öffentlichen Verkehrsmitteln in knapp 30 Stunden zurück. Absurd. Da ich in Bend Zeit habe, resupplie ich hier für meine letzten Trailtage und fahre dann mit dem Bus nach Sisters. Hier bleibe ich auf dem Campingplatz, wasche und dusche. So vollständig sauber war ich tatsächlich schon lange nicht mehr und ich fühle mich ziemlich gut. Zu Abend esse ich Burger vom Sno Cap Drive In und die Milkshakes dort sind mindestens in den Top 3 auf dem Trail. In der Hinsicht hat es sich also schon mal gelohnt, das Closure zunächst zu umgehen, ansonsten hätte ich Sisters nämlich verpasst. Und das wäre schade gewesen, denn es ist wirklich eine schöne kleine Trailtown.
Tag 140: Nachdem ich ausgeschlafen habe hole ich mir noch fantastisches Gebäck und einen Kaffee zum Frühstück und mache mich daran, zurück zum Trail zu hitchen. Nach etwa einer dreiviertel Stunde werde ich mitgenommen. Es ist ein wenig merkwürdig, wieder in Oregon zu sein, aber die Gegend hier ist es definitiv Wert, zurück zu kommen. Zunächst geht es über ein Lavafeld, danach durch Wald und Burnt-Areas. 

Da ich es nicht eilig habe mache ich heute nur 13 Meilen und gehe zum Big Lake Youth Camp, von dem ich nur gutes gehört habe. Das Camp war bis letztes Jahr ein Jugendcamp, seit diesem ist es für Familien und es sieht genauso aus, wie die Jugendcamps, die man aus Filmen kennt. Das Personal ist unheimlich nett und gibt mir eine kleine Führung. Für PCT Hiker gibt es ein separates Haus mit kleiner Küche, Kaffee, Duschen und Waschmaschinen. Das WiFi ist sehr gut und Essen gibt es drei Mal pro Tag. Und das alles kostenlos beziehungsweise auf Spendenbasis. Definitiv einer der besten Orte auf dem Trail. Ich verbringe den Nachmittag mit anderen Hikern, später gehen wir zum Essen. Alles hier ist vegetarisch und sehr lecker. Es gibt ein Tacobuffet und ein großes Salatbuffet, das sehr willkommen ist. Ich beschließe, auch noch zum Frühstück zu bleiben, denn wie gesagt, ich habe es nicht eilig. Campen dürfen wir nicht auf dem Gelände, aber sobald man vom Gelände ist und um den See herumläuft, findet man genug gute Zeltplätze. Alleine für das Youth Camp war es den Aufwand schon Wert, nochmal hier her zurück zu kommen.

Tag 141: Nachdem ich ausgeschlafen habe geht es zum Frühstück ins Camp und dann noch ein wenig ins Hikerhaus. Der Trail führt heute viel durch Burnt-Areas, dort gibt es aber unfassbar leckere Blaubeeren und Huckleberries. Und auch immer wieder tolle Ausblicke auf den "Three Fingered Jack", der aber doch ein paar mehr Finger zu haben scheint. 

Auch heute lasse ich mir Zeit und genieße diese letzten Tage auf dem Trail. Ehrlicherweise könnte ich aber wahrscheinlich auch nicht viel schneller laufen, mein rechtes Bein macht wieder mehr Probleme. Und heute ist dann auch noch der Packsack von meinem Zelt gerissen und der Reißverschluss des Fliegengitters des Zeltes schließt auch nicht mehr richtig zuverlässig. So langsam ist es also doch an der Zeit, den Trail endgültig abzuschließen.

Tag 142: Eigentlich wollte ich heute früh starten und hatte mir um 05:30 den Wecker gestellt. Aber mir ist so gar nicht nach aufstehen und so bleibe ich noch bis um 07 Uhr liegen. Schlussendlich raffe ich mich aber doch auf und laufe los. Tatsächlich ist heute mein letzter richtiger Trailtag, denn morgen erreiche ich Olallie Lake und schaffe es hoffentlich direkt zurück an die Interstate 5. 

Während ich einen flachen Hang hinauf laufe, komnt mir eine Hikerin entgegen. Erst im letzten Moment erkenne ich Spring wieder. Ich freue mich, sie zu sehen und wir unterhalten uns über meine Erfahrung an der Grenze und Springs weiteren Trail. Sie ist am Frog Lake wieder SoBo eingestiegen. Ich wünsche ihr alles gute und mache mich wieder auf den Weg. Kurz darauf kommt mir eine Reiterin entgegen. Es ist tatsächlich die Reiterin, die ich in South California ein paar Mal gesehen habe. Auch mit ihr wechsle ich ein paar Worte, bevor es weitergeht. Vielleicht habe ich jetzt irgendwann meine Pappe von Courier genommen, oder auch nicht. 

Nach der Mittagspause komme ich dann in das ehemalige Lionshead Fireclosure, wandere um Mount Jefferson herum und komme in die Mount Hood Wilderness. Diese Gegend ist wunderschön und ich bin unendlich dankbar, dass ich sie tatsächlich noch sehen kann. Und während ich durch diese atemberaubende Natur laufe, überkommt mich plötzlich eine unbändige Freude und ein unfassbarer Stolz. Genau das Gefühl, dass ich eigentlich an der kanadischen Grenze erwartet habe. Vielleicht war es mir doch wichtiger als ich dachte, den Trail wirklich komplett zu wandern. Oder ich war an der Grenze schon zu sehr damit beschäftigt, zu planen, wie ich zurück komme um den Rest zu laufen. Jedenfalls wird mir jetzt erst richtig klar, was ich vollbracht habe. Schon als ich nur geplant habe, den Trail zu laufen, stand für mich immer fest, dass ich es schaffen werde. Und ich musste diese Einstellung auch haben, ansonsten hätte ich gar nicht starten brauchen. Doch auch für große Teile meines Umfeldes schien es überhaupt keine Frage zu sein, ob ich es schaffe oder nicht. Zwischenzeitlich hatte ich auf dem Trail das Gefühl, wenn ich jetzt abbrechen und Heim fliegen würde wäre die erste Frage, warum ich es nicht geschafft habe und erst danach würde man die bisherige Leistung sehen. Und jetzt, wo ich tatsächlich kurz davor bin, jede einzelne Meile des PCT gehiket zu haben, klingt es natürlich ironisch, mich über diese Erwartungshaltung auszulassen, da ich sie ja erfüllt habe. Aber zunächst einmal standen die Chancen genauso gegen mich wie gegen jeden anderen. Und wenn ich an all die Hindernisse denke, die sich mir in den Weg gestellt haben, gab es definitiv Momente, in denen es mindestens ungewiss war, ob ich es schaffen kann. Aber ich habe diese Hindernisse überwunden, sei es die Heat Exhaustion am ersten Tag, die Shin Splints in den Sierras, die Erkrankung in North California oder sonstige Verletzungen, Schmerzen und mentale Erschöpfung. Und ich habe Narben davongetragen, die mich wohl den Rest meines Lebens begleiten werden. Ich habe unglaubliche Landschaften gesehen, wunderbare Menschen getroffen und Freunde gefunden. All das macht mich unglaublich dankbar und ich bin verdammt stolz auf mich. Und ich brauche weder mir noch sonst irgendjemandem beweisen, was ich Wert bin. Und das liegt nicht daran, dass ich jetzt tatsächlich ein PCT Thruhiker bin, sondern daran, dass ich durch all die Erfahrungen, die ich auf dem Trail gemacht habe, meinen eigenen Wert für mich gefunden habe. Zumindest möchte ich das gerne glauben.

Nach diesem emotionalen Geschreibsel, das zum Teil vielleicht, oder auch nicht, drogeninduziert war und von dem ich noch nicht sicher bin, ob ich es veröffentliche oder für mich behalte, gibt es noch eine nette Gegebenheit zu erzählen. Am Abend, gegen halb 6, kommt mir ein Ranger entgegen. Ich unterhalte mich mit ihm, erzähle ihm, dass ich nur diese Section nachhole und wie froh ich bin, dass das Closure geöffnet hat und wie sehr mir dieser Abschnitt gefällt. Auch er meint, dass sein Job wieder wesentlich schöner ist, jetzt, wo er die Hiker nicht mehr wegschicken muss. Als wir uns quasi schon verabschiedet haben fragt er dann plötzlich, ob er noch kurz mein Permit sehen könne. Natürlich zeige ich es ihm. Dass ich ausgerechnet an meinem letzten Tag auf dem Trail nach meinem Permit gefragt werde, hätte ich definitiv nicht erwartet. Aber so habe ich es wenigstens nicht umsonst 2650 Meilen herumgetragen, denn wenn ein Thruhiker eines nicht mag, dann Dinge unnütz herumtragen.

Tag 142: Nach einem sehr schönen Sonnenuntergang auf dem Kamm mit toller Sicht auf Mount Hood und Mount Jefferson wird die Nacht leider ungemütlich. Es windet sehr stark und regnet immer wieder. Dadurch wird es auch heute nichts mit einem frühen Aufbruch. Zum Glück sind es nur knappe zehn Meilen zum Olallie Lake. Mein Bein ist mit dieser Strecke trotzdem nicht einverstanden, aber um 12 Uhr komme ich schließlich an. Es ist ein schöner Abschluss meines Trails, auch wenn die letzten zehn Meilen nicht mehr so berauschend waren, wie die Strecke gestern. 

Jetzt bleibt noch eine letzte Herausforderung, der Hitch zurück in die Zivilisation. Es sind ein paar andere Hiker da, mit denen ich mich ein wenig unterhalte. Und während ich mich unterhalte und meinen Abschluss mit einer Dose Cola und abgepackten Zimtrollen aus dem Store feiere, tauchen plötzlich zwei Sheriffs auf. Sie sind eine Weile im Store und setzen sich dann zum Essen an einen Tisch am See. Da ich schon einige Camper in der Nähe angequatscht habe und keiner in Richtung Highway fährt denke ich mir, versuche ich mein Glück mit den Sheriffs, denn die müssen ja zurück in eine Stadt. Und ich habe tatsächlich Glück, die beiden sind super nett und nehmen mich mit nach Detroit. Allerdings ist im Wagen nur ein Platz frei, der "Cage", der Platz, auf dem normalerweise die Verhafteten sitzen. Eine interessante Erfahrung, denn der Platz ist recht eng und komplett von Plexiglasscheiben und Gittern umgeben. Fast alle Leute, an denen wir vorbeifahren, grüßen die Sheriffs. Und irgendwann beginne ich mich zu fragen, was die Leute wohl glauben, was ich irgendwo im nirgendwo angestellt habe, dass ich von Sheriffs einkassiert werden musste. Allerdings frage ich mich auch, was die Sheriffs überhaupt irgendwo im nirgendwo zu tun hatten. Ich frage nach. Einer der beiden ist dabei, ein Boot wieder flott zu machen und hat die Mittagspause genutzt, um sich den See als potentiellen Liegeplatz anzuschauen. Sehr praktisch.

Als wir Detroit erreichen, verabschiede ich mich von den beiden. In Detroit gehe ich etwas essen und beziehe dann um 15 Uhr meinen Posten am Highway. Hier brauche ich die meiste Zeit auf dem ganzen Trail, um einen Hitch zu bekommen. Ganze zwei Stunden. Damit bin ich was Hitches angeht lächerlich gut weggekommen. Nach zwei Stunden jedenfalls nimmt mich ein Bergsteiger mit, der heute auf Mount Washington war. Er bringt mich bis nach Salem, wo ich um 18 Uhr ankomme. Damit habe ich mein Ziel, die Interstate 5, tatsächlich erreicht, nach Seattle komme ich heute aber nicht mehr. Also suche ich mir ein Zimmer in einem Motel. Und natürlich erwische ich das schlechteste Zimmer auf dem ganzen Trail. Kein WiFi, Chaos an der Rezeption, mein Fernseher funktioniert nicht, im Zimmer wurde definitiv geraucht und in der Dusche sind lange schwarze Haare, von denen ich stark bezweifle, dass sie von mir sind. Und das für unschlagbar günstige 130$. Aber so kurzfristig das Günstigste, das zu bekommen war und am Ende verbringe ich nur knappe zehn Stunden darin. Damit endet mein kleiner Reisebericht. Ich verbringe noch zwei schöne Tage in Seattle und sehe einige meiner Freunde wieder. Danach bin ich noch einen Tag in Vancouver und fliege dann wieder Heim nach Deutschland. Ich könnte jetzt wieder aufzählen, wofür ich dankbar bin und wie toll der Trail und alle Erfahrungen waren, die ich gemacht habe, allerdings hatten wir das inzwischen so oft, dass ich darauf verzichte. Also, bis dahin.


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