Veröffentlicht: 03.04.2024
02.04.24
Langfrist war gestern, der Trend geht klar zur Last-Minute-Reise. Und auch wenn man uns nachsagt, steinalt zu sein, und den Zenit bereits überschritten zu haben, so fühlen wir uns jung, dynamisch und demonstrieren Flexibilität: Montag gebucht, Dienstag angekommen; das ist mal spontan - und so gar nicht unsers! So zu reisen hat was von Beamen oder Flohpulver. Keine Zeit für destinationsfixierte Vorfreude oder Reiselektüre. Aber weil wir ja so modern sind, reicht das Internet. Dachten wir…
Nach einem sehr ordentlichen und rappelvollen Flug stellen wir nur leider fest, dass Griechenland das Land mit dem schlechtesten Empfang Europas zu sein scheint. Selbst auf Mauritius hatten wir besseres Netz. Nix mit Google oder Maps. Wir wollten Abenteuer, wir bekommen Abenteuer und fragen uns durch bis zur Metro und ins Stadtzentrum.
Unser Hotel liegt in einer wenig schmucken Gasse in der Nähe des archäologischen Museums und bereits beim Heraustreten aus dem Untergrund der Metro sind wir kurz mit allen Sinnen überfordert: es ist warm, trotz kaltem Wind, es riecht abwechselnd nach Urin, Jasmin und Kebab, die Mopeds knattern und die Menschen schnattern… In den Hotelbewertungen war tatsächlich als einziger Nachteil die unfreundliche Gegend genannt. Leider sehr zutreffend. Vermutlich war diese Gasse schon immer so unfassbar runtergekommen, dass sich die Athener Stadtverwaltung gedacht hat, ein U-Bahn Schacht könne hier auch nichts mehr schlimmer machen. Ida wird jedenfalls kurzzeitig zum Klammerkind.
Das Hotel selbst ist dafür ein kleines Schmuckkästchen mit einem Billardtisch, Spielautomaten und recht auskunftsfreudigen Rezeptionisten. Schnell sind wir beim Thema Fußball. Sport verbindet eben doch. Morgen spielt sein Lieblingsverein Olympiakos Piräus zu Hause gg Aris Saloniki (4. gg 5. der 1. Liga). Außerdem ist im Stadion um die Ecke das Stadtderby 1. gg 3. (Panathinaikos gg AEK) Oh ha - schwere Entscheidung. Die Griechen sind leidenschaftliche Fans. Man könnte auch aggressiv sagen. Beim Volleyball (!!!) gab es einen schwer verletzten Polizisten, als 150 Hooligans um sich geschlagen haben. Wie schön. Unser neuer Freund erzählt uns, dass es auch beim Fußball so hoch herging, dass keine Gästefans mehr erlaubt seien, und man nur mit Online-Registrierung und hohen Sicherheitsvorkehrungen ins Stadion gelange.
Klingt irgendwie alles nicht sehr einladend, aber wir sind angefixt.
Nach kurzem Frischmachen wollen wir ein wenig die Gegend erkunden und ein kleines Lokal ansteuern, um den Abend mit vollem Bauch zu beenden und über den morgigen Abend nachzudenken.
Auf dem Weg dorthin lernen wir schnell, dass rot nicht gleich rot ist, die Ampelphasen kaum für alte Menschen taugen, und Sehbehinderte auf dem Trottoir komplett aufgeschmissen sein müssen. Anhand der Gehsteigplatten kann kein Blinder erkennen, wo die Straße beginnt oder der nächste Überweg ist. Es sieht eher nach Resteverwertung jeglicher Sonder-Gehwegplatten aus. Da waren wahre Könner am Werk.
Das Abendessen versöhnt uns mit dem Chaos. Für ein Appel und ein Ei futtern wir uns pappsatt, kommen zur Entscheidung morgen auszuschlafen, dann das Stadtzentrum und Plaka zu Fuß zu erbummeln, bevor wir Abends Olympiakos unterstützen.
Um dies allerdings tun zu können, müssen wir uns erst durch den oben erwähnten Registrierungsdschungel schlagen. Nach geschlagenen 70 Minuten, der Angabe unserer Perso-, bzw Reisepassnummern, der Steuer-Identifikationsnummer und zugehörigem Finanzamt, dem Kauf dreier Fan-Cards im Wert von jeweils 10€, welche überhaupt erst dazu berechtigen, ein Spieltags-Ticket zu kaufen, klicken wir erfolgreich auf „ΕΠΙΒΕΒΑΙΩΣΗ ΑΓΟΡΑΣ“!
Jaha…merke auch hier: nicht jede Homepage bietet sich selbst auch in englischer Sprache und lateinischer Alphabetisierung an!
Müde, erschlagen, satt und glücklich knipsen wir letztendlich Licht aus und Augen zu!
Eulen nach Athen tragen
03.04.2024
Athen - laut offiziellen Zahlen rangiert Griechenlands Hauptstadt auf Rang 9 der europäischen Metropolen, was die Einwohnerzahl betrifft. Direkt hinter Berlin auf Platz 8. Da es keine Meldepflicht gibt, ist die Zahl von 3,15 Mio Einwohnern allerdings fraglich. Je nach Quelle sind es auch ein paar Milliönchen mehr. So oder so, zuzüglich der vielen Touris sind eine ganze Menge Menschen unterwegs.
Mit Spinat-Tasche und einem Süßgebäck aus Thessaloniki in der einen und Idi an der anderen Hand laufen wir die zwei Kilometer ins Stadtzentrum, erkunden mal hier eine Gasse, schlürfen mal dort einen Kaffee und lassen uns einfach treiben. Wir haben es nicht eilig. Die Markthalle ist im Vergleich zu Thailand und Mauritius erträglich. Es verfolgen uns weder Ratzen noch unangenehme Gerüche. Nur die ungekühlten Schafsköpfe in Zelofan bleiben im Kopf und mit ihnen der gute Vorsatz, etwas vegetarischer zu leben.
Plaka aka Hipsterhausen gefällt uns, wenngleich uns die Menschenmengen erschlagen. Hier ist Athen sehr touristisch (wie zu erwarten war).
Und dann, ganz unerwartet, haben wir einen Ort der Ruhe gefunden. Ein kleines Kloster, versteckt hinter einem unscheinbaren Torbogen, abgeschirmt vom Motorengebrumme der vielen Mopeds und dem Lärm der unzähligen Lokale. Total verrückt und kitschig, aber es duftet nach Jasmin und bis auf Vogelzwitschern herrscht absolute Stille.
Wie seltsam, dass sich außer uns niemand hierher verirrt.
Außer uns verirrt sich vermutlich aber auch kein Touri ins G. Karaiskakis Stadion. An diesem Abend (mit Ausnahme vom Stadion, wo das Athener Stadtderby stattfindet vielleicht) der sicherste Ort in ganz Athen. Wir haben es trotzdem rein geschafft und stellen fest, dass es die Fans nicht wirklich kümmert, dass es bei dem Spiel eigentlich um nix geht. Es wird gesungen, gestikuliert, gebrüllt und wild geschimpft. Alkohol gibt es keinen, dafür reichlich Nüsschen, eine Trommel (keine Ahnung, wie die es durch das Drehkreuz geschafft hat), und natürlich auch den Capo mit der Flüstertüte, der 90 Minuten und länger selbstlos mit dem Rücken zum Grün steht, um die Seinen zu pushen!
Auffällig viele Familien mit kleinen Kindern tummeln sich mit uns auf den Rängen und fiebern mit dem Spielgeschehen mit!
Hier ein kurzer Ausflug in die Fußballregularien Griechenlands:
Die heimische Superliga hat ein ziemlich merkwürdiges Spiel-System. Nach 26 Spielen in der 14er-Gruppe spielen die ersten Sechs untereinander um die Quali für internationale Wettbewerbe und die letzten Acht ebenfalls unter sich erneut in einer Doppelrunde um den Abstieg in die 2. Liga. Da jedoch die Punkte aus der 26 Spiele dauernden Vorrunde mitgenommen werden, hat bspw Aris Saloniki (bekanntlich heutiger Gegner von Piräus) keinerlei Chance mehr auf eine Qualifikation für die UEFA Conference League, muss die 10 Spiele dieser Play-Off Runde aber trotzdem voll durchspielen! Nicht nur für Fußballinteressierte wirkt das ziemlich sinnfrei (eben wie Eulen nach Athen zu tragen) und je nach Spielansetzung auch leicht wettbewerbsverzerrend!
Wie dem auch sei, das Spiel endet mit einem mehr als eindeutigen 3:0 für die Gastgeber, keinem einzigen Schuss aufs Tor durch Aris Saloniki und einem peinlich gescheiterten Panenka-Elfmeter durch Olympiakos‘ Stürmer Ayoub El Kaabi, welcher unter der Woche noch mit einem äußerst sehenswerten Fallrückzieher gegen Makkabi Tel Aviv seine Mannen ins 1/4-Finale der UEFA Conference League gezaubert hat! Klappt eben nicht immer…
Hier muss vermutlich nicht gerätselt werden, wer diesen Teil des Tagesberichts geschrieben hat!
Zurück zum Hotel geht es mit der Metro ohne Umstieg recht schnell, auf den letzten Fußmetern sacken wir noch ein Wegbier und einen Snack ein, bevor uns nach reichlich Erlebtem erneut schnell die Augen zufallen werden!
Morgen steht ein Ausflug auf die Insel Agkistri an. Vermutlich komplettes Kontrastprogramm zum quirligen Stadtleben heute.
Wir werden berichten. Gute Nacht!