Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
vakantio.de/go-east-mit-dem-rad-zu-gemeinden-in-osteuropa

62. Tag - 8. Dezember: Kleinalisch / Seleus Mic - Lebendige Kleinstgemeinde

Veröffentlicht: 10.09.2022

Nach dem ruhigen Frühstück im alten Pfarrhaus von Schönau musste ich mich warm anziehen. Es war recht kalt und dichter Nebel lag über dem Land von Siebenbürgen. Ich verabschiedete mich vom Kurator Cornell und radelte in den trüben Morgen hinein. Zur besseren optischen Sichtbarkeit für rasante rumänische Autofahrer zog ich meine knall-orange Regenjacke an. Tagesziel für heute war das ehemals deutsche Dorf Kleinalisch (deutsch), Seleus mic (rumänisch) in einem landschaftlich beschaulichen, aber recht verlassenen Seitental der kleinen Kokel (Fluss). Dort war ich bei bei Familie Krestel vorangemeldet. Pfarrer Gottfried Vogel schrieb mir im Vorfeld, dort sollte ich unbedingt mal vorbeischauen, wenn ich die "letzten Reste" der ehemals deutschen Kultur der evangelischen Siebenbürger Sachsen kennenlernen möchte und als Zweites, die Landgemeinde in Malmkrog.

Rund 65km Wegstrecke lagen vor mir. Auf dem Weg kam ich auch durch das ehemalige deutsche Dorf Seiden (deutsch), Jidvei (rumänisch). Auch dort gibt es eine, der typische siebenbürgische Kirchenburg. Von den rund 1300 Einwohnern gibt es noch ca. 25-30 deutschsprachige, wie mir die Küsterin erzählte. Auch diese Kirche "atmet" ehemals evangelisch-deutsche Kultur. Etliche Banner mit Zitaten auf Deutsch hängen in der sanierungsbedürftigen Kirche. Noch gibt es monatlich Gottesdienste zu denen rund 10-12 Menschen kommen.

Nach dem Zwischenstopp radelte ich weiter durch die Siebenbürgische Landschaft, passierte eine große Romasiedlung und am Nachmittag kam ich in Kleinalisch an. Herzlich wurde ich von Hilde und Michael Krestel auf Deutsch empfangen. Sie sind mit einer Schwester im Dorf die letzten Siebenbürger Sachsen im Dorf mit rund 200-300 Einwohnern. Die genaue Zahl lässt sich nicht benennen, weil ein Teil Roma sind und viele von Ihnen nicht registriert sind.  Interessant ist jedoch die Familiengeschichte der Krestels.

Als nach der rumänischen Revolution 1989/90 fast alle Siebenbürger Sachsen aus Kleinalisch innerhalb weniger Jahre nach Deutschland auswanderten, blieb die Familie bewusst in ihrer angestammten Heimat. Hilde Krestel sagte dazu: "Unser Platz von Gott ist hier, warum sollten wir weggehen?". Die vertraute Heimat, der eigenen Hof und die Landwirtschaft zu verlassen, kam für sie nicht in Frage. Sie führen heute noch eine kleinbäuerliche Landwirtschaft, mit Kälbern, Hühnern, Maisanbau und immerhin 36 Büffeln.  Beide berichteten, dass sie als Kinder in der Grundschule Rumänisch nur als Fremdsprache hatten. Aufgewachsen sind sie mit dem besonderen siebenbürgischen Sächsisch. Noch heute sprechen sie im Alltag diese deutsche Sprache, von dem ich kaum ein Wort verstand. Ihr Sächsisch war auch die vertraute Kirchensprache, als die Kirche vor der Revolution voll mit Deutschen war. Kleinalisch hatte sogar einen eigenen deutschen Pfarrer und ein richtiges Pfarramt. Jeden Sonntag gab es Gottesdienst, an einigen Sonntagen sogar drei. Evangelisch-Lutherisch  zu sein bildet - damals, wie heute - ihre Glaubens- und Alltagsidentität.  Sie lesen jeden Tag in der Bibel und die Losungstexte. Selbstverständlich wird vor dem Essen gebetet. Als einmal der Pfarrer nicht zum Gottesdienst kam, sind sie nicht einfach nach Hause gegangen, sondern haben selbstständig Lieder gesungen, Bibeltexte gelesen und gebetet.

Vor der Abendversorgung der Kälber und der Büffel schauten wir uns noch die kleine Kirchenburg von Kleinalisch an. Dann musste Michael Krestel die Kälbern anbinden und die Büffel von der Weide in den Stall holen. Ich ging mit und unterwegs zeigte mir Michael Krestel einige Stellen von seinen Feldern und sagte den alttestamentlichen Schöpfungstext "Siehe, es war sehr gut". Ich war beeindruckt von der Bibelkenntnis dieser - wie wir in Deutschland sagen würden -  einfachen Menschen, die zugleich tief Gottesgläubig sind. Sie leben nicht neben, sondern mit der Schöpfung Gottes und beziehen ihr Denken, Handeln und Glauben von der Bibel her. Ich war sichtlich berührt von dieser Lebenseinstellung. Noch lange haben wir Abend in der Küche gesessen und über das Land- und Glaubensleben erzählt. Doch dann haben wir uns verabschiedet, weil beide ja zeitig am Morgen aufstehen müssen, um die Tiere zu versorgen. Auch ich ging in das Nachbarhaus schlafen und dachte noch eine Weile über das Erlebte und Gehörte von Hilde und Michael Krestel nach.


Antworten