germanmidwifegoesafrica
germanmidwifegoesafrica
vakantio.de/germanmidwifegoesafrica

Neues wagen

Veröffentlicht: 14.09.2018

‚Etwas zu wagen bedeutet, vorübergehend den festen Halt zu verlieren. Nichts zu wagen bedeutet, sich selbst zu verlieren.‘ 

Den heutigen Tag verbrachte ich nicht im Kreißsaal.

‚Soberhouse‘ war mein heutiges Ziel.

Eine Art Entzugsklinik, als diese verkaufen sie sich zumindest.

Saskia und Mia verbringen hier ihre  Vormittage. Sie studieren Psychologie in Deutschland und berichteten schon viel von dort. Ich wollte/ musste es einfach einmal mit eigenen Augen sehen und ging interessiert, aber mit einer Vorahnung in diese Einrichtung.

Mit dem Bus fährt man ca. 20 Minuten, ein Stück Fußweg im Anschluss. Dieses Haus liegt auf jeden Fall etwas abseits.

Ein Haus, eine Steinmauer und ein verschlossenes Tor.

Wir klopften und wurden freundlich empfangen.

Im Haus war bereits ein Stuhlkreis vorbereitet. Zuerst überkam uns allerdings dieser Geruch.. (Schweiß, Urin, Dreck, stickige Luft)

Aktuell leben, bzw. hausen dort 14 Männer plus 1 ‚Aufseher‘.

14 Männer im Entzug, zu dritt oder viert in einem Zimmer schlafend, nur 1/4 haben ein Bett, die anderen lediglich eine dünne Schaumstoffmatratze. Daneben 1 Beutel mit persönlichen Dingen.  Das wars.

Sie erschienen fast alle zur morgendlichen ‚Therapie‘. Zumindest körperlich waren sie anwesend. Es fiel aber sofort auf, dass die Hälfte bereits nach wenigen Minuten abwesend schienen und einschliefen. Scheinbar erhalten die Männer so starke Beruhigungsmittel, dass sie nicht mal in der Lage sind diesem Gespräch beizuwohnen.

In Deutschland gehen wir jetzt davon aus, dass ein Therapeut mit Ihnen arbeitet. In Tansania ist das leider nicht der Fall. Psychische Erkrankungen sind hier völlig unbekannt und Psychologen?    ‚Jeder Arzt ist Psychologe bei uns, wir brauchen da keine Spezialisten‘. Die Antwort sagt alles.

Gewöhnlich hält hier ein einfacher Lehrer 2h Frontalunterricht vor den Süchtigen. Da aktuell diesen Part Saskia und Mia übernehmen, ist der Lehrer nicht mal anwesend. Also waren wir allein mit den Süchtigen und hatten durchaus Respekt davor. Schließlich waren wir mit eingesperrt.

Die erste Stunde dreht sich in der Runde viel um Religion. Gott spielt hier im Alltag und in allen Lebenslagen eine große Rolle und der Glaube gibt ihnen Kraft.

Hier wird es allerdings so verkauft, dass die Männer sich nur aufs beten konzentrieren sollen und dann heilt Gott sie. Was anderes können sie nicht tun.

Dieser Meinung waren wir weißen Frauen nicht. Er soll Ihnen helfen, aber ist nicht der einzige Schlüssel zum Besiegen der Sucht. Der zweite Teil, von uns gestaltet, zielte auf Gefühlslagen hin. Die Frage nach dem Grund für die Sucht, nach einem Ziel nach dem Aufenthalt hier und dem Plan, dass diese Menschen zuerst Einsicht erlangen müssten.

Es war schwer, sehr schwer.

Alle Männer wurden von ihren Familien hier her geschickt. Da es keine Krankenversicherung gibt, zahlen die Familien den Aufenthalt und das ist für Tansanier viel Geld (300.000 Schilling pro Monat = rund 113 Euro). Das heißt alle Männer sind an einem anderen Punkt ihrer Suchtbewältigung. Egal ob 1 Tag, 3 Monate oder 2 Jahre hier- die Gruppentherapie ist die gleiche. Das macht schonmal in unseren Augen absolut keinen Sinn. Ebenso gemischt sind die Drogen, die konsumiert wurden. Und die Dauer des Entzugs hängt vom Geld der Familien und nicht etwa von der benötigten Zeit für jeden individuell ab. Das sind erstmal die grundlegenden Probleme.

Wir stellten Fragen und wollten gern mit Ihnen ins Gespräch kommen. Doch wie überall in Tansania hielten sie sich an die Eckpfeiler: keine Schwäche zeigen, keine Gefühle offenbaren und niemanden Wissen lassen, wenn es einem nicht gut geht.

Puh, schwierig, um eine Psychotherapie durchzuführen.

Die Männer saßen benommen, unglücklich und instabil uns gegenüber und antworteten auf eine einfache Frage, wie es ihnen gerade geht mit: ‚ Ich fühle mich gut, glücklich, fühle Liebe und Frieden.‘

Man sitzt nur da, schüttelt mit dem Kopf und würde sie am liebsten wachrütteln und ihnen erklären, dass sie hier offen reden dürfen.

Doch andererseits verstehe ich sie auch..

Ich war auch nie ein Mensch, der gern im Stuhlkreis etwas berichtet hat.

Für manche Dinge benötigt es Einzelgespräche. Doch da fehlt es wieder an Vertrauen dem Übersetzer gegenüber. Oft hatten wir das Gefühl, unsere Aussagen werden uns im Mund umgedreht. Wenn wir in einem Satz Gott nicht erwähnten, fügte er es auf jeden Fall noch vier mal hinzu.

So vergehen schnell zwei Stunden Therapie.. natürlich ohne jeglichen Erfolg, aber mit dem Versuch den Männern zu helfen.

In diesem Moment verspürte ich ehrlich großes Mitleid.

Natürlich ist jeder selbst verantwortlich für sein Leben und für das Leben, was sie geführt haben, weshalb sie überhaupt dort sitzen.

Doch vertrete ich die Meinung, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat.

Und man spürt, wie zumindest drei von Ihnen wirklich wollen und auch mitmachen. Doch sie können nichts dafür, dass das Konzept an sich einfach absoluter Unsinn ist. Dass ihre Familien ihnen nur zwei Monate zahlen können, obwohl sie 6 bräuchten und der ‚Lehrer’ die Männer lieber auslacht, als sich einen Kopf darüber zu machen, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen.. das ist nicht fair.

Den Rest des Tages sitzen sie eingesperrt in ihrem Haus und schlafen. Natürlich vermissen sie dadurch ihre Drogen nur noch mehr.

Wir starten mit Ihnen ein Projekt: Sie haben einen großen Garten und auch Bete, er wurde nur bisher nicht gepflegt. Ziel ist es, ihnen damit wieder eine Aufgabe zu geben. Einen Sinn haben morgens aufzustehen und sich gebraucht zu fühlen, könnte Ihnen helfen, denken wir.

Am Montag wird gestartet und ich bin gespannt.

Ich fragte den einen am Ende, worauf er sich am meisten freut nach dem Ende seiner 5 Monate hier. (3 Monate ist er bereits da und als Alkoholiker gekommen) Seine Antwort: Endlich wieder mein Bier zu trinken.

Tja da fehlen einem die Worte. 

Es war eine komplett neue Erfahrung heute und ich muss sagen, dass es mir bei mir im Hospital deutlich besser geht.

Auch da habe ich aktuell die Hoffnung verloren, etwas verändern zu können, aber zumindest sehe ich die Ergebnisse meiner Arbeit vor Ort, bei der Begleitung von Geburten, sofort. Wenn ich ein neues Leben im Arm halte, was sicher und behütet die Welt erblicken durfte, hab ich zumindest etwas Gutes getan.

Saskia und Mia haben da einen deutlich längeren Weg vor sich. Ich werde weiterhin von Ihnen Berichte erhalten und bleibe weiterhin neugierig.

Es bleibt dabei, dass man hier definitiv erstmal ein Gesundheitssystem erstellen muss und als zweites eine bessere Ausbildung in allen Bereichen erfolgen muss. Das sind die Hauptansätze für eine Veränderung in die positive Richtung. Und ich hoffe, dass dies irgendwann erreicht wird, um den Menschen hier in Tansania, egal ob einer schwangeren Frau, kranken Kindern oder Süchtigen zu helfen.

Antworten