Veröffentlicht: 15.10.2018
‚Hoffnung ist die leise Stimme, die dir zuflüstert: vielleicht,
wenn es so aussieht, als ob die restliche Welt NEIN schreit.‘
Montag, 15.10.2018
Eine Frau kommt in den Kreißsaal wegen Blutungen. Sie befindet sich im 7. Monat ihrer Schwangerschaft.
Der Arzt wollte sie selbst untersuchen.
Er berichtete, dass die Geburt nicht mehr aufzuhalten ist und er glaubt, dass das Kind wohl keine Überlebenschance hat. Als Hebamme, die in einem Level 1 Klinikum arbeitet, konnte ich diese Aussage nicht einfach hinnehmen. Ab der 24. Schwangerschaftswoche und ca. 500g Geburtsgewicht sind die Kinder bei uns lebensfähig dank der Kinderärzte und medizinischen Versorgung.
Ich spritze der Frau noch ein Medikament, was auch in Deutschland gegeben wird und dafür sorgt, dass die Frühchen einen besseren Start in die eigenständige Atmung erhalten.
Die Frau war absolut still. Lies sich eine Wehe kaum anmerken, verzog nicht einmal ihr Gesicht. Es war fast beängstigend. Sie schaute mir ununterbrochen tief in die Augen. Zu gern hätte ich ihr alles geklärt. Doch eine Kommunikation war mal wieder nicht möglich.
Auch diese Frau war HIV positiv. Aktuell häuft es sich.
Laut offiziellen Zahlen beträgt die Anzahl in ganz Tansania ‚nur rund 6%‘, in unserer Klinik sind allerdings 15-20% der Schwangeren betroffen.
Also hieß es wieder sich gut zu schützen.
Der Arzt hatte die Frau eben untersucht. Eine Verlegung in das größere Hospital mit Kinderklinik hielt er nicht mehr für möglich.
Über eine Stunde später platzte die Fruchtblase und ich bemerkte, dass wir uns in der Endphase der Geburt befanden. Die Frau lies sich noch immer keine Schmerzen anmerken. Die Herztöne waren stets normofrequent und ich bereitete das Wärmebett vor mit allem Equipment, was mir zur Verfügung steht.
Bei Frühgeburten und zusätzlich HIV positiven Frauen sollte man stets so wenig wie möglich untersuchen, um die Infektionsgefahr zu reduzieren. Schließlich untersuchte der Arzt vorhin und berichtete von einem physiologischen Befund.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Im Nachhinein ärgerte ich mich sehr über mich selbst.
Die Frau schob reflektorisch mit und ich bemerkte, dass nicht der Kopf voran ging, sondern der Po als erstes sichtbar wurde.
Beckenendlage!
Sofort waren alle Handgriffe und Besonderheiten dazu in meinem Kopf präsent. Klar, das Kind war natürlich klein, aber in Deutschland hätte man bei dieser Größe definitiv einen Kaiserschnitt gemacht, um den Kopf zu schonen.
Aber irgendwann ist immer das erste Mal.
Und so half ich der Frau allein, ohne Arzt bei der Geburt ihres Frühchens aus Beckenendlage. Es geling gut.
Ich versorgte es sofort, es schrie leise, zeigt gute Reaktionen und versuchte zu atmen (wenn es auch deutlich anstrengend war für den kleinen Jungen). Er war ein Kämpfer und ich legte ihn bondend auf die Brust der Frau, rings herum Tücher, um ihn warm zu halten. Sauerstoff war die einzige Möglichkeit, um ihm bei der Atmung zu unterstützen. Er machte das wirklich gut.
Zuerst kam die Schwester rein, sah das Kind und lachte mich aus, dass ich es am Leben erhalten will. Danach der Arzt, etwa 20Minuten nach der Geburt. Er war überrascht und ich bat ihn darum, das Kind in die Klinik mit der Kinderstation zu verlegen. Er wollte, dass ich den Sauerstoff abmache und das Kind sterben lasse.
Ich sagte, dass ich das nicht kann, weil er einfach so viel Lebenskraft zeigt und zumindest die Hoffnung in die Kinderärzte dieser Stadt haben möchte.
Nach weiteren 30Minuten, wo das Kind noch immer lebte, schön rosig war und gut durch die Mama gewärmt blieb, hatte ich ihn überzeugt und rief einen Krankenwagen für den Transport.
Habt ihr in Deutschland schon einmal was von den extra spezialisierten Rettungswagen für Verlegungen von Früh- und Neugeborenem gehört? Modernste Technik und Versorgung auch während der Fahrt ist dadurch gewährleistet. Tolle Sache!
Hier die übliche Liege wie immer, ich hielt das Kind in alle Tücher gewickelt, die ich finden konnte nah an meinen Körper und legten die Frau auf die Liege. Johanna neben mir. Wir fuhren zum Haupthaus unserer Klinik und wunderten uns über den Zwischenstopp. Eine ältere Frau, die nicht laufen konnte und kaum ansprechbar war, sollte ebenfalls mitfahren.
Super. Sammeltransport im Krankenwagen. Es dauerte ewig, bis diese Frau reingetragen werden konnte. Unsere entbundene Frau musste von der Liege weichen und sich neben mich setzen. Insgesamt waren wir 9 Personen + ein Frühchen lediglich in Tücher gewickelt in diesem Auto. Unvorstellbar!
Wir erreichten nach einer rasanten Fahrt die Klinik. Die Kinderstation völlig überfüllt. Kein freies Bett, keine Wärmelampe, keine Inkubatoren oder freie Sauerstoffgeräte. Die Frauen sitzen auf dem Boden mit ihren kleinen Kindern auf der Arm, um sie zu füttern oder zu stillen. Man kann es sich wirklich nicht vorstellen.
Ich übergab das Kind an die Schwester und sie sicherte mir zu, sich gut zu kümmern. Ich kann es nur hoffen.
Der Abschied war emotional. Endlich konnte man bei der Frau einen Ansatz von Lächeln erkennen, sie umarmte mich und war sehr dankbar.
Hab ich alles richtig gemacht?
Wird das Kind überleben?
War es das Beste für Kind und Frau, wenn man an eventuelle Spätfolgen denkt?
Es sind Fragen, die einem niemand beantworten kann. Ich habe instinktiv, nach bestem Wissen und Gewissen und meinem Gefühl gehandelt.
Hätte ich reanimiert? Vermutlich nicht, bei einem Kind was gerade mal 1.1kg auf die Waage brachte.
Aber er hat von allein geatmet, hatte einen guten Tonus und Reflexe und eine gute Hautfarbe und Herzschlag.
Ich denk heute noch viel an die Frau und ihr Kind und hoffe das Beste! Ich glaube, mehr konnte ich nicht tun.
Es ist trotzdem traurig, dass dieses Kind in Deutschland einen so viel besseren Start ins Leben gehabt hätte.