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Erfahrungen und Lektionen

Veröffentlicht: 11.09.2018

Dienstag, 11.09.2018

Aufstehen, Zähne putzen und sich waschen. Der Ablauf von vielen am Morgen. Doch schwierig wird es, wenn plötzlich aus keiner Leitung mehr Wasser kommt. Weder im Bad, noch in der Küche, nicht ein Tropfen. Genialer Start in den Tag.

Stundenlang ohne Strom auszukommen bin ich mittlerweile gewöhnt, nur mit zwei kleinen Lampen am Esstisch zu sitzen, kein warmes Wasser zu haben, seit Wochen nicht im WLAN einfach mal endlos was im Internet zu stöbern, alles halb so wild. Aber so gar kein Wasser, war das erste Mal.

Also alles mit Wasser aus Flaschen erledigt und auf in die Klinik.

8Uhr am Morgen, eine Frau lag in den Wehen, die restlichen drei ‚Abteile‘ des Kreißsaales waren frei und es sah (mal wieder) aus wie Bombe! Ich verstehe das nicht, wie man nur so unordentlich arbeiten kann und es dann stundenlang so lässt. Zumindest Kanülen und offene Ampullen kann man doch entsorgen. Ich hebe Papier an und darunter drei offene Kanülen- unklar! Ich war wirklich etwas wütend und startete erstmal mit putzen.

Meine Ekelgrenze wird hier sowieso ständig überschritten.

Ich hörte, dass die Frau wirklich starke und schmerzvolle Wehen hat. Ich kontrollierte die Herztöne, normale Frequenz und bemerkte allerdings eine Kaiserschnittnarbe am Bauch. In Tansania gilt die Regel: Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt (Sectio). Also versuchte ich Papiere zu finden, weshalb wir bei ihr eine Ausnahme machen würden.

In Deutschland dürfen Frauen zum Glück spontan entbinden nach einer Sectio, allerdings gilt es schon als ‚Risiko‘ und man sollte die Geburt etwas intensiver beobachten.

Das machte hier schonmal keiner, dachte ich mir..

Papiere gefunden: Eintrag von 6.30Uhr, Aufnahme der Frau mit starken Wehen, Muttermund schon weit geöffnet

Plan: Sectio

Gut, dachte ich mir.. das war vor zwei Stunden, und die Frau liegt noch immer hier.

Ich wand mich an die Schwester, sie erklärte mir, dass sie doch schon dabei wären alles vorzubereiten. Wie lange dies dauert, durfte ich ja schon miterleben. Ich wusste ja mittlerweile, dass eine HB- Kontrolle Pflicht ist und fragte, ob dies schon erfolgt ist. Die Schwester pampig: ‚Ja klar, sie ist doch schon eine Weile da.‘ Gut, auf diese Aussage vertraute ich- leider!

Eine Stunde später hat die Frau Wehen ohne eine Pause. Ich wünschte mir, dass sie einfach spontan entbindet, aber es deutete nicht darauf hin. Das Kind hatte sich falsch im Becken eingestellt, der Bauch riesengroß und die Schmerzen der Frau wurden immer mehr.

In Deutschland gibt es die Möglichkeit von wehenhemmenden Medikamenten- hier nicht. Ich versuchte mit der Frau gemeinsam zu atmen, Positionen zu wechseln und fragte nun nochmal eindrücklichst nach dem OP- Team.

Plötzlich kam der Arzt und sagte: Ohne HB- Wert operiere ich nicht!

Ich hätte zerplatzen können in diesem Moment. Die Schwester hat dies auch gespürt und ich verdonnerte sie selbst zum Blut wegbringen, da ich diese Frau nicht eine Sekunde alleine lassen wollte.

Ich beobachtete sie und mich überkam ein ungutes Gefühl. Ein akuter Notfall wird es bei Zustand nach Sectio, wenn das Narbengewebe die Kraft der Wehen nicht mehr aushält: Uterusruptur genannt.

Ich bemerkte einige Anzeichen, die auf eine drohende Ruptur hindeuteten und ich bat den Arzt, doch jetzt bitte zu handeln!

In dem Moment kam die Schwester wieder und zeigte mir den Wert. Viel zu niedrig! Hilfe, das hatte ich noch nicht hier!

Was passiert jetzt?

Die Frau braucht schnell Hilfe, wer kümmert sich?

Wo wird ihr geholfen?

Plötzlich bemerkten die sonst so entspannten Tansanier auch, dass etwas nicht stimmte und wir rannten nach draußen, die Frau wurde in einen ‚Rettungswagen‘ = Jeep mit Metallliege gebracht, ich und die Schwester daneben sitzend. Gurte wären ja Verschwendung. Ebenso wie Polster für die Frau. Also hielt ich meine eine Hand schützend vor den Bauch der Frau, das sie nicht damit ans Metall schlägt. Mit der anderen halb mich und halb die Frau, da Vollgas mit Blaulicht über die kaputten Straßen, Sandwege und durch den chaotischen Verkehr zu heizten, nicht wirklich einen ruhigen Fahrstil mitbrachte.

So viel Angst, Adrenlin und Sorge hatte ich lang nicht mehr in mir.

Es war ein furchtbarer Augenblick.

8 Minuten sind wir gefahren, vor Ort dauerte es erneut einige Minuten, aber ich merkte, dass sie handeln und die Ärzte sofort OP- Kleidung trugen. Ich hatte Hoffnung. Musste gehen und darauf vertrauen, dass der Frau und dem Kind rechtzeitig geholfen werden konnte.

Zurück im Jeep, mussten wir noch eine andere Fahrt mitmachen.

Eine Frau war mit ihrem 1 Monat alten Kind in eine Art Ärztehaus gefahren, weil es Atemaussetzer hatte. Doch sie konnten es nicht retten und ist vor Ort verstorben. 

Unsere Aufgabe bestand darin sie nun gemeinsam mit dem Kind noch ins Krankenhaus bringen.

In solchen Momenten ist man kurz am verzweifeln.

Alles ist plötzlich grau gewesen um mich herum.

Hätte es das Kind geschafft, wenn es direkt in einer Klinik behandelt worden wäre?

Es war so furchtbar neben der Frau zu sitzen, mit ihrem Kind im Arm. Sie zitterte und ich reichte ihr meine Hand. Alle schwiegen. Mehr konnte ich leider nicht tun.

Solche Tage bringen einen so zum nachdenken. Im Kreißsaal war es im Anschluss ruhig und ich nutzte die Gelegenheit für ein Gespräch mit dem Klinikchef Dr. Pilila.

Er war bisher immer sehr engagiert und ihm ist Austausch wichtig. Ich besprach mit ihm einige Punkte, die mir hier bisher aufgefallen waren und berichtete aus den Arbeitsweisen aus Deutschland.

Er war sehr dankbar und ihm ist genau das wichtig, dass man voneinander lernt. Wir konnten uns auf einige Probleme einigen, wo man vielleicht etwas optimieren kann und ich bin gespannt darauf, ob und wie wir diese in den kommenden Tagen angehen zu lösen.

Nach dem Gespräch hatte ich tatsächlich Kraft getankt, denn es war gut ihn ‚auf meiner Seite‘ zu haben bzw. das Gefühl zu bekommen, dass er es versteht und auch Einsicht zeigt, bei den Hygienelücken & Co.

‚Doch jeder Tag ist kostbar.

Die schönen Tage schenken uns Freude,

die schlechten Tage Erfahrungen,

die schlimmen Tage Lektionen und

die die besten Tage Erinnerungen.‘

Ich bin nach heute wieder bereit für schöne Tage. 

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