Veröffentlicht: 27.11.2022
Habari!
Mit Kollegen von LOKADO und einem Mensch von Welthungerhilfe war ich an zwei Orten an der Grenze zu Uganda, um die Situation der Dürre und die Effekte auf die Menschen zu verstehen und besonders zu hören, wo sie sich Unterstützung wünschen. Auf dem Weg dahin sind wir an einem Meer aus Prosopis juliflora (vielleicht kennen sich meine Waldi-Freund*innen ja mit der Baumart aus). Sie ist die stärkste i nvasive, nicht einheimische Art, die wohl in den 1980er Jahren von Norwegen hergebracht wurde, um der Erosion entgegenzuwirken. Heute wird versucht, sie zu bekämpfen. Die Langzeitwirkung war damals wohl noch nicht absehbar. Zum einen raubt Prosopis den einheimischen Pflanzen ihren Lebensraum. Um Prosopis herum wächst kein Gras, deswegen finden die Hirten für ihre Tiere keine Weideland. Außerdem ist Prosopis mit seinen Stacheln gefährlich und verletzt regelmäßig Schafe. Die Geflüchteten und Einheimischen nehmen sie meistens nicht als Feuerholz, sondern suchen einheimische, nicht-stachlige Bäume. Es gibt Bemühungen, aus Prosopis Pallets zum Kochen zu machen, um einheimische Bäume vorm Abholzen zu bewahren. Falls euch das Thema interessiert, hier ist hier ein wissenschaftlicher Artikel zu Prosopis. Ich bin nicht so eine Baumexpertin. https://www.researchgate.net/publication/309844315_Mesquite_Prosopis_juliflora_Livestock_Grazing_Its_Toxicity_and_Management
Wir waren zuerst in einem Dorf, in dem die handbetriebene Kurbel-Wasserpumpe nicht mehr funktioniert, weil der Wasserspiegel abgesunken ist. Deswegen gehen die Menschen nun zum ausgetrockneten Flussbett und buddeln metertiefe Löcher, aus denen sie Grundwasser abschöpfen. Der „Brunnen“-Bau dauert Tage und ist kräftezehrend. Auch das Wasser schöpfen braucht viel Geduld und Anstrengung. Das Wasser ist sowohl für die Tiere als auch für die Menschen zum Trinken, Waschen, Duschen und Putzen da. Wenn dann noch was übrig bleibt, kann damit Gemüse oder Bäume gegossen werden. Das Wasser wird in 20L-Kanistern zu den Häusern getragen. Fehlendes Wasser(infrastruktur) ist überall DAS Problem.
Danach waren wir in Nawountos, wo ich vor ein paar Wochen schon einmal für das Smartclimate Agriculture-Projekt war. Dort hatten wir eine Art Dorfkonferenz unter einem riesigen Baum, um die Perspektiven von Männern und Frauen zu Mangelernährung, Wasserknappheit, Dürre und Konflikten wegen Tierraub zu bekommen. Während alle das fehlende Wasser als Hauptproblem nannten, erwähnten die Männer häufiger die Auseinandersetzungen mit Hirten aus Uganda, während die Frauen sich sorgten, wie sie ihre Kinder ausreichend versorgen können mit Essen. Viele Kinder im Dorf haben eine Behandlung gegen Mangelernährung bekommen, von der Krankenschwester aus Oropoi, die alle paar Monate vorbeikommt.
Meanwhile, im Cairo (dem schicksten Hotel in Kakuma) kommt jeden Tag ein riesiger Truck mit sauberem Wasser angefahren, um die Hotelgäste und das Restaurant damit zu versorgen. Ein Swimmingpool befindet sich gerade im Bau.
(Übrigens wollte ich dem Besitzer im Cairo, als ich vorgestellt wurde, die Hand schütteln. Großer Fauxpas, einen Scheich als Frau berühren zu wollen. Ich wusste bis dahin auch nicht, dass er einer ist. Das war unangenehm.)
Bodabodas. Ich habe vier Nummern in meinem Handy eingespeichert „Vorname Bodaboda Kakuma“. Wenn es dunkel ist, und ich noch nicht im Gästehaus bin, rufe ich bei meinem ersten an. Geht er nicht ran, beim nächsten… Die Motorrad-Fahrer sind hier die einfachste Möglichkeit, um von A nach B zu kommen. An quasi jeder Ecke warten meistens junge Männer mit Motorrädern auf Kundschaft. Auto-Taxis gibt’s hier nicht. Ich steige aber nicht auf irgendein Motorrad, sondern schaue, dass ich den Fahrer kenne. Wenn ich tagsüber laufe, werde ich sehr oft angesprochen, aufzusteigen. Nach einem langen Tag genieß ich es sehr, den Fahrtwind zu spüren und mit meinen Boda-Jungs über den Tag zu quatschen. In letzter Zeit ging es oft um die WM, aber ich bin jetzt auch bestens informiert, wer welches Team in der Premiere League unterstützt. Einige kennen Freiburg auch aus der Bundesliga. Nach der Niederlage der Nationalelf am Mittwoch durfte ich mir am Donnerstag ganz schön was anhören (nicht nur von den Boda-Fahrern, sondern ungefähr von jedem Menschen, der weiß, dass ich aus Deutschland komme). Ich hab dann nur entgegnet, wie lustig ich es finde, dass ein Freiburger Spieler (Doan) für Japan das erste Gegentor geschossen hat. Fußball ist hier auf jeden Fall ein gutes Thema, um ins Gespräch zu kommen. Übrigens hat ein ehemaliger Geflüchteter aus Kakuma sein Debüt bei der WM mit der australischen Mannschaft gegeben. Solche Erfolgsgeschichten lassen viele davon träumen, dass es ein Leben nach dem Camp/ außerhalb des Camps für sie geben kann.
Neben den Sport-Updates bekomme ich aber auch das Alltagsleben der Jungs mit, sie teilen ihren Liebeskummer mit mir und geben mir ein Update über ihren Tag, ihre Familien... Das ist eine ziemlich schöne Abendroutine geworden. Für 50 Schilling (weniger als 50ct), manchmal 100 wenn es weit weg ist, komme ich sicher nach Hause und die Fahrer warten immer, bis mir der nette Nachtwächter die Tür aufmacht.
Kakuma ist sehr international, doch die meisten Weißen halten sich vor allem in ihren Compounds oder im Cairo-Hotel auf. In Kakuma Town, wo ich wohne, sehe ich nur selten andere Weiße bzw. Nicht-Kenianer*innen und Nicht-Geflüchtete. Wenn ich durch die Straßen laufe, werde ich in 10 Minuten 100 Mal gegrüßt und gefragt, wie es mir geht. Weißsein sorgt hier für viel Aufmerksamkeit, meistens ziemlich „positive“. Plötzliche Liebesbekundungen mitten auf der Straße sind auch nicht so selten. Darüber kann ich lachen. Manche Männer lassen nicht locker, bis sie meine Handynummer bekommen. Die meisten Menschen sind einfach nur nett und freundlich und wollen mir die Hand geben oder kurz mit mir quatschen.
Was mir schwer fällt, sind die Begegnungen mit den Straßenkindern und auch älteren Turkanafrauen. Auch ohne Worte verstehe ich, was sie wollen. Sie zeigen entweder auf ihren Bauch oder führen eine Hand zu ihrem Mund. Die meisten von ihnen sind keine Waisenkinder, das hat mir eine Sozialarbeiterin erzählt. Ihre Eltern konnten nur einfach nicht genug Essen für alle Kinder auf den Tisch bringen, und so leben einige von ihnen auf der Straße und schlagen sich damit durch, zu betteln. Manchmal folgen sie mir minutenlang bis vor meine Haustür. Sie nehmen meine Hand und lassen sie gar nicht mehr los. Solche Situationen sind immer noch schwer, auch nach einigen Wochen hier und Jahren mit Wohnungslosen in Deutschland. Der Hunger und Durst sind hier so existenziell. Und selbst wenn ich dann mal meine Wasserflasche hergebe oder einen Snack für die kleinen Jungs kaufe, fühlt sich das nach sehr viel Ungerechtigkeit und Ohnmacht an. Es gibt hier auch Sozialarbeit und Projekte für Straßenkinder, aber noch kein Haus, wo sie wohnen können. Die meisten von ihnen haben sich wohl auch so sehr an die Straße gewöhnt und sind oft abhängig z.B. von Klebestoff, dass sie auf der Straße bleiben.
Gestern war ich bei der Talentshow à la Supertalent – Kakuma Got Talent. Organisiert wurde sie von der Lutheran World Federation in Kooperation mit dem UNHCR.
Hunderte Geflüchtete aus Kakuma und Kalobeyei haben in verschiedenen Kategorien ihr Talent gezeigt. Eine Jury aus 2 Sängern und 2 Models aus Nairobi hat am Ende die Sieger*innen gekürt. Die Veranstaltung ging morgens um 9 Uhr los und hat um 20Uhr geendet, ohne Pause, ohne Essen. Die 11 Stunden sind aber wie im Flug vergangen, weil es wirklich sehr beeindruckend war, was die Kinder und Jugendlichen auf die Beine gestellt haben. Viele Auftritte hatten auch politische Botschaften zu den Themen: Genderbased violence (Gewalt an Frauen), gegen Krieg und Kindersoldaten, für Bildung als ein Weg in die Zukunft. Der Reggae-Teil war geprägt von Aufrufen zu Solidatität und Einheit. Das Camp wird von den Bewohnenden selbst als „Little Africa“ bezeichnet, weil so viele verschiedene Nationalitäten und ethnische Gruppen dicht aneinander leben. Das führt auch immer wieder zu Auseinandersetzungen. Die junge Generation hat auf jeden Fall gezeigt, dass sie gemeinsam so viele Begabungen haben und es war schön zu sehen, wie sich alle gegenseitig bejubelt haben. In jeder Kategorie traten 5 Personen oder Gruppen an, die es in den Vorentscheiden bis ins Finale geschafft hatten.
Begonnen hat es mit Gedicht und künstlerischer Inszenierung, danach kam Standup Comedy dran. Als nächstes war die Bühne frei für Sänger*innen für die Genres Bongo, R’n’B, Hiphop, Afrobeat, Dancehall. Anschließend konnten Designer aus dem Camp ihre Kreationen zeigen, danach liefen Models auf dem Catwalk um die Wette. Geendet hat der Tag mit Kulturellen Tänzen und Breakdance. Ich hab noch nie sowas krasses gesehen, leider kann ich euch hier keine Videos zeigen. Die Breakdancer haben sich meterweit in der Höhe gewirbelt auf nem Betonboden, hatten einen Sarg dabei mit dem "Teufel" und einem lebenden Kätzchen und einer Taube, die von den Zombies ganz erschreckt waren...
Die Siegerehrung am Ende war mit hohen Geldpreisen versehen. Die Erstplatzierten jeder Kategorie bekamen 50.000 Schilling, das sind mehr als 400€, die 2. 40000 KES und die 3. 30000 KES. Das Thema Klimawandel oder die Dürre kamen in den Auftritten nicht vor.
Habt einen schönen ersten Advent. Ich hab erst heute gemerkt, dass es schon wieder so weit ist. Die Weihnachtsstimmung ist ganz weit weg.
Hier noch ein paar Random Bilder, die nirgends so ganz hinpassen:
Eure Reyla (Abwandlung meines Nachnamens) – ich hab noch einige andere Namen hier auf Lager. Wie wärs mit Nancy