Veröffentlicht: 13.12.2022
Solatalgie. Vielleicht kennen einige von euch das Wort. Vor ein paar Jahren bin ich über den Begriff gestolpert, als ich eine Hausarbeit über Kinderlosigkeit/Geburtenstreiks bei Aktivist*innen in der Klimagerechtigkeitsbewegung geschrieben hab. Der Professor für Nachhaltigkeit Glenn Albrecht hat den Neologismus Solastalgie erfunden und fasst es so zusammen: „A form of homesickness when you are still at home”. Ein bisschen wie Nostalgie, nur dass die Trauer oder das Vermissen sich auf das Hier und Jetzt bezieht. Solastalgie beschreibt den Schmerz und die Angst, die man als Mensch verspürt, wenn man begriffen hat, wie schlimm es um unseren Planeten und um uns selbst steht.
Die Angst, dass der Klimawandel diesen Flecken Erde unbewohnbar macht, dass Menschen ihr zu Hause verlieren und Orte unbewohnbar werden. Darum geht es. Einen anderen Begriff,den ich entdeckt habe, ist „Prätraumatische Belastungsstörung“. Die bevorstehende Zerstörung des Planeten, die Auswirkungen der Klimakrise belasten Menschen psychisch schon jetzt. Das würde ich so aber nicht mehr benutzen, denn an vielen Orten auf der Welt sind die Auswirkungen der Klimakrise keine Zukunftsmusik.
Auf einem kranken Planeten kann es kein gesundes Leben geben. Lösungsansätze bringt das in der Planetary Health Bewegung verbreitete Konzept von One planet – One health, in dem „Ecosystem distress“ und „Human distress“ in Beziehung gesetzt werden. Konkret aus diesem Wissen und dem Gefühl der Solastalgie etwas zu tun, um nicht in ein Ohnmachtsgefühl oder Schockstarre zu verfallen, sondern ins Handeln zu kommen, das tun viele Menschen auf der ganzen Welt – auch in Kakuma und Kalobeyei.
Ich hatte in den letzten Wochen einige sehr intensive und emotional aufwühlende Interviews. Mit Menschen, die alles verloren haben durch Kriege und hier in Kakuma versuchen, ein Zuhause zu finden. Ein Zuhause, das so sehr von der Dürre betroffen ist. Zwischen all den Gesprächen habe ich sehr viel Ohnmacht und Wut empfunden, nachdem die COP 27 in Ägypten ohne wirkliche Ergebnisse zu Ende gegangen ist (bis auf Loss and Damage vielleicht) und Lützerath abgebraben wird und einfach so viel Verantwortung weggeschoben wird...
Sogar die Kakteen auf dem Gelände von LOKADO sind vertrocknet. Es gibt hier ziemlich bittere, hoffnungslose Tage. In den Interviews mit den NGOs und den Geflüchteten sehe ich viel Mut zum Handeln, hier gibt es so viele verschiedene Projekte und Ansätze, um sich an ein Leben mit der Dürre anzupassen und Schlimmeres zu verhindern. Aber das die Menschen, die am wenigsten zur Erderwärmung beitragen, das ausbaden müssen, ist einfach nur ungerecht.
Hoffnungsfunken:
Eine von jungen Geflüchteten gegründete Organisationen, die Gärten, Bildungsprokejte usw. in ihre Community bringen und Mangelernährung bekämpfen.
Die Bemühungen LOKADOS, auf kommunaler Ebene Kommites einzusetzen, die sich um den Klimawandel kümmern, Bedürfnisse und Schwierigkeiten sammeln und diese dann an die Landesregierung weitergeben. Sie schulen ihre Mitmenschen zu Themen des Klimawandels, erinnern die Turkana an ihr indigenes Wissen, das in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Zum Beispiel, wie sie Fleisch trocknen und länger haltbar machen können, um es auch in weniger guten Zeiten von ihren Vorräten leben zu können.
All die Initiativen zu Solarenergie, Baumpflanzprojekte, Bildungsangebote für die Turkana zu Dürreresistenter Landwirtschaft... Und in fast jedem Interview hab ich den Satz gehört: "Hoffnung zu haben liegt in der Natur des Menschen." Und Turkana ist die Wiege der Menschheit. Wir waren schon so lange hier und werden hier bleiben. In Turkana wurde nämlich ein fast vollständiges Skelett eines Homo ergasters oder Homo erectus gefunden (1,5Millionen Jahre alt). Falls euch das interessiert, googelt den Turkana Boy.
Weltweit gibt es die Initiative der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen. Auch in Kakuma gab es vom 25. November (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen*) bis zum 10. Dezember (Internationaler Tag der Menschenrechte) Sensibilisierungsaktionen. LOKADO hat für alle Mitarbeiter*innen kleine Inputvorträge gehalten.
Ich habe mit kenianischen Freunden und Geflüchteten einen Ausflug in die Landeshauptstadt Lodwar gemacht, um zu einem kleinen Festival zu fahren. Auf dem Weg dahin sind wir an der Straßensperre der Polizei vorbeigekommen. Ohne eine Reisegenehmigung haben die Geflüchteten nicht das Recht, Kakuma zu verlassen. Mit Geld kann man die Sperre passieren. Das System ist sehr willkürlich und wenn es sehr schlecht läuft, dann wird man ins Gefängnis gebracht. Kenia hat eine sehr hohe Rate von Korruption nach Zahlen von Transparency International (30/100 Punkten, Deutschland 80/100). Je niedriger die Zahl, desto korrupter ist das Land. Durch das Schmiergeld können die Geflüchteten sich freier bewegen, aber da auf die Laune der Beamten an den Straßenposten angewiesen zu sein ist auf jeden Fall nicht der richtige Weg. (Ich poste lieber keine Bilder von uns, um meine geflüchteten Freunde nicht in Schwierigkeiten zu bringen.)
Mein Praktikum bei LOKADO ist nun zu Ende und meine Zeit im Tarach Guest House auch. Ich hab mich sehr wohl gefühlt und werde meine Kolleg*innen und meine Gastgeberinnen sehr vermisssen. Zum letzten Mal in diesem Jahr war ich mit Leuten von UNHCR, GIZ, WFP und anderen Organisationen in den frühn Morgenstunden auf Kakumas Bergen.
Die nächsten 3 Wochen bin ich auf dem Weg von Kakuma bis Nairobi - auf dem Landweg mit vielen Matatus (Kleinbus), um dann Weihnachten bei der Familie eines Freundes am Victoria-See zu feiern und Silvester mit den Menschen aus Nairobi zu verbringen. Ab Januar bin ich dann wieder in Kakuma, bei einer anderen Organisation im Camp.
Sonnige, aber frische 23°C-Grüße aus Eldoret
Francis
Noch ein Randombild vom Filmfestival von Kenia Filmaid. Sie machen Filmprojekte im Camp, informieren Geflüchtete durch Aufklärungsfilme und bringen Geflüchteten Skills bei, um selbst Filmschaffende zu werden. Falls ihr euch mal was anschauen wollt, gibts auf dem Youtubekanal Filme: https://www.youtube.com/watch?v=1VCw6GEFKo0