Veröffentlicht: 19.07.2019
Don Curry liebt seine Freiheit. Auch wenn er auf Reisen das Tagesprogramm minutiös verplant, nimmt er sich stets die Freiheit, das Programm zu verändern und spontan etwas anders zu machen. Solange er ganz und gar sein eigener Herr ist, mag das alles wunderbar funktionieren, Doch wenn er den Anforderungen anderer genügen muss? Wenn seine Bewegungen auf Schritt und Tritt überwacht werden? Wenn der Staat - natürlich nur zur Sicherheit seiner Bürger - alles von ihm wissen will.
Don Curry hatte es in Russland schon öfter erlebt: Wenn er sich im Hotel oder im Restaurant in ein freies WLAN-Netz einloggen will, muss er seine Handy-Nummer angeben und bekommt entweder eine SMS mit einem Freischaltcode oder muss eine Telefonnummer in Moskau anwählen und nach Kontakt sofort auflegen. In beiden Fällen ist seine Telefonnummer irgendwo gespeichert und verfügbar. Als Grund für die Aktion wird stets die russische Rechtslage angegeben. Man darf zwar das Internet kostenlos nutzen, aber bitteschön staatlich kontrollierbar.
Etwas unwohl hatte sich Don Curry auch in den Metro-Stationen gefühlt. Während der endlos langen Rolltreppenfahrten waren in regelmäßigen Abständen Kameras auf ihn gerichtet. Am Ende der Rolltreppe hat eine Sicherheitsbeamtin ihr Wachhäuschen, in dem sie ununterbrochen auf mehreren Monitoren den Herab- oder Hinaufrollenden ins Gesicht schaut. Big Sister is watching You!
Auch bei seinem ersten Tagesziel sollte Don Curry mit der umfassenden Überwachung konfrontiert werden. Bei strömendem Regen machte er sich auf den kurzen Weg zur Auferstehungskirche, die äußerlich immer noch in brutaler Verstümmelung die Umwelt verschandelte. Lange Schlangen hatten sich vor den Kassen gebildet, doch Don Curry wählte hier erstmals einen Ticketautomaten. Schon hatte er sein Ticket in Händen und die Anstehschlange umgangen. Anstehen - das ist sowas von gestern! - dachte er. Beim Betreten der Kirche wies ein erstes Hinweisschild in Russisch und Englisch darauf hin, das Kaugummis und Speiseeis in der Kirche verboten sind. Das zweite Schild teilte mit, dass man videoüberwacht sein würde.
Doch als Don Curry die Menschenmassen erblickte, die sich in der Kirche vor dem Regen in Sicherheit gebracht hatten, wünschte er den Videoüberwachern viel Freude bei der Identifizierung Einzelner.
Doch viel Zeit für solch banale Gedanken blieb ihm gar nicht, das Innere der Kirche schlug in widerstandslos in ihren Bann. Sie ist komplett mit Tausenden farbenfroher Wandmosaiken verziert. Kein einziger Platz ist frei! Eine ganz und gar einmalige Innengestaltung in Russland, die auch das hemmungslose Blitzen der Fotografenmassen in ihr erlaubte. Erstmals verstand Don Curry gut, warum aktive orthodoxe Kirchen das Fotografieren untersagen. In der Auferstehungskirche gibt es zwar inzwischen frühmorgendlich einen Gottesdienst, doch offiziell gilt sie als Museum und ist daher den Touristen schutzlos ausgeliefert. Blitzlichtgewitter überall!
Überall posiert jemand in möglichst schrägen Verrenkungen, um sich fotografieren zu lassen oder es per Selfie selbst zu tun. Mehrere Chinesengruppen bevölkerten zur Zeit das Gebäude und belichteten gnadenlos alles nieder, was irgendwie sichtbar war. Don Curry sehnte sich nach den zurückhaltenden Japanern früherer Jahrzehnte zurück, die zwar auch alles aufs Foto oder Film bannten, was ihnen nicht entkommen konnte, die aber zumindest leise dabei waren...
Zwiespältig, doch vorwiegend beglückt - und mit vielen Fotos! - verließ Don Curry die äußerlich ruinierte Kirche, um sich dem Projekt "Mittagessen" zu widmen. Zu seinen kulinarischen Zielen in Sankt Petersburg zählte auf jeden Fall ein georgisches Restaurant, deren es auffallend viele gibt. Don Curry entschied sich für das "Mamalyga", das gegen 12:30 Uhr noch relativ leer war. Doch das sollte sich schnell ändern. Nachdem Don Curry bestellt hatte, füllte sich das Restaurant bis auf den letzten Platz, auch mit einer großen chinesischen Gruppe, die den Lärmpegel im Restaurant kräftig erhöhte.
Doch Don Curry suchte keinen akustischen, sondern kulinarischen Genuss - und fand ihn: zunächst wurde ihm ein Schwarzer Johannisbeersaft auf Kosten des Hauses kredenzt, dann hatte er gebratene Auberginenröllchen mit Walnussfüllung und Granatäpfeln bestellt und anschließend ein Chakhabili - gebratenes Huhn in einer sämigen Zwiebel-Tomatensauce mit sehr würzigen georgischen Kräutern und frischem Koriander.
Der eloquente Kellner empfahl dazu ein georgisches Lawasch-Brot, das mit einer scharfen Sauce zum Eintunken serviert wurde; dazu bestellte Don Curry das einzige Fassbier des Restaurants, ein französisches Kronenbourg. Am Ende war das Bier der teuerste Bestandteil des Mittagsmahls, nicht weil das Essen so billig war, sondern das Bier mit umgerechnet 7,92 € unverschämt teuer. Dennoch ein empfehlenswertes Restaurant und eine überaus leckere Landesküche.
Das Gedränge auf der Kuppel erwies sich als viel stärker, auch wenn sie über ungezählte Stufen mühsam erklettert werden musste. Trotz des trüben Tages eröffneten sich weite Blicke in alle Richtungen.
Don Curry konnte von hier aus auch sein nächsten Ziel erblicken: die Warteschlange vor der Eremitage zeigte sich heute deutlich kürzer.
Nach erfolgreichen Abstieg und einem kurzen Besuch beim berühmten Denkmal des Ehernen Reiters, stellte sich Don Curry abermals hinten an.
Doch die Schlange vor der Eremitage umfasste heue nachmittag tatsächlich nur ein Drittel der gestrigen Länge.
Und als Don Curry nach 20 Minuten Wartezeit zu den Ticketautomaten durchkam, verließ er kurzerhand die Schlange, druckte sich sein Ticket selber aus und betrat das Museum. Hier ergab sich nochmals eine Schlange vor den Sicherheitskontrollen, doch dann hatte Don Curry Zugang zu diesem absurd gewaltigem Museum, das von Faustkeilen der Urmenschen über ägyptische, altsibirische und kaukasische Kunst, mittelalterliche Gemälde und Möbel aus Deutschland, Italien, Frankreich usw., russische Wohnkultur durch die Jahrhunderte bis hin zu den Palasträumen der Zaren ein ungeheures Spektrum menschlichen Schaffens- und Repräsentationsdrangs offerierte.
Don Curry versuchte sich zu beschränken und zunächst die Räume des alten Winterpalastes zu durchschreiten, stets verfolgt oder überholt von zahlreichen Chinesengruppen. Don Curry kennt viele Paläste vergangener Herscher/innen dieser Welt, in denen ausgiebig und betörend der Reichtum und Machtanspruch der jeweiligen Monarchen zur Schau gestellt wird, doch die rückhaltlose Verschwendungssucht des zaristischen Russlands übertrifft alles: riesige Vasen aus Malachit und anderen Halbedelsteinen, Räume mit vollständig vergoldeten Wänden, kostbare Wand- und Deckengemälde, Tapisserien vom Feinsten - jeder weitere Raum sollte den Vorgänger übertreffen.
Ein Höhepunkt stellt dabei sicherlich riesige eine mechanische Uhr da, auf der in goldener Lebensgröße Libelle, Eule, Hahn und Pfau in lebensechten Bewegungen den Verlauf der Zeit anzeigen.
Nach drei Stunden Eremitage meldete Don Currys Hirn Reizüberflutung und weitere Aufnahmeverweigerung. Kunstgesättigt verließ er die Eremitage. Für sein Abendessen hatte er einen einfachen Plan gefasst: er holte sich bei der berühmten Piroggen-Bäckerei "Stolle" am Newskij Prospekt ein Stück Kaninchen-Pirogge und ein Stück Kartoffel-Pilz-Pirogge und verzehrte alles mit russischen Starkbieren aus der Dose in seinem Hotelzimmer. Hier würde ihn auch niemand überwachen - hoffte Don Curry zumindest...