Veröffentlicht: 26.01.2017
Don Curry hat keine Angst vor Tieren. Mögen es kleine kläffende Hunde sein oder auch Exemplare von größeren Arten. Doch direkt neben einem ausgewachsenen Elefanten zu stehen, ihm in eines seiner sanften, orangenen Augen zu sehen und ihm etwas den Rüssel zu kraulen - das ist auch für Don Curry kein alltägliches Ereignis.
Am Beginn des Tages war allerdings kein mächtiges Tier in Sicht, sondern ein mächtiges Frühstücksbuffet, zu dessen Reduzierung Don Curry zumindest einen bescheidenen Beitrag leistete. Da heute in ganz Indien Republic Day gefeiert wurde, sorgte das Hotelpersonal dafür, dass sämtliche Gäste Anstecker mit der indischen Flagge bekamen.
Anschließend ging es mit gepackten Koffern im Reisebus in die festlich geschmückte Altstadt von Cochin. Dort wurde zunächst die alte, ehemals portugiesische Kirche St. Francis angesteuert, damals die erste europäische Kirche in Indien und ursprünglicher Bestattungsort Vasco da Gamas. Zu Fuß schlenderte die Gruppe dann, umschwirrt von zahlreichen fliegenden Händlern, zum Hafenbecken mit seinen riesigen chinesischen Fischernetzen und dem Fischmarkt, der gerade in der Evolution zum Trödelmarkt steckt.
Don Curry erwarb für 100 Rupien (ca. 1,30 €) einen coolen praktischen geflochtenen Klapphut, den er seitdem nie öffentlich aufgesetzt hat. Eine kurze Weiterfahrt mit dem Bus brachte die Gruppe zum Ausgangspunkt eines zweiten Spaziergangs, der zunächst durch den sogenannten Dutch Palace mit eindrucksvollen Fresken, und anschließend durch das ehemalige Judenviertel zur Synagoge führte. Dieser alte Gebetsraum einer in Cochin fast gänzlich verschwundenen Religionsgemeinschaft strahlte für Don Currys Empfinden eine ganz besondere Atmosphäre aus. Trotz der zahlreichen Touristen im Raum, wurde dennoch eine von innen kommende Ruhe erlebbar.
Diese Ruhe brauchte man auch, um die folgende schier endlose Busfahrt in die Berge ganz im Osten Keralas zu überstehen. Als einziger Haltepunkt zwischendurch diente der kleine Ort Bhanananganam, in dem die erste Heilige indischer Herkunft, Schwester Alphonsa, gelebt hatte und begraben war. Entsprechend hatte sich eine regelrechte Wallfahrtsstätte entwickelt, mit allem, was an derartigen Orten dazugehört. Die Wallfahrtskirche selbst, aber mehr noch die nahe Pfarrkirche blieben erfreulicherweise Oasen echter Ruhe inmitten des trubeligen Umfeldes.
Am Morgen hatte der Reiseleiter die Gruppe mit der Information überrascht, dass nicht nur der Reisebus samt Fahrer und Beifahrer ausgetauscht wurde, sondern dass sich auch der sympathische Guide Gauror verabschieden musste. Stattdessen übernahm ein neues Team: mit Guide Balaram und Busfahrer Balu, letzterer übrigens mit der zu seinem Namen passenden Statur. Balu konnte auf der beginnenden Bergstrecken nun zeigen, was in ihm steckte. Doch ging er die ganze Sache viel ruhiger und gelassener an als sein Vorgänger. Vermutlich lautete sein Motto: "Versuch's mal mit Gemütlichkeit!"
Erst nach Einbruch der Dunkelheit war das Ziel erreicht: eine Stadt, die offiziell drei Namen besitzt - Thekkady oder Kumily oder Periyar - und die direkt an der Grenze zum Nachbarstaat Tamil Nadu liegt. Der schläfrigen Busfahrt folgte hier allerdings noch ein Potpourri der Überraschungen. Die erste bestand darin, dass der Bus nicht zum Hotel hinauffahren konnte, das weiter oberhalb der Hauptstraße in den Bergen liegt. Stattdessen waren 8 Jeeps bereit, auf die sich die gesamte Gruppe verteilte, um dann rasant die kurvige Bergstrecke aufwärts transportiert zu werden - spätestens jetzt waren alle wieder hellwach. Noch wacher falls möglich wurde man allerdings am Ende der Jeepfahrt. Begrüßungszeremonien in diversen Hotels hatte die Gruppe schon viele erlebt, doch das heutige Programm übertraf alles bisher Dagewesene. Eine große Trommlergruppe in farbenprächtigen Kostümen sorgte im Vordergrund für optische und akustische Aufmerksamkeit, die jungen weiblichen Hotelangestellten umhängten die Angekommenen mit frischen Jasminblütenkränzen für die olfaktorischen Akzente und die vielen Fackeln im Hintergrund gaben der ganzen Szenerie eine gewisse magische Note. Das eigentliche Wunder aber stellte ein riesiger, festlich geschmückter indischer Elefant dar, der direkt neben den infernalisch lärmenden Trommlern stand und die sich anschließende Prozession zum Hotel anführte. Die gesamte Szene könnte einem Fiebertraum entsprungen sein oder einem nicht besonders guten bzw. bewusst surealen Hollywoodfilm: 35 deutsche Touristen trotteten inmitten durchdringend trommelnder Musikanten und sarigekleideter junger Frauen im flackernden Fackelschein einem gewaltigen Tiere folgend durch die indische Dunkelheit.
Am Ende stand der Begrüßungselefant bereit für Fotoaufnahmen. Eigentlich mag Don Curry derart gestellte Bilder überhaupt nicht, doch dem Reiz, diesem mächtigen Tier ganz nah sein zu können, wollte auch er nicht widerstehen. Kalte Tücher und Säfte in der Lobby des Hotels komplettierten schließlich diese erstaunliche Inszenierung. Der Überraschungen war damit aber längst nicht genüge getan. Vor dem Dinner wurden alle in eine Freilichtbühne geladen, wo eine junge Künstlerin zwei Beispiele indischen Ausdruckstanzes zum Besten gab - einmal traditionell, einmal modern-populär. Und selbst das Dinner hatte in diesem Hotel seinen ganz speziellen Charakter. Da das Haus auf die sehr teure staatliche Lizenz zum Alkoholausschank verzichten wollte, wurden einschlägige Flaschen und Dosen fein säuberlich komplett mit Alufolie umwickelt. Don Curry hat daher nie erfahren, ob er tatsächlich Bier aus seiner anonymisierten Dose getrunken hat, vielleicht war es etwas ganz, ganz anderes.
Kurz vor dem Einschlafen fühlte Don Curry immer noch diese runzlige-rauhe Rüsselhaut auf seinen Fingerspitzen, und er sann nach über den tiefen Blick in dieses sanfte, orangene Auge...