Veröffentlicht: 26.02.2017
Don Curry ist ein emsiger Reisender. Vor einer Reise liest er sämtliche verfügbaren Reiseführer und will anschließend alles Erlesene auch leibhaftig sehen und erleben. Manchmal führt ihn das aber auch an seine Grenzen, und manchmal sogar darüber hinaus.
Zu Beginn des Tages gönnte sich Don Curry ein eher spätes Frühstück um 9:00 Uhr. Wassermelonenstücke, Toast, Butter und Marmelade wurden schnell vor ihm ausgebreitet, außerdem bestellte er noch einen schwarzen Tee und zwei Spiegeleier. Danach konnte es auch schon losgehen! Drei kleine Orte standen heute auf dem Programm: Badami, Pattadakal und Aihole, alles einstige Hauptstädte des mächtigen Chalukya-Reiches im frühen indischen Mittelalter.
Prince hatte sich bei Driver-Kollegen erkundigt und schlug vor, in Pattadakal zu beginnen. Don Curry war die Reihenfolge herzlich gleich, Hauptsache er würde all die bedeutenden Tempel zu Gesicht bekommen. Allein Pattadakal verfügt über rund 40 alte Tempel, von denen allerdings einige nur 2x2 m groß sind und anderswo einfach als Schreine bezeichnet würden. Beim Kauf des Tickets fragte man ihn übrigens wieder nach seiner Herkunft, schließlich zahlen Inder nur ein Zwanzigstel des Ausländertarifs von 500 Rupien (ca. 8 €).
In der angenehmen Wärme des Vormittags streifte Don Curry neugierig von einem Tempel zum anderen. Jeder zeichnete sich durch Besonderheiten aus, einige erhoben sich im nordindischen Nagara-Stil, andere vertraten den südindischen drawidischen Architekturstil. Das ganze wirkte wie ein Experimentierfeld für künftige Baumeister und Künstler. Hier durften sie erproben, welche Bauweise und Ausgestaltung die meiste Wirkung zeigte. Teilweise stammten die Tempel bereits aus dem 5. bis 7. Jhdt. n. Chr., erschienen aber keinesfalls archaisch oder primitiv. Die Chalukya-Künstler begannen bereits auf einem hohen Niveau und sollten das noch ausbauen und verfeinern. Geradezu grandios zeigte sich der größte erhaltene Tempel, der auch rituell noch genutzt wurde.
Beim Besuch Don Currys säuberten und verehrten einige Priester gerade die neue Nandi-Statue mit flüssiger Butter und parfümierten Ölen. Im Inneren des Tempels prangte jede Säule in einzigartiger Pracht, während die wenigen Lichtstrahlen, die durch die kunstvollen Fensteröffnungen in den Raum fielen, eine geradezu geheimnisvolle Atmosphäre schufen.
Ein letzter Tempel lag etwas außerhalb des Geländes und wurde daher kaum besucht; doch Don Curry bahnte sich unverdrossen seinen Weg durch das kleine Dorf Pattadakal, das aus weißen Häuschen und engen Gassen besteht. Das gesamte Familienleben spielt sich auf diesen Gassen ab: hier wird gekocht, abgewaschen, die Wäsche geschlagen, die Tiere versorgt, die Kinder betreut, … - ein völlig öffentliches Leben in einfachsten Verhältnissen. Manch scheuer, aber keinesfalls unfreundlicher Blick traf Don Curry, der sich etwas unwohl fühlte ob seines ungefragten Eindringens in so viele Privatsphären. Denn am Ende merkte er, dass nur ein kurzer Weg am Dorfrand entlang nötig gewesen wäre, um den Tempel zu erreichen.
Zwei Wächter versahen hier Ihren einsamen, kaum gestörten Dienst und wiesen Don Curry sofort auf die herrlichen Deckenskulpturen hin, die die Besonderheit dieses Tempels darstellten.
Nach fast zweistündiger aufmerksamer Erkundung aller Pattadakal-Tempel stand nun Aihole auf dem Programm, die älteste Hauptstadt der Chalukya-Dynastie, rund 10 km entfernt. Mit Schrecken las Don Curry im Reiseführer, dass in Aihole über 100 Tempel erhalten blieben. Inzwischen war die Mittagshitze erreicht, Prince suchte nur noch schattige Parkplätze und ließ den Motor laufen, um gefahrlos die Klimaanlage nutzen zu können.
Während das Dorf Pattadakal zwar einfach, aber dennoch gepflegt gewirkt hatte, machte Aihole einen schmutzig primitiven Eindruck. Dabei hatte gerade dieses Dorf unglaubliches Potential, zu einem echten Juwel des Indien-Tourismus zu werden. Die über 100 uralten Tempel standen überall im Dorf herum, die Dorfbewohner hatten ihre Behausungen daran angebaut oder angelehnt; Wasserbüffel, Kühe, Ziegen und Schweine liefen frei zwischen den Tempeln umher, hinterließen aber auch überall ihren Dreck.
Don Curry erkundete zunächst einige kleinere Tempelkomplexe am Dorfrand, in einigen entdeckte er aufsehenerregende Statuen und Skulpturen. Weiter ging es mit dem eingezäunten Gebiet der bedeutendsten Tempel, bei dessen Ticketkauf sich Don Curry wieder als Ausländer outen musste. Rund zwanzig Tempel standen hier eng beieinander, doch Don Curry spürte allmählich eine gewisse Abneigung gegenüber Tempelbauten aller Art in sich aufsteigen. Willkürlich strafte er einige der wenig interessant aussehenden Gebäude mit Nichtbeachtung.
Immer langsamer schleppte er sich bei 34° C zum wichtigsten und ungewöhnlichsten der hiesigen Tempelparade, dem Durgatempel, der Göttin des Todes und der Liebe geweiht. Zahlreiche exzellente Skulpturen von einander zugewandten Paaren gaben diesem Tempel einen besonders menschlichen Charakter; die fast völlige Dunkelheit im Inneren betonte dagegen eindrucksvoll den Todesaspekt dieser sehr zwiespältigen Göttin Durga.
Am Ende dieser Besichtigung, möglicherweise seines 75. Tempels heute, wollte Don Curry nur noch ins Hotel zurück. Er wusste noch um einige interessante Bauten rund um Aihole, darunter einen prächtigen Dolmen, doch eine ausgewachsene Tempelphobie hinderte ihn an jeglichem Antrieb zur weiteren Forschungsarbeit. Zeit wäre noch genug gewesen. Aber auch Prince war keineswegs böse über die unverhoffte Rückkehr.
Im Hotel stärkte sich Don Curry mit frittierten Pilzen im Sesamteig, 2 Pappadams mit Gewürzpaste und einem höchst merkwürdigen Coleslaw, der einfach aus Weißkohl- und Ananasstücken mit etwas braunem Zucker bestand, von Mayonnaise keinerlei Spur. Eine Stunde Ruhe gönnte sich Don Curry, um das leichte Mittagessen und die schwere Tempelkost des Vormittags zu verdauen.
Danach aber konnte er sich doch noch einmal aufraffen, um zumindest die vier berühmten Höhlentempel von Badami zu bestaunen, die ebenfalls Chalukya-Könige in Auftrag gegeben hatten. Über viele Stufen erreichbar, hatte man alle Tempel auf verschiedenen Ebenen in die gleiche riesige Felswand getrieben. Während die unteren Tempel sich noch zahlreicher Besucher erfreuen konnten, hatte Don Curry den vierten Höhlentempel, einen Jain-Tempel, fast ganz für sich allein. Die filigrane Detailverliebtheit und schiere Größe der direkt aus dem Felsen gehauenen Skulpturen versöhnten Don Curry am Ende doch noch mit der Chalukya-Tempelpracht. Doch merke: Zuviel Tempel trüben die Reisefreude! Don Curry ist sich allerdings nicht sicher, ob er diesen neu entdeckten Grundsatz auch beim nächsten Mal beherzigen wird.
Das Abendessen gehörte nicht zu den erfreulichsten der Reise. Da mehrere kleine Gruppen angereist waren, hatte sich die Speiseveranda gut gefüllt, Servicepersonal und Küche schienen damit leicht überfordert, denn alles was Don Curry bestellen wollte, gab es heute nicht. Der leichte entnervte Kellner drängte ihn schließlich dazu, die gleichen Speisen wie gestern zu bestellen – außer der Suppe, die gab es heute nicht. Geschmeckt hat es trotzdem, und Don Curry freute sich auf eine entspannte Nacht, in der er sich vornahm, keinesfalls von Chalukya-Tempeln zu träumen…