Veröffentlicht: 06.02.2017
Don Curry hat ein Lieblingsland . Es ist jener Staat, in den er bereits mit 16 Jahren seine erste Auslandsreise antrat und den er seitdem immer wieder besucht hat. Er liebt die spezielle Kultur dieses Landes, das Selbstbewusstsein seiner Bewohner und vor allem deren ausgeprägte Kunst, das Leben in höchstem Maße zu genießen. In diesem Land isst man nicht einfach, man bestellt ein umfangreiches Menü und nimmt sich einige Stunden Zeit, es bei guten Getränken zu würdigen. In diesem Land spielen Kalorien keine Rolle, die einzig wichtigen Werte sind die Gault-Millau-Punkte und die Michelin-Sterne.
Der Tag begann tatsächlich kulinarisch verheißungsvoll. Bereits kurz vor Sonnenaufgang erwachte Don Curry beim Klang des Meeresrauschens und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen: leicht rosa zeigte sich der Himmel, doch von der Sonne gab es noch keine Spur. Auch später gewann das Morgenlicht zwar an Kraft, ein echter Aufgang der Sonne konnte aber nicht bewundert werden. Trotzdem erwiesen sich die Blicke aufs Meer und das benachbarte dänische Fort als eindrucksvoll.
Das Frühstück konnte Don Curry ganz für sich genießen. Außer den üblichen Buffet-Bestandteilen bot man ihm zahlreiche Omelette- oder Dosa-Varianten an. Er entschied sich für ein Omelette Masala. Während die Eierspeise zubereitet wurde, wählte er einen Tisch draußen nahe des herrlichen Swimmingpools, platzierte dort bereits eine Schüssel mit Müsli und einen frischen Ananassaft. Als er sich vom Buffet noch eine Tasse Kaffee besorgte, musste er eine mächtige schwarze Krähe vertreiben, die sich gerade von seinem Müsli bediente. Das Masala Omelette konnte man als würzig, aber nicht als scharf bezeichnen; einige Papaya- und Ananasstücke rundeten das erste Mahl des Tages auf angenehme Weise ab.
Mit Prince hatte sich Don Curry erst für 10:00 Uhr verabredet, so blieb etwas Zeit, die ehemalige dänische Kolonialstadt zu erkunden. Der benachbarte Hindutempel war leider noch verschlossen, bei der nahen Zionskirche, der ältesten protestantischen Kirche Indiens aus dem Jahr 1701 gelang es ihm aber, das nicht verschlossene Tor zu öffnen: Formale Strenge erwartete ihn innen wie außen. In der etwas jüngeren Neu-Jerusalem-Kirche feierte man gerade Gottesdienst, ein Besuch schickte sich also nicht. Don Curry schlenderte gemächlich die 200 m der Hauptstraße bis zum dänischen Stadttor hinauf und herunter, würdigte das Denkmal des ersten protestantischen Missionars Indiens, des Deutschen Bartholomäus Ziegenbalg, und durchstreifte das fast zu gut restaurierte dänische Fort.
Laut Reiseführer sollte der Tempel eigentlich um 12:00 Uhr schließen, daher beeilte sich Don Curry besonders, noch ein paar Blicke ins Innere zu erhaschen. Doch Indien hält sich extrem selten an geschriebene Regeln: Don Curry landete mitten in der Mittags-Puja, dem Mittagsgebet, das mit viel Glocken- und Trommelbegleitung und lauten Gesängen zelebriert wurde, unterbrochen durch stille Feuerriten der Hindupriester. Ein Inder neben Don Curry filmte die Zeremonie mit seinem Smartphone. Bevor Don Curry sich an sein Verhalten anpassen konnte, stürzte sich ein wütender Hindupriester auf den Landsmann und zwang ihn zum Löschen der Aufnahme. Bei Foto- und Filmaufnahmen im Inneren ihrer Tempel verstehen Hindus grundsätzlich keinen Spaß!
Auch nach dem Puja konnte von Schließung keine Rede sein, alle Bereiche des Tempels blieben mit Gläubigen und Touristen gut gefüllt. Don Curry fielen besonders die unzähligen bunten Mandalas ins Auge, die alle 5 m den Boden der Tempelgänge bedeckten. Leider zeigte sich aber auch in Chidambaram ein erheblicher Teil des Tempels als Baustelle. Die mit exakt 999 Säulen vollständigste 1000-Säulenhalle Indiens war zur Zeit ganz gesperrt.
Aufgrund der Bauarbeiten mussten auch Don Currys Füße besonders leiden, denn außer mittagsheißen Pflastersteinen machte sehr viel Schotter jeden Schritt zur Qual. Trotzdem fand er den Weg zum abgelegenen kleinen Shivakami-Amman-Schrein, dessen Vorhalle mit herrlichen Deckenfresken und kunstvollen Säulen ausgestattet ist.
Allerdings gab es zwischen Vorhalle und eigentlichem Schrein keine Trennung; sobald Don Curry seinen Fotoapparat nur etwas in Richtung der im Schrein agierenden Hindupriester hielt, bekam er von dort ein lautes, erbostes „No!“ Beim Verlassen des Nataraja-Tempels hatte sich Don Curry schon so an das Laufen auf heißen Steinen und rauem Untergrund gewöhnt, dass er fast vergaß, seine Schuhe abzuholen. Erst der resolute Ruf "Your shoes, Sir!“ zwang ihn noch rechtzeitig zur Umkehr.
Das nächste Ziel hieß Puducherry, oder mit altem Namen: Pondicherry. Diese Stadt bildete einst die wichtigste Kolonie Frankreichs in Indien, bevor es auch hier den Krieg gegen die Briten verlor. Politisch unterlag zwar die „Grande Nation“, kulturell blieb ihr Stempel bis heute erhalten, selbst die Polizisten des weitverzweigten Bundesterritoriums Pondicherry tragen Uniformen nach Art des französischen Flic. Die Altstadt Pondicherrys, das sogenannte French Quarter, atmete ebenfalls greifbar französisches Flair aus. Don Curry hatte sich das Restaurant Carte Blanche im renommierten „Hotel de l’Orient“ als Schauplatz seines Mittagsmahls erwählt. Im Innenhof des Hotels freute er sich auf ein Menü echter kreolischer Küche, die in sich französische und indische Komponenten vereint und verfeinert. Als Vorspeise seines Dejeuner diente ihm ein Salat aus winzigen, daumennagelgroßen Kartoffeln, Eierstücken gleicher Größe und geviertelten Minitomaten in einem würzigen Mayonnaise-Dressing, ergänzt durch Baguettescheiben an flüssiger Kräuterbutter. Diesem eher europäischen Hochgenuss folgte ein angenehm würziges kreolisches Meeresfrüchte-Curry mit Kreuzkümmelreis und Chappati-Brot. Letzteres konnte leider nicht ganz bewältigt werden. Begleitet von 1 l Wasser und 0,63 l Kingfisher und beendet von einem Milchkaffee kostete das exzellente Mahl knapp 15 € und sollte Don Curry später sogar das Abendessen ersparen.
Das letzte Ziel des Tages bildete die Kleinstadt Mamallapuram, ebenfalls an der Küste des Golfs von Bengalen gelegen. Massen von Touristen bewegten sich auch abends noch durch die Straßen, doch nach Einbruch der Dunkelheit wollte Don Curry sowieso keine Besichtigung mehr angehen. Bei Erreichen des Hotels INDeco Mamallapuram raunte Prince ihm zu, dass das Hotel zwar oberflächlich einen guten Eindruck machen, die Kunden aber meist wegen der Räume unzufrieden seien. Die mit vielen Lampen beleuchtete Anlage wirkte tatsächlich sehr anziehend. Nach langer Zeit wurde Don Curry wieder einmal mit einem kalten Tuch und einem Saft begrüßt; anstelle des Jasminblütenkranzes hängte man ihm sogar eine Kette aus Muscheln und Meeresschnecken um den Hals. Dass er ca. 10 Minuten auf das Bereitstellen des Zimmers warten musste, zeugte zwar nicht gerade von Professionalität – immerhin hatte er sein Kommen vor vielen Wochen angekündigt – störte ihn aber nicht sehr. Die in einer üppigen tropischen Gartenlandschaft verteilten, architektonisch teils originellen Bungalows wirkten ebenfalls positiv und der Pool mit seinen Delfinstatuen und Kugellampen konnte sogar als traumhaft schön bezeichnet werden.
Doch all das endete sofort bei Betreten des halbkreisförmig angelegten Zimmers: es war nicht eigentlich schmutzig, wie Don Curry befürchtet hatte, sondern immens renovierungsbedürftig. An vielen Stellen blätterte die Farbe von der Decke, Metallteile zeigten Rostschäden, die Lichtschalter wackelte in der Wand, weil die Befestigungen sich gelöst hatten, und dergleichen mehr. Während die Gesamtanlage intensiv gepflegt wurde, hatte man seit dem Bau der Bungalows dort keine Rupie mehr investiert. Dass sich dieser Eindruck des Heruntergekommenen aber in Zeiten des Internets herumsprechen und verheerend auswirken würde, schien das Management nicht zu interessieren. Immerhin wählte ja auch Don Curry das Hotel trotz der vielen durchwachsenen Kritiken im Internet, weil es einfach die beste Lage in der Stadt hatte.
Für heute war er einfach froh, angekommen zu sein und ein Bett zu haben. Sein französisches Mittagessen wirkte noch so sehr nach, dass von Hungergefühl keine Rede sein konnte. So begnügte sich Don Curry mit einem seiner Schmuggelbiere, einem indischen „Haywards 5000 Bold“, das als extra lang gebraut und bei 8% Alkoholgehalt mit Recht als Starkbier bezeichnet wird. Sein süßliches Aroma ging allmählich in süßliche Träume von Boeuf bourgignon, Coq-au-vin oder anderen französischen Leckereien über. Vive la France!