Veröffentlicht: 08.02.2017
Don Curry liebt das Meer. Das ist unbestritten. Wann immer es ihm möglich ist, sucht er sich Hotels direkt an der Küste oder zumindest Zimmer mit Meerblick. Die endlose Weite des Wassers, das beruhigend gleichmäßige Rauschen der Wellen üben eine ganz eigene Faszination auf ihn aus. Allerdings wäre es ihm unerträglich, seine Tage etwa ganz am Strand zu verbringen, den typischen Erholungsurlaub vieler Pauschaltouristen. Nein, das Meer dient ihm vielmehr als angenehme Kulisse, als gehobenes Ambiente, als wohltuendes Hintergrundrauschen, um seine Reiseerlebnisse angenehm abzurunden.
Mit Meeresrauschen begann auch der heutige Tag. Schon früh begab sich Don Curry zum Frühstücksbuffet des INDeco-Hotels, nahm etwas Müsli, French Toast und Papayas zu sich, dazu wieder viel zu süßen Saft und schrecklichen Tee (kein bisschen besser als der schreckliche Kaffee gestern) - und checkte aus. Was die Renovierungsbedürftigkeit der Räume an negativen Eindrücken hinterließ, das versuchte auch heute wieder das überaus freundliche Personal wettzumachen. Nicht nur der Kofferträger begleitete ihn um 8:00 Uhr zum Auto, sondern auch der Chefrezeptionist und der Restaurantleiter wollten sich persönlich von ihm verabschieden.
Zunächst galt es, einen Programmpunkt von gestern nachzuholen. Die sogenannte „Crocodile Bank“ öffnete um 8:30 Uhr ihre Pforten und zeigte auf ihrem Gelände fast sämtliche Krokodilarten der Welt, dazu einige indische Schlangen, Warane und Schildkröten. In den großen Gehegen tummelten sich vor allem hunderte von Sumpfkrokodilen, die teils übereinander die ersten Sonnenstrahlen des Tages genossen. Das über 5 m lange Riesenkrokodil „Croc“, der Star der Anlage, zeigte leider Starallüren und offenbarte nicht einmal seine Schwanzspitze. Besonders interessierten Don Curry die sehr selten gewordenen Gaviale, die sich mit ihren langen dünnen Schnauzen auf den Fischfang spezialisiert haben. Ein besonders mächtiger Gavial lag sogar in einem Unterwasserbecken fotogen direkt an der Scheibe bereit. Viel Bewegung war allerdings nirgends zu beobachten, auch Krokodile pflegten intensiv die für Don Curry gut nachvollziehbare morgendliche Trägheit.
In Kanchipuram, dem nächsten Ziel, war von Trägheit nichts mehr zu spüren. Diese ehemals bedeutende Königsstadt liegt heute etwas abseits der Touristenströme, verfügt aber über zahlreiche prachtvolle und architektonisch wertvolle Tempelanlagen. Direkt an der Zufahrt zur Stadt wartete bereits der Varadaraja Perumal Tempel. Kaum hatte Don Curry den Tempelhof betreten, näherte sich der Verkäufer der Kamera-Tickets: fast 0,08 € musste Don Curry zahlen, um im Tempel fotografieren zu dürfen. Der Ticketverkäufer stellte sich zugleich als Brahmane und Vishnu-Priester vor, und bevor Don Curry irgendetwas unternehmen konnte, hatte er wieder mal einen Tempelguide an seiner Seite, allerdings diesmal einen mit ausgezeichneten Englischkenntnissen und einer Liebe für Details. Er führte Don Curry sofort in die 100-Säulen-Halle, die aus dem 16. Jhdt. stammt und tatsächlich rund 100 gewaltige, monolithische und überaus reich skulptierte schwarze Granitsäulen umfasst. Geradezu hektisch zeigte der Brahmane auf das Detail einer Säule, erklärte, forderte zum Fotografieren auf, zeigte die Rückseite, erklärte, forderte Fotos, zeigte diese Säule, zeigte jene Säule, forderte Fotos, erklärte, schob Don Curry an einen bestimmten Platz, forderte Fotos, zeigte eine andere Säule… Innerhalb kürzester Zeit hatte wohl jede Säule zumindest einmal Beachtung gefunden, und Don Curry hatte den eigenartigen Eindruck, hier mehr Fotos gemacht zu haben, als er eigentlich wollte.
Mit besonderem Vergnügen wies der Brahmane auf die Kamasutra-Szenen hin, forderte Fotos und grinste irgendwie anzüglich. Am Ende seiner hektischen Intensivbesichtigung forderte er prompt 8 €, da er ein alter Mann sei und dieser Tempel der schönste von Kanchipuram. Dieser Argumentation konnte Don Curry nicht ganz folgen, sah eher die geringe Arbeitszeit von 15 Minuten – allerdings bis zum Bersten gefüllte Minuten -, honorierte außerdem sein Wissen und gab schließlich 4 €. Der ziemlich entrüstete Brahmane versuchte zwar noch zu diskutieren, doch Don Curry beendete abrupt seinen hektischen Redeschwall, indem er ging. Zwei andere Tempel harrten seines Besuchs. Doch diese 100-Säulen-Halle gehörte zweifellos zu den prächtigsten und kunstvollsten Tempelbauten, die er bisher in Indien besucht hatte.
Der Kailadatra Tempel gilt als ältester Tempel Kanchipurams. Er steht in direkter Nachfolge der Bauten von Mamallapuram und diente selbst als Vorbild für spätere, deutlich größere hinduistische Bauwerke. Seine begrenzten Ausmaße und sein herrlicher Figurenschmuck aus Sandstein ließen ihn besonders liebenswert erscheinen. Vieles wirkte noch etwas archaisch und machte dennoch das große Können der beteiligten Künstler deutlich. Der offizielle Tempelwächter, den Don Curry gleich zu Beginn als möglichen Guide abgewimmelt hatte, wies ihn aber freundlicherweise auf die letzten erhaltenen Fresken in einer Seitenkapelle hin, ohne irgendwelche Belohnung dafür zu erwarten.
Den Abschluss der Kanchipuram-Tempeltour bildete der größte der hiesigen Hindutempel, der Ekambaranath-Tempel. Er beeindruckte Don Curry allerdings weit weniger als seine beiden Vorgänger. Zum einen lag es sicherlich auch daran, dass wichtige Teile wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen waren, unter anderem die 1000-Säulen-Halle. Anderes war nur für Hindus zugänglich, so dass sich die Größe des Tempels rasch relativierte. Für das Mittagessen empfahl Prince das noble Regency Hotel, in dem Don Curry gegen 12:45 Uhr der erste Mittagsgast war. Ein Kellner mit schwarzem Haarnetz wollte ihm das Lunch-Buffet aufdrängen, doch Don Curry wollte lieber a la carte bestellen: vorweg eine ausgezeichnete Zitronengrassuppe mit Shrimps, danach ein grandioses Chicken-Tomaten-Curry mit einer geradezu göttlichen Soße, ergänzt durch zwei Kulcha-Brote. Negativ am Regency-Hotel in Erinnerung blieb nur, dass Don Curry als Nicht-Hotelgast das WLAN nicht kostenfrei nutzen durfte.
Während Don Curry friedlich und schläfrig verdaute, fuhr Prince dem nächsten Ziel entgegen: dem Arulmigu Arunachalesvara-Tempel von Tiruvannamalai. Vor einem gewaltigen pyramidenförmigen Berg erbaut, gehört dieser Tempel zu den größten Indiens. Allerdings standen auch hier umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen an, vor allem eine Bemalung der Tempeltürme. Daher hatte man einen Großteil der Gebäude eingerüstet. Ausnahmsweise konnte das Don Curry recht sein, weil ihm sowieso kaum Zeit zur Verfügung stand – die Fahrt zum Übernachtungsort würde noch lang sein.
Auch Prince war erleichtert, Don Curry so schnell wiederzusehen. Rasant machte er sich auf den Weg. Yercaud, das Ziel, ist ein echter Gebirgsort in rund 1300 m Höhe gelegen. Entsprechend serpentinenreich gestaltete sich die Anfahrt nach Einbruch der Dunkelheit auf einem nur einspurigen Sträßlein, erfreulicherweise fast ohne Gegenverkehr. Im Hilton Hill Resort schien Don Curry der einzige Gast zu sein. Es hatte nichts mit der amerikanischen Hotelkette zu tun, war aber wie ein amerikanisches Motel gebaut. Die Zimmer stellen eigenständige Bungalows dar mit dem Parkplatz direkt vor der Tür. Jeder Bungalow umfasst 2 äußerst große Räume und 2 komplett eingerichtete Badezimmer, die Möblierung erscheint aber mehr als spartanisch. Das Schlafzimmer zum Beispiel teilen sich ein Kingsize-Bett, ein Sideboard und ein Nachtschrank. Damit ist gerade mal ein Fünftel des ungewöhnlich ausgedehnten Raums gefüllt. Sonst gibt es nur weiße Fliesen, weiße Wände und grelle Neonröhren zur Beleuchtung – keine Dekoration, kein Wandschmuck, keine Fußmatten. Diese Bungalows strahlen so viel sterile Ungemütlichkeit aus, dass man am liebsten gleich wieder flüchten will. Passend zu diesem Nicht-Ambiente und natürlich auch der Höhenlage geschuldet, breitete sich eine ungewohnte Kühle allerseits aus. Heizmöglichkeiten sind natürlich nicht vorhanden.
So blieb Don Curry nichts anderes übrig, als sich anders einzuheizen. Er suchte zunächst das Hotelrestaurant auf, das es allerdings in punkto Gemütlichkeit problemlos mit seinem Bungalow hätte aufnehmen können – vermutlich war derselbe unbegabte Innenarchitekt am Werk gewesen. Don Curry eilte schnell wieder raus, bevor ihn jemand bemerken konnte und landete im Restaurant direkt daneben. Hier sorgten laute Musik und etwas Stoff an Fenstern und auf den Tischen zumindest für etwas Atmosphäre. Eine dreiseitige, eng beschriebene Speisekarte wurde Don Curry gereicht, und der Kellner wartete direkt und ungeduldig auf die Bestellung. Auch hier war Don Curry der einzige Gast, es gab also sonst nichts zu tun. Zunächst brachte man ihm einen Alu-Krug mit heißem Wasser, bei Außentemperaturen um die 20° C brauchen Inder das wohl zum Aufwärmen, Don Curry war vom Frieren noch weit entfernt. Er bestellte eine Kräutersuppe, das berühmte Chicken Chettinadu, Gurken-Rajtha und 2 Paratha-Brote. Schon nach kurzer Zeit stand die Suppe vor ihm: heiß und dampfend und so voller Kräuter, dass sie fast wie ein Eintopf wirkte; sie zeichnete sich zudem durch eine sehr kräftige Würzigkeit aus. Mehr als würzig war dagegen das Chicken Chettinadu: dicke Hühnchenstücke in einer sehr chililastigen dunklen sämigen Soße, dazu herrlich fettige Parathas. Dank der Brote und des Rajthas gelang es ihm, zumindest einen Teil des leckeren Currys zu genießen, bis sämtliche Geschmacksnerven endgültig kapitulierten, die Nase weinte und ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand. Ihm war wieder einmal klar, warum man im Englischen ein scharfes Essen als „hot“ bezeichnet. Zusammen mit einer frisch zubereiteten Zitronensoda kostete das gesamte Mahl nicht einmal 4 €.
So innerlich aufgeheizt konnte sich Don Curry problemlos der kühlen Höhenluft von Yercaud stellen, vor allem aber der eisigen Nicht-Atmosphäre seines Bungalows. Vielleicht würde er im Traum ja nochmals dem Meeresrauschen lauschen können...