Veröffentlicht: 01.07.2023
Don Curry weiß, dass Reisen immer Abschiednehmen bedeutet. Wer festhalten will, wer bewahren möchte, ist zum Stillstand verurteilt. Die Dynamik des Reisens führt weiter und lässt Orte, Personen, Erlebnisse zurück. Doch bricht man nie mit leeren Händen, leeren Herzen auf - von jeder Station einer Reise nimmt man Erfahrungen mit, tankt Erinnerungen auf und kommt auf diese Weise weiter. Und manchmal kehrt man zurück. Manchmal gibt es ein Wiedersehen...
Don Curry freut sich immer, wenn er in einem Hotel mehrmals die Gelegenheit hat, das Frühstücksbuffet zu besuchen. Am ersten Tag erforscht er neugierig das Unbekannte, am zweiten Tag kann er sich das nehmen, was ihm wirklich schmeckt. So griff er wieder beim Würstchengulasch zu, das heute von Dillkartoffeln begleitet wurde, dazu etwas Omelette, Lavash, Butter und Käse. Dann packte er alles zusammen und verließ seine kleine Hütte am See. Das Hotel Lavash konnte als eine der günstigsten Unterkünfte während diese Reise gelten, aber auch als eine der eindrücklichsten.
Die ersten 50 km der heutigen Fahrstrecke kannte Don Curry bereits vom gestrigen Tag. Erst an der Südwestecke des Sewansees bog Xerra ab, um in die Berge vorzudringen. Auf zunächst sehr schlechter Straße, die z.T. bereits Baustelle war, kam Don Curry nur langsam voran, bis er auf das bereits fertiggestellte Teilstück der Fahrbahn stieß. In diesen baumlosen Höhen breiteten sich schier unendliche Wildblumenwiesen aus, und brachten zusätzliche Farben in das angenehme Grün der Landschaft. Kurz nach dem höchsten Pass der Strecke kam Don Curry an seiner ersten Sehenswürdigkeit des Tages an, der Orbelian Karawanserai, gelegen in 2480 Höhenmetern. In dieser komplett unbewohnten Gegend Armeniens sollte diese Einrichtung im Mittelalter als Teil der Seidenstraße Händlergruppen und Karawanen als sichere Zwischenstation und Unterkunft für Mensch und Tier dienen. Das mit Reliefs geschmückte Bauwerk umfasst zwei große fast höhlenartige Räume mit wenig Fensteröffnungen, um vor allen Unbilden der Natur optimal zu schützen.
Im nächsten Tal, das durch faszinierende Felsformationen geprägt war, steuerte Don Curry das Dorf Jeghegis an; hier und in der Nähe haben sich drei mittelalterliche Kirchen erhalten, alle oberhalb der Durchgangsstraße und nur durch enge Pisten erreichbar. Don Curry beschloss kurzerhand, Xerra an der Durchgangsstraße zu parken und den 1 km langen Weg zur bedeutendsten dieser Kirchen zu Fuß zurückzulegen. Warum müssen Kirchen immer soweit oben liegen?, fragte er sich atemlos. Außerdem sorgte er sich, wie er mit eventuell aggressiven Dorfhunden umgehen sollte, die kein Verständnis für kunstinteressierte Fremde haben würden. Doch der einzige aktive Hund des Dorfes wartete direkt an der Kirche auf. Wie schon in Georgien haben die hiesigen Hunde keinerlei Kontaktscheu. Sie lieben es, nach den Schnürsenkeln zu schnappen, so dass man fast ins Stolpern gerät, wenn sie einem direkt um die Beine streichen. Doch das ist nur Ausdruck ihrer Neugier und ihres Spieltriebs; solange man keine Angst zeigt, kommt man gut mit dieser Art von Hunden zurecht. Die Stufen zur Kirche hochsteigen wollte der Hund nicht und ließ daher Don Curry bald in Ruhe. Die Zorats-Kirche besitzt ein Alleinstellungsmerkmal unter all den zahlreichen Kirchen Armeniens. Sie scheint eine Art Open-Air-Kirche inmitten der berauschenden Natur der Umgebung gewesen zu sein. Zwar gibt es Grundmauern eines klar erkennbaren Kirchenraums, doch verfügten nur der Altarraum mit der Apsis über ein festes steinernes Dach. Ob der Rest der Kirche einst ein Holz- oder Strohdach besaß, konnte man bisher nicht klären. So steht heute auf dem Hügel eine Kirche mit üblicher Breite und Höhe, die aber nur 5 m lang und zu einer Seite völlig offen ist. Selbst Don Curry findet immer wieder Einzigartiges und Unvergleichliches auf seinen Reisen.
Er konnte bereits feststellen, dass sich die Landschaft inzwischen grundlegend verändert hatte. Während der Norden Armeniens bis hinunter zum Sewansee durch Wälder und vegetationsreiche Wiesen gekennzeichnet ist und ein sattes Grün als Grundfarbe aufzeigt, ist der vorherrschende Farbton im beginnenden Süden des Landes ein trockenes, strohiges Gelbbraun. In diesem Teil Armeniens kommen Niederschläge vor allem im Sommerhalbjahr recht selten vor, so dass die Vegetation bereits großteils verdorrt ist, und der Charakter einer weitläufigen, hügeligen Steppe entsteht. In genau so einer unwirtlichen Landschaft erhebt sich das Kloster Tanahat, das zu seinen Glanzzeiten ein wichtiges geistliches Zentrum war. Heute steht nur noch die Kirche, alle anderen Gebäude sind zu Ruinen verfallen. Der gesamte Baukomplex besteht aus schwarzen Basaltsteinen, so dass Tanahat fast etwas unheimlich und abweisend in seiner isolierten Lage wirkt. Zu diesem Eindruck passte es, dass Don Curry der einzige Besucher weit und breit blieb. Erst als er wieder aufbrach, tauchte ein anderes Fahrzeug auf dem Parkplatz auf.
Von Alleinsein konnte beim nächste Ziel keine Rede sein. Schon als Xerra in die Stichstraße zum Kloster Noravank abbog, standen mehrere Reisebusse und noch viel mehr Pkws am Straßenrand. Dort lässt sich eine berühmte Höhle besichtigen. Und alle diese Fahrzeuge werden mit Sicherheit die 10 km der Stichstraße bis zum Kloster folgen. Auch dieses Kloster liegt völlig einsam, allerdings in einer komplett anderen Umgebung. Schon die Fahrt auf der Stichstraße führte durch eine grandiose Felsschlucht, die im ersten Teil gerade genug Platz für die Straße zwischen ihren Wänden zuließ. Später verbreiterte sie sich allmählich, bis irgendwann auf der linken Seite und in halber Höhe der Felswand zwei Kirchtürme aufragen: Kloster Noravank. Der überwältigenden Natur angemessen, in der es Platz gefunden hat, macht Noravank auch architektonisch einen überwältigenden Eindruck. Anders als bei den Klosterperlen des Nordens mit ihren vielfältigen, ineinander verschachtelten Gebäuden, gibt es hier zwei klar voneinander getrennte Kirchen, die jeweils über einen eigenen Gawit verfügen. Die große Besonderheit der Muttergotteskirche liegt darin, dass sie eine echte Doppelkirche ist, also zwei Kirchen unmittelbar übereinanderliegen. Zur fast völlig dunklen Unterkirche muss man mühsam auf steilen Stufen hinabsteigen; zur Oberkirche führen 10 nur 20 cm schmale Steinstufen direkt an der Kirchenfassade empor, ohne jede Sicherung. Bis vor kurzem konnte die Oberkirche über diese Stufen betreten werden, doch gab es wohl so viele Unfälle und Stürze, dass diese Möglichkeit nicht mehr besteht. An die Hauptkirche, die Täuferkirche, ist außer dem Gawit auch eine Grabkapelle für Fürst Smbat Orbelian angebaut. Sämtliche Gebäude verfügen innen und außen über reichen Skulpturenschmuck. An diesem wunderbaren Ort hätte Don Curry gern mehr Zeit verbracht, wenn nicht ständig neue Massen herbeigeströmt wären, die sich genauso von Noravank angezogen fühlten.
Tapfer kämpfte sich Xerra anschließend durch die Gebirgsregion, die zwischen Südarmenien und der Araratebene liegt. Sepentinen hoch, Serpentinen runter. Xerra kannte das schon zur Genüge. Und plötzlich tauchte er in der Ferne auf: DER Berg der Armenier, der gar nicht zum heutigen Armenien gehört. Vor zwei Jahren hatte Don Curry bereits die anderes Seite dieses mächtigen Vulkans bestaunen dürfen, bei seiner Reise durch den Osten der Türkei. Heute blickte er auf die Ostseite des schneebedeckten Ararat und seines Begleiters, des Kleinen Ararat. Das Kloster Chor Virap ist einer der Orte, die auf armenischen Staatsgebiet dem Ararat am nächsten liegen. Es gehört zu den obligatorischen Fotomotiven jeder Armenienreise: das Kloster im Vordergrund, der Ararat im Hintergrund. Auch Don Curry konnte sich dieser Pflicht nicht entziehen. Zuvor nahm er sich aber ausreichend Zeit, um das Kloster selbst zu würdigen. In der Klosterkirche fand gerade eine religiöse Zeremonie statt, in der ein junger Mann im Mittelpunkt stand. Der Priester in typisch armenischem Kapuzengewand segnete ihn mehrfach, ein professionelles Kamerateam nahm den ganzen Ritus auf Video auf. Dann stieg Don Curry auf den Felsen oberhalb des Klosters. Ganz wolkenfrei gab sich der Ararat heute nicht, aber als fotogener Hintergrund für das Kloster konnte er allemal durchgehen.
Die Sonne begann sich allmählich zu verabschieden, der Abend begann, und Don Curry musste noch sein Hotel mitten im Zentrum Jerewans erreichen. Durch dichten Verkehr und gelegentliche Staus arbeitete er sich voran. GoogleMaps ließ ihn kurz vor dem Ziel eine Straße zu früh abbiegen. Bei den vielen Einbahnstraßen Jerewans bedeutete das einen zusätzlichen Weg von fast 15 Minuten. Doch dann war Don Curry beim 14th Floor Hotel angekommen, das über einen eigenen Parkplatz verfügt. Der Name ist hier Programm: die Rezeption liegt zwar im Erdgeschoss, sämtliche Zimmer aber im 14. Stock des Hochhauses. Darüber gibt es noch den Frühstücksraum mit einer ausgedehnten Dachterrasse. Natürlich hatte Don Curry nichts dem Zufall überlassen und sich ein Zimmer mit Araratblick gebucht.
Ein weiterer Grund für das Auswahl dieses Hotels: direkt nebenan liegt die CraftBeer-Brauerei "Dos" mit angeschlossenem Restaurant. Dort wollte Don Curry den Abend nun ausklingen lassen. Die Rezeptionistin hatte er nach ihren Restauranttipps gefragt; sie nannte einige Namen, betonte aber, dass Don Curry sicherheitshalber einen Tisch reservieren solle. In einem Brauhaus wohl kaum, dachte Don Curry, und sollte sich täuschen. Gleich beim Betreten des "Dos" kam ein Kellner auf ihn zu und erklärte, dass kein Tisch mehr frei sei. Das Zentrum Jerewans quillt fast über von Restaurants, doch überall bot sich das gleiche Bild: entweder volle Tische oder Reserviert-Schilder auf den leeren. Dann entdeckte Don Curry eine Art Kantine, wo man fertig zubereitete Salate und andere Speisen zum Mitnehmen kaufen konnte. Im Angebot waren auch diverse Sandwiches, Burger und Hot Dogs. Ein Chicken Sandwich, bestellte Don Curry. Chicken Sandwich no, sagte die Bedienung. Ein Fajita Sandwich, versuchte Don Curry. Fajita Sandwich no, sagte die Bedienung. Irgendein anderes Sandwich?, fragte Don Curry. Sandwich no, sagte die Bedienung. Hot Dog?, fragte Don Curry. Hot Dog no, sagte die Bedienung. Burger no?, prohezeite Don Curry. Burger no, bestätigte die Bedienung und musste grinsen. Also musste Don Curry sein Glück woanders suchen. Er fand es in einem winzigen Shawarma-Laden, der nur über zwei Tische verfügte. Hier bestellte er sich für 1000 Dram (2,50 €) ein Chicken Shawarma with everything zum Mitnehmen. Ein Shawarma, die nahöstliche Schwester des Döner, ist zwar kein armenisches Gericht, aber passte gut in das immer noch 30° C warme Klima dieses Abends. Don Curry legte sein Shawarma kurz in Xerra beim Hotel ab und kaufte sich im benachbarten Carrefour-Supermarkt ein Einliter-Plastikfass Bier und andere Getränke.
Dann saß er im 14.. Stock auf seinem kleinen Balkon, spülte sein Shawarma mit Bier herunter und sah den Ararat nicht. Es war bereits zu dunkel. Aber morgen, so wustte er, morgen gibt es ein Wiedersehen...