Veröffentlicht: 13.07.2023
Don Curry hatte bereits bei der Planung der Reise überlegt, ob er das tatsächlich machen wollte. Von der Reisestruktur gab es keine andere Möglichkeit, als in Gori eine Zwischenübernachtung einzulegen. Aber sollte er wirklich die wichtigste Sehenswürdigkeit Gotis besuchen? Jenes Museum, das dem größten Sohn der Stadt gewidmet ist? Das Museum von Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili? Besser bekannt als Stalin. Er beschloss, sich dem auszusetzen.
Bei strahlendem Sonnenschein begann der Tag deutlich erfreulicher, als die letzten Tage. Das Frühstücksbuffet hatte sich kein bisschen verändert, dennoch schien es heute besser zu schmecken. Nach dem Auschecken aus dem Hotel fuhr Don Curry zunächst ins Zentrum von Kutaissi, um den sehenswerten Kolchis-Brunnen im Mittelpunkt der Stadt zu bestaunen. Dann ging es weit in die Bergwelt nördlich von Kutaissi hinein. Nach zahlreichen Kurven und einer Stunde Fahrtzeit stoppte Xerra endlich in dem Bergdorf Nikortsminda.
Wieder einmal konnte eine Kirche Don Currys Neugier wecken. Die Kathedrale von Nikortsminda stammt aus dem 11. Jhdt., als dieses Dorf von deutlich größerer Bedeutung war. Berühmt ist die Kirche vor allem für ihren außergewöhnlichen Fassadenschmuck: virtuos eingefasste Fenster, Portalskulpturen über den Zugängen, raffinierte geometrische Motive an verschiedenen Stellen, selbst der Kuppelturm zeigt aufwendige Verzierungen. Das Fest für die Augen setzte sich in der Kirche erfreulicherweise fort. Eine Komplettausmalung aus dem 17. Jhdt. konnte fast vollständig erhalten werden. Don Curry schwelgte und versuchte die einzelnen Darstellungen zu ergründen.
Die Weiterfahrt nach Gori bot sogar noch mehr Kurven und eine Fahrtzeit von über 3 Stunden auf. Zwischenzeitlich ermöglichte die Route prachtvolle Blicke auf den Hohen Kaukasus und seine schneebedeckten Gipfel. In Gori angekommen fand Don Curry das Hotel Georgia Gold in einer äußerst unübersichtlichen Situation vor. Zahlreiche junge Menschen gingen ständig ein uns aus, die Rezeption blieb völlig unzugänglich. Eine junge Frau erklärte ihm, dass gerade eine Konferenz im Hotel stattfinde, sie sich aber um ihn kümmern würde. Nach langem warten und Ausfüllen eines Formulars konnte Don Curry endlich einchecken. Er lud nur schnell das Gepäck ab und machte sich auf den kurzen Weg zum Stalinmuseum.
Vor dem marmornen Punkgebäude erhebt sich eine Art griechischer Tempel, in dessen Säulenspalier sich ein kleines unscheinares Häuschen befindet. Das soll Stalins Geburtshaus, das allerdings nicht betreten werden kann. Im Museum selbst führt eine Prachttreppe zu einer überlebensgroßen Statue des Diktators hinauf, dann schließt sich im Obergeschoss eine breite Ausstellung über die Biografie und die herausragenden Verdienste des Genossen Stalin an. Don Curry wurde übel bei all der Heldenverehrung. Man hatte sich anscheinend entschlossen, das noch aus Sowjetzeiten stammende Museum unverändert und damit auch unkritisch weiter zu betreiben. Einer der größten Verbrecher und Massenmörder des 20. Jhdts. wurde hier als weiser Führer der Nation und fürsorglicher Kümmerer für sein Volk dargestellt. Ein großes Ölgemälde zeigte Stalin bei einem Kongress fortschrittlicher Kolchosebetriebe, wo er von zahlreichen Landfrauen jeglichen Alters angehimmelt wurde. Als noch unerträglicher empfand Don Curry den letzten Raum des Obergeschosses. Er enthielt nur zwei Ausstellungsstücke: ein großes Gemälde Stalins auf dem Totenbett und eine Art Totenmaske auf einem schwarzen Samtkissen, umringt von einem Kreis weißer Säulen.
Erst zum Schluss entdeckte Don Curry zwei ziemlich versteckte Räume im Erdgeschoss, die auf die vielen Verbrechen, Verhaftungen und politisch motivierten Ermordungen der Stalinzeit hinwiesen. Wenigstens ein kleiner Ansatz der Relativierung. Neben dem Museum steht der Eisenbahnwaggon, mit dem Stalin durch sein Reich zu reisen pflegte. Mit einer gewissen Genugtuung nahm Don Curry zur Kenntnis, dass Luxus und Komfort keine Kriterien bei der Ausstattung des Vehikels dargestellt hatten.
Auf der Suche nach einem Abendessen durchstreifte Don Curry weitläufig die Innenstadt Goris, ohne etwas Passendes zu finden. Also kehrte er im Hotelrestaurant ein, wo er der einzige Speisende bleiben sollte. Nach einer würzigen Hühnersuppe wurden ihm gegrillte Kalbsstücke mit Adjika, der georgischen Würzpaste serviert, die Pommes frites kamen erst 10 Minuten später. Dazu gab es georgisches Kayaki-Bier, leider nicht vom Fass. Abermals zeigte dieses Mahl, dass Hotelrestaurants selten zu kulinarischen Ansprüchen neigen, da ihnen ja sowieso jeden Tag neue Gäste ins Haus kommen.
Trotzdem fiel Don Curry gesättigt in sein Bett und musste nicht nur die üppigen Speisen verdauen, sondern auch seine Begegnung mit diesem Unmenschen Stalin. Er ist froh, dass es in Deutschland sicherlich/hoffentlich niemals ein Hitler-Museum geben wird...