Veröffentlicht: 11.07.2023
Don Curry erwachte im Regen. Die ganze Nacht plätscherte, trommelte, pladderte, tröpfelte, stipperte, ergoss es sich auf das Dach seiner Hütte. Ein Blick aus dem Fenster verriet, dass der weiße Hund die ganze Zeit ausgeharrt hatte; er lag noch immer zusammengerollt direkt vor Don Currys Tür. Notdürftig machte sich Don Curry mithilfe des Wasserkanisters bereit für den Tag. Auf ein Frühstück hatte er verzichtet, um sich möglichst früh auf den Weg machen zu können.
Don Curry startete im Regen. Der Hund schaute ihn erwartungsvoll an, als er die Tür öffnete. Ob er eine Belohnung für seinen treuen Wächterdienst erhalten wollte? Leider konnte Don Curry ihm nichts bieten. Der Weg hinab zu Xerra über die Wiese zeigte sich ziemlich aufgeweicht im Dauerregen. Don Currys Sorgen wuchsen. Dennoch hielt er an seinem Plan fest. Prinzipiell gibt es zwei mögliche Routen nach Kutaissi. Eine 270 km lange Strecke zurück über Mestia in weitem Bogen um die Kaukasusausläufer herum, oder eine 170 km lange direktere Verbindung über den Zagari-Pass. Diese Passstrecke ist allerdings nicht asphaltiert und führt auf 2620 m hinauf. Ohne Regen hätte er auf jeden Fall die kürzere und spektakulärere Route gewählt, mit Regen wollte er es wenigstens probieren. Umdrehen konnte er immer noch.
Don Curry fuhr im Regen aus Ushguli hinaus. Da der Hauptweg durch das Dorf gerade zugeparkt war, musste er sich auf umständlichen Umwegen aus dem Dorf herauskämpfen. Die Passstraße selbst konnte als akzeptable Piste bezeichnet werden. Anders als beim "Todespass" gab es hier beim Herauffahren zum Pass kaum Serpentinen. Zwischendurch kam Don Curry an einigen Baufahrzeugen vorbei, die gerade mächtige Rohre verlegten, um den sporadischen Gebirgsbächen einen Abfluss unter der Piste hindurch zu ermöglichen. Damit würde die Strecke künftig einfacher zu befahren sein. Für Don Curry bedeuteten die schweren Fahrzeuge eher ein Problem, da sie den regendurchtränkten Boden mit ihren tiefen Spurrillen noch matschiger gemacht hatten. Dennoch gelangte Don Curry relativ sicher auf die Passhöhe. Kurz rissen hier die Wolken auf, so dass er zumindest eine Ahnung bekam, wie herrlich hier das Bergpanorama an sonnigen Tagen sein muss.
Don Curry probierte im Regen einen kurzen Abstecher zu einem kleinen Kloster, das ein paar Mönche erst vor wenigen Jahren hoch in den Bergen über dem Pass erbaut hatten. Eine erdige Stichstraße führte dort hinauf. Doch weit kam Xerra nicht. Don Curry erkannte schnell, dass aufgeweichte Erde auch für Allradfahrzeuge eine nicht zu bewältigende Grenze bedeutet. Sobald sich die Reifen mit dem tiefen Matsch zugesetzt haben, drehen sie einfach durch und sind nicht mehr zu kontrollieren; das gilt bei zwei Antriebsrädern genauso wie bei vier. Nach gut 10 m Erdpiste steil aufwärts kam Xerra keinen Zentimeter mehr voran sondern rutschte einfach nur noch hin und her. Diesmal gab Don Curry tatsächlich auf und ließ Xerra vorsichtig - so weit das möglich war - den steilen Hang wieder zurückrutschen. Fast wäre Xerra dabei in einen tiefen Graben neben der Piste geglitten und evtl. dort steckengeblieben. Doch da zumindest ein Reifen wieder festen Untergrund erreicht hatte, konnte Don Curry dieses Schicksal gerade noch abwenden.
Don Curry manövrierte im Regen besonders vorsichtig die Passpiste abwärts. Auch hier gab es gelegentlich Abschnitte, wo weder Geröll noch felsiger Boden Stabilität ermöglichten. Gab Don Curry auf diesen erdigen Passagen nur etwas zuviel Gas, glitschte Xerra kaum kontrollierbar herum, stand einmal sogar fast quer zur Piste. Doch Don Curry lernte dazu, wie er extrem langsam und vorsichtig auch diese anspruchsvollen Streckenteile einigermaßen sicher bewältigen konnte.
Don Curry stieß im Regen bald auf noch viel mehr Baufahrzeuge, die die Piste verbreiterten und einebneten. Dann traf er auf eine Stelle, wo Bauarbeiter bereits die Begrenzungshölzer auf der Piste anbrachten, in die dann der flüssige Asphalt gegossen werden konnte. Kurz darauf gab es auf einer Fahrbahn der Piste schon ausgehärtete Asphaltflächen, die aber noch nicht freigegeben waren. Und schließlich fuhr Xerra auf Asphalt, viel früher, als es in den Reiseführern angegeben ist. Ganz nebenbei lernte Don Curry alle wesentlichen Schritte modernen Straßenbaus kennen. Vermutlich wird die gesamte Strecke über den Zagari-Pass in kurzer Zeit komplett asphaltiert sein.
Don Curry durchquerte im Regen Unterswanetien. Auch hier leben Swanen, die aber mehr Verbindung ins innere Georgien haben, als zu ihren Stammesangehörigen jenseits der Berge. Eigentlich plante Don Curry eine abenteuerliche Wanderung hoch über dem Okatse-Canyon, doch im strömenden Dauerregen kann er weder die grandiosen Aussichten noch das pure Unterwegssein genießen. Er verschob die Wanderung auf morgen. Stattdessen steuerte er einen Wasserfall an, der ebenfalls zum Okatse-Canyon gehört.
Don Curry verließ im Regen Xerra, um zahlreiche Treppenstufen zu dem Wasserfall hinabzusteigen. Überall sonst würde man Eintrittsgeld für so ein Naturspektakel erheben, dachte er noch, bis er am Ende der Treppen ein großes Kassenhaus vorfand, bei dem er als Ausländer immerhin 6 € zahlen musste. Auf stabilen Metallgittern ging es weiter abwärts, bis das Rauschen gewaltiger Wassermengen das Trommeln des Regens übertönte. Ein 70 m hoher Wasserfall stürzt direkt vor den Augen der Besucher von der Felswand des Canyons, und kann von einer Plattform bestaunt werden. Doch die Metallgitter führen noch weiter, bis der Besucher mehrere Meter über dem Abgrund steht, in den ein weiterer Wasserfall sich ergießt. Diesen kann man von oben bewundern und zugleich die Landschaft tief unter den eigenen Füßen. Hier wäre Don Curry auch ohne Regen nass geworden, bei all der Gischt und dem Wasserdampf in der Luft.
Don Curry beschloss im Regen trotzdem noch das Martvili-Kloster zu besuchen. Wieder beinhaltete der Besuch zahlreiche Treppenstufen hinauf und später herab. Das alte Kirchlein, das Don Curry eigentlich bewundern wollte, fand er verschlossen vor; vermutlich rechneten die Mönche bei diesem Wetter nicht mit Besuchern.
Don Curry erreichte im Regen Kutaissi, die zweitgrößte Stadt Georgiens. Zu seinem vorgebuchten Hotel "Green Town" musste er auf kopfsteingepflasterten Serpentinen hinauffahren, was Xerra gar nicht mochte. Durch die massive Feuchtigkeit wurde der Belag so glatt, dass Xerras Räder immer wieder durchdrehten. Irgendwann war auch das geschafft. Don Curry wurde ein Zimmer zugedacht, das einen guten Blick auf die benachbarte Bagrati-Kathedrale ermöglichte, dem eigentlichen Highlight der Stadt.
Don Curry schrieb im Regen an seinen Berichten, während seine Kleidung vor sich hintrockneten.
Doch dann kam die Sonne hervor! Der Regen endete unvermittelt und blauer Himmel setzte sich durch. Erfreut entschloss sich Don Curry nun doch zu einem Spaziergang, zumindest hinauf zur Kathedrale. Dieses mächtige Bauwerk aus dem 11. Jhdt. gehörte einst zusammen mit der Kloster Gelati zum UNESCO-Welterbe, solange es noch Ruine gewesen ist. Die Georgier wollten diesen historisch extrem bedeutsamen Bau gern wieder als Kirche nutzen und beschlossen eine umfassende Restaurierung, deren Ausführung den Verantwortlichen der UNESCO allerdings gar nicht passte. Daher strichen sie 2017 die Kathedrale von der Welterbeliste, das Kloster Gelati blieb dort allein stehen. Bei seinem Besuch entwickelte Don Curry durchaus Verständnis für die Entscheidung der UNESCO. Von außen strahlt die Kathedrale überzeugend Macht und Geschichtlichkeit aus; nur an einer Stelle sticht ein Bauteil komplett aus schwarzem Metall heraus, das dazu dient, eine Lücke im Mauerwerk zu schließen. Innen wirkt sich diese bewusste Diskrepanz zwischen Alt und Neu weitaus stärker aus; neben den steinernen Säulen aus dem Ursprungsbau erheben sich schwarze Metallsäulen, die ergänzt wurden. Auch Teile der Dachkontruktion zeigen auf den ersten Blick, dass sie im 21. Jhdt. entstanden sind. Selbst die liturgische Ausstattung mit Ikonostase und zahlreichen Ikonen konnte Don Curry nicht wirklich überzeugen und passte wenig in diesen altehrwürdigen Bau.
Don Curry suchte sich bei strahlendem Sonnenschein einen Tisch im Garten des netten Restaurants "Our Garden", genau in der Mitte zwischen Kathedrale und Hotel gelegen. Er bestellte ein Kalbsleber-Chashushuli, Kartoffeln nach Familienart und seinen Lieblingssalat; dazu einen Tsolikauri, der sich als sehr vollmundiger Weißwein entpuppte. Etwas enttäuscht nahm Don Curry zur Kenntnis, dass das Schmorgericht Chashushuli zwar Kalbsfleisch, aber keine Leber enthielt. Kurz nachdem er sein Essen bekommen hatte, begann es zaghaft zu tröpfeln. Sicherheitshalber wählte Don Curry beim Betreten des Gartens einen Tisch unter einem großen Schirm; nur dort gab es trockene Stühle. Das Tröpfeln stellte also kein Problem dar, bis...
Don Curry aß im Regen, im strömenden Regen. Zwischenzeitlich war ihm mal wieder eine Katze zugelaufen, die ihm solange um die Beine strich, bis er ein paar Stücke vom Kalb für sie erübrigte. Ein kleines Stück Gurke, das er ihr auch zuwarf, wurde zwar sorgsam abgeleckt, aber sonst ignoriert. Sowas ist schließlich nicht essbar! Als Don Currys Hunger gestillt und das Prasseln des Regens unerträglich geworden war, nahm Don Curry schnell sein Glas Wein und flüchtete in den überdachten Teil des Gartens. Die Katze trat ebenfalls die Flucht an. Don Curry sah kurz darauf, wie die Wassermassen den Schirm immer wieder zur Seite drückten, so dass nichts und niemand am Tisch trocken geblieben wäre.
Don Curry wartete im Regen und nippte an seinem Tsolikauri, in der Hoffnung, dass der Starkregen irgendwann nachlassen würde. Selbst die Kellner trauten sich nicht mehr raus. Nach 20 Minuten lief Don Curry schnell in den Speiseraum, zahlte an der Theke seine Rechnung und eilte den kurzen Weg zum Hotel hinab. Auch wenn es nur 100 m waren, kam er dort völlig durchnässt an.
Don Curry schlief im Regen ein...