Veröffentlicht: 08.10.2021
Don Curry reist gern. Doch fast genauso gern bereitet er Reisen vor. Von der Reisebranche industriell vorgefertigte Urlaubsprodukte "von der Stange" sind ihm ein Graus. Nein, für ihn ist Reisevorbereitung echtes Handwerk, fast so etwas wie eine Kunstform, bei der verschiedenste Ebenen miteinander verknüpft werden müssen: die eigenen Interessen und Vorlieben, die zumutbare Menge von Fahrtkilometern und Sehenswürdigkeiten pro Tag und die Wahl der passenden Unterkünfte, die gern sehr unterschiedlich sein dürfen. All das fließt zusammen in ein filigranes Gesamtwerk, dass das Prädikat "Don Curry on Tour" verdient. Was für Don Curry den Gipfel der Reiseverkommenheit darstellt, ist eine All-Inclusive-Reise in ein abgelegenes Resort ohne Mietwagen - nichts anderes als ein freiwilliges Weggesperrtwerden mit festen Fütterungszeiten. Aber womöglich beruht Don Currys Meinung auf einem realitätsfernen Vorurteil. Darum setzt er sich tatsächlich seinem schlimmsten Alptraum aus: er hat für 2 Nächte ein All-Inclusive-Hotel gebucht. Würde er das verkraften?
Das Hotel "Kayalar Terrace" stellte so ziemlich das Gegenteil eines All-Inclusive-Hotels dar: es war klein, sehr persönlich geführt und überraschte mit vielen liebevollen Details. Das Frühstück gehörte definitiv zu den extrem positiven Überraschungen. Es wurde ab 9:00 Uhr auf der Dachterrasse direkt am Tisch des Gastes serviert, der währenddessen die grandiose Aussicht genießen konnte. Don Curry entdeckte sogar in weiter Ferne den Akropolisfelsen von Assos mit den weißen Säulen des Athena-Tempels. Doch dann kam der Wirt und bannte Don Currys Augen unweigerlich auf den Tisch vor ihm. Neben einer Kanne Tee, einem Korb frisch getoasteten Weißbrots und einem Teller mit vier Käsesorten plus zahlreicher Gurken- und gehäuteter Tomatenstücken, Rosinen und getrockneter Feigen platzierte der formvollendete Gastgeber neun kleine Schüsselchen, die Inhalte verschiedenster Art fassten: zwei Sorten Oliven, Chilisauce und Thymianöl zum Dippen, Erdbeer- und Aprikosenmarmelade, eingemachte Erdbeeren, Butter und ein Honig, der die Aromen mediterraner Kräuter fantastisch eingefangen hatte. Ein frisch zubereitetes Omelett vervollständigte schließlich das ganz persönliche Mini-Buffet. Don Curry schwelgte im Frühstückshimmel, auch wenn das für ihn ein selten besuchter Ort ist.
Dermaßen verwöhnt und gestärkt startete Don Curry durch. Es würde wieder eine lange Fahrtstrecke werden. Bevor er seinen gestrigen Ruinen-Trip fortsetzen wollte, hatte er sich zunächst einen anderen Aspekt der hiesigen Geschichte zum Ziel erwählt, allerdings einen ziemlich dunklen, der erst rund 100 Jahre zurückliegt. Bis dahin war die gesamte Ägäisküste nahezu ausschließlich von Griechen bewohnt, beiderseits des Meeres. Die von Atatürk nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches initiierte türkische Nationalbewegung führte in der Folge zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen und brutalen Vertreibungen. Am Ende hatten nahezu sämtliche Griechen Kleinasien verlassen, während umgekehrt die Türken aus allen griechischen Gebieten vertrieben wurden. Viele Küstenstädte der Ägäis verfügen immer noch über zahlreiche orthodoxe Kirchen, die schnell zu Moscheen umfunktioniert wurden. In der Stadt Ayvalik gab es allerdings eine Ausnahme von dieser Regel. Die hiesige griechisch-orthodoxe Kathedrale blieb ohne "Konversion" erhalten und war kürzlich als Museum restauriert worden. Dort wollte Don Curry hin.
Wie immer hatte Google Maps ihm den schnellsten Weg errechnet, der zunächst bequem auf einer gut ausgebauten Europastraße bis an den Rand von Ayvalik heranführte. Dann aber musste Don Curry in die Stadt fahren, in die Altstadt. Gnadenlos trieb ihn das Navi durch immer enger werdende Gassen. Als der angezeigte Zielweg durch eine geänderte Einbahnstraßenregelung unmöglich wurde, landete Don Curry endgültig im Labyrinth einer türkischen Altstadt, sehr zur Freude einiger feixender Passanten. Bei manchen Gassen blieben seinem Auto nur maximal 10 cm zu beiden Seiten, bevor die Hauswände begannen. Irgendwann zeigte ihm das Schild "Otopark" den ersehnten Ausweg. Otoparks sind private Parkplätze, die auf kleinen und kleinsten Baubrachen aufgemacht wurden. Man fährt nur etwas auf das Gelände, gibt den Schlüssel ab, zahlt 10 Lira und lässt den Besitzer dann das Auto so einparken, dass möglichst viele Fahrzeuge auf der kleinen Fläche unterkommen können, gern auch in zweiter oder dritter Reihe...
Nur 50 Meter von Ozmans Otopark erhob sich die gut restaurierte Kathedrale. Don Curry erwarb ein Ticket und hörte von der Kassiererin ein freundliches "Dankeschön! Tschüß!" Die Kathedrale ist zwar baulich bestens erhalten, ihre Innenausstattung entspricht aber längst nicht mehr dem Originalzustand. Ob die vertriebenen Griechen noch selbst Ikonen mitnahmen oder ob diese später geplündert wurden, entzieht sich Don Currys Kenntnis. Eine sehenswerte Kanzel, ein mit Pelikanen verzierter Bischofsstuhl, Teile der Ikonostase und einige Wand- und Deckengemälde künden dennoch von einer einst prächtigen Kirche, die allerdings erst in den 1880er Jahren erbaut wurde und daher nur wenige Jahrzehnte im Dienst war.
Unter Ozmans energischen Anweisungen und heftigen Gesten verließ Don Curry vorsichtig den engen Otopark und machte auf dem Rückweg aus der Stadt einen weiten Bogen um deren Zentrum. Sein nächstes Ziel bildete ein weiterer Höhepunkt der griechisch-römischen Geschichte dieser Region: die Stadt Pergamon, mit ihren umfangreichen, gut erhaltenen Ruinen.
In der heutigen Stadt Bergama verteilen sich die antiken Erbstücke vor allem auf drei Bereiche: die Akropolis, die Rote Basilika und das Askleipion. In genau dieser Reihenfolge fuhr Don Curry die Ruinenensembles an. Und er kaufte sich die türkische Museum Card, die zwar 60 € kostete, aber dafür 15 Tage lang freien Eintritt in fast alle Museen und Sehenswürdigkeiten des Landes ermöglicht. Mehr als ein Sechstel des Preises machte Don Curry bereits in Pergamon gut. Auf der Akropolis beeindruckte vor allem der Trajan-Tempel, von dem einige Säulen wieder errichtet waren. Don Curry fand aber auch den Zeusaltar, dessen bestens erhaltene Reliefs als Pergamonaltar die Museumsinsel in Berlin bereichert, während in Pergamon selbst nur ein trauriger Schutthaufen an das grandiose Kunstwerk erinnert. Die Rote Basilika wirkt wie ein gigantischer Kirchbau aus roten Backsteinen, stellt aber vermutlich die Reste eines römischen Tempels für ägyptische Gottheiten dar. Von den dazu gehörenden 2 Rotunden ist eine betretbar und erinnert frappierend an das Pantheon in Rom, jedoch ohne dessen Dimensionen ganz zu erreichen. Das Askleipion von Pergamon war in der Antike aufgrund der dort praktizierten Heilkünste weltberühmt. Außer dem runden Fundament blieb von dem spektakulären Bauwerk allerdings nicht viel erhalten. Aufgrund der bereits weit fortgeschrittenen Zeit verzichtete Don Curry auf das eigentlich in Bergama geplante Mittagessen; das reichhaltige Frühstück machte das möglich.
Sein Programm für den heutigen Tag sah noch zwei fakultative Sehenswürdigkeiten vor, die jeweils mehr oder weniger große Umwege erforderten. Die Ruinenstätte Sardis verwarf Don Curry sofort aufgrund der leichten ruinenspezifischen Übersättigung an diesem Tag, doch die Muradiye-Moschee in Manisa wollte er nicht auslassen. Auch wenn dieses Alterswerk von Sinan Pascha quasi einen Rückfall in die Osmanenthematik der ersten Tage bedeutete. Manisa ist Millionenstadt und kann mit entsprechenden Verkehrsverhältnissen aufwarten. Zäh näherte sich Don Curry der wunderbaren Moschee am Rande von Manisas Altstadt. Ganz in der Nähe konnte er türkisch parken, also gegen alle Regeln, aber den Verkehrsfluss nicht allzu zu behindernd. Die Moschee erwies sich bereits von außen als echtes kleines Schmuckkästchen, doch - sie war geschlossen. Don Curry konnte auch nicht erkennen, ob sie irgendwann in absehbarer Zeit öffnen würde. Er ärgerte sich über den sinnlosen Umweg und die verlorene Zeit.
Aber es ging weiter. Aus Manisa heraus, quälend langsam im Millionenstadtstau an Izmir vorbei und dann weiter gen Süden. Erst kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichte er sein Tagesziel: das City's Hill Hotel In Kuşadasi; und dieses Hotel ist ein All-Inclusive-Hotel! Don Curry merkte es spätestens dann, als er beim CheckIn einen Arm ausstrecken musste und ihm ein knallorangenes Plastikarmband mit dem Hotelnamen angebracht wurde. Nun war er gebrandmarkt, stigmatisiert; nun konnte jeder sofort erkennen: der da ist ein All-Inclusive-Typ.
Das Hotel an sich konnte sich durchaus sehen lassen. Es liegt zwar direkt an Kuşadasis Umgehungsstraße, doch Don Curry hatte sich ein Zimmer mit Meerblick gebucht, so dass er vor dem stetigen Straßenlärm geschützt war. Dafür dudelte auf der Meeresseite den ganzen Tag bis 22:00 Uhr massentaugliche Weichspülmusik in der Dauerschleife. Der Blick von seinem Balkon entschädigte für alle akustischen Belästigungen: vorn der aquamarinblaue Pool, dann die Häuser der Stadt Kuşadasi mit der Inselfestung und schließlich das weite Meer mit der griechischen Insel Samos im Hintergrund. Und das Essen? Don Curry hatte Schlimmes erwartet, und er wurde nicht enttäuscht. Da das Hotel nur mäßig belegt war, bildeten sich zumindest erfreulich kurze Schlangen, dafür konnte die Essensauswahl als genauso übersichtlich bezeichnet werden. Wie in einer Mensa oder Großküche aus früheren Zeiten wurden die vom Gast gewünschten Speisen wuchtig auf den Teller geklatscht. Don Curry wählte zuerst Reis, dann je eine grüne und eine rote mit Bulgur und Hack gefüllte Paprika und zusätzlich etwas Kalbsgeschnetzeltes mit Paprika. Vermutlich hatte der Sultan landesweit eine Paprikawoche ausgerufen, dachte sich Don Curry angesichts dieser begrenzten Gemüseauswahl. Trotz des lieblosen Anrichtens überzeugte seine Mahlzeit zumindest geschmacklich; und da ihm ja ein endloser Biernachschub an der Bar zustand, konnte er sich das Essen letztlich mit Efes schön trinken. Prost, All Inclusive!