Veröffentlicht: 02.10.2020
01.10.2020
Liebe Freunde,
nachdem wir gestern den Tag mit unserem ersten Abendbrot unter freiem Himmel beendet haben, begann der heutige Tag mit einer ebenso fabelhaften Aussicht auf die Berge und einem genauso schmackhaften Frühstück: labbriges Toast, Marmelade, Wurst, Käse und am wichtigsten Tee, der hat alles gerettet. Gestärkt ging es für uns also in den Tag und der begann mit einer langen Autofahrt: zehn Meter zurück um die Arbeiter beim Mähen nicht zu stören und fünf Meter wieder nach vorne als sie nach lang ersehnten zehn Minuten endlich fertig waren.
Der nächste Punkt auf unserer Liste heute: endlich los machen. Doch der scheiterte nach hundert Metern, als ich erkannte, dass Wanderschuhe zum Wandern einfach nichts für mich sind. Deshalb machten wir schnell eine Hundertachtziggradwende, den kleinen Berg zu unserem Stellplatz wieder hinauf und dann endlich, nun mit Sandalen bewaffnet, wirklich los.
Als wir dann am Ausgangspunkt unserer Wanderung angekommen waren, kam der erste Schock: ca. 1500 Stufen bis zu diesem blöden Kloster, doch wie so häufig war die Vorstellung nichts im Gegensatz zur Wirklichkeit. Die zweieinhalb Kilometer verbrachte ich schnaufend einen Berg hinauf zu steigen, ohne ein einziges Mal unser Ziel zu sehen und das schlimmste es waren verfluchte Treppen. Ob es Paps genauso schlimm erging wie mir, kann ich nicht richtig beurteilen, da meine Dampflokatmung und das in kurzen klaren Momenten konzentriertes Fluchen nur ab und zu ein Lachen auslösten.
Erste Lektion für den Tag: Alpenveilchen kommen auch in der freien Wildbahn vor und nicht nur in Gartenmärkten. Versteckt zwischen hohem Gras strahlten sie uns in den verschiedensten Rosa- und Lilatönen entgegen und sorgten bei mir für einen kurzen glücklichen Moment, bevor ich wieder mit meiner Schimpftirade über hohe Berge fortfuhr. Mit einigen Lichtblicken, die eine traumhafte Sicht ins Tal ermöglichten, kämpften wir uns auf diesem Höllenweg nach oben und kamen glücklicherweise vollkommen verschwitzt und lebend an. Das Santuario Madonna della Corona war imposant und das nicht nur aus der Ferne. Die Kirche wurde direkt in die Steilwand hineingeschlagen und verband sich harmonisch mit dem offen liegenden schroffen Gestein der Felswand, welches dem Inneren der Kirche eine fast greifbare Kraft und Ruhe gab. Obwohl ich nicht christlich bin, konnte ich das Leiden, den Glauben und Schmerz der vielen Menschen spüren, die diese heiligen Hallen aufgesucht hatten, in der Hoffnung auf Antworten, es war wirklich unbegreiflich schön und respekteinflößend.
Da wir für Papas Verständnis noch nicht weit genug hinaufgestiegen waren, machten wir uns nun auf den Weg in das noch höher gelegene Dorf Spiazzi, wo es für uns nach langem hin und her überlegen, wo wir denn nun Mittagessen, schließlich Bandnudeln mit Pilzen und Lasagne gab, sehr lecker übrigens.
Nächste Lektion für den Tag: wenn es eine Wanderkarte gibt, mache ein Foto davon. Denn als wir nun den anderen Weg suchten, der laut Paps auf unseren favorisierten Berg führen sollte, fanden wir nur eine lange Straße die durch das Nichts zwischen den Häusern auf dem Kamm führte und als wir eine halbe Stunde in die angeblich richtige Richtung gelaufen sind und das nächste Dorf immer noch viel zu weit weg ist, fassen wir den grandiosen Beschluss einfach wieder umzukehren. Also den ganzen Weg wieder zurück, viel zu viele Treppen hinuntersteigen, um zum Kloster zu gelangen und dann an einer Abzweigung in Richtung einer neuen Brücke, die irgendwo im Tal gebaut worden ist. Das einzige Problem: wir haben auf unserem ganzen Weg durch das Tal noch kein bisschen Wasser gesehen. Der Weg war zwar eigentlich für Experten ausgeschildert, aber wir waren so mutig und sind trotzdem einfach losgelaufen. Wir hatten Glück, da es lange nicht mehr stark geregnet hatte, sahen wir nur mehrere Male die Wege die sich das Wasser normalerweise im freien Fall über unseren Trampelpfad bahnen würde und konnten ganz entspannt unseren Marsch bis zur Hängebrücke fortsetzen und die hatte es in sich. Die Klamm über die sie führte, war wunderschön und als ich kurz davor dann endlich auch das Wasser gesehen hatte und nicht nur gehört, konnte ich gebannt in den tiefen Abgrund starren oder akkurater lässt es sich beschreiben als ein: „Wehe du wackelst jetzt. Immer schön die Füße auf die Metallplatten setzen und ja nicht die Kamera loslassen. Gaaanz entspannt bleiben, es wird nichts passieren.“ Nachdem wir beide heil auf der anderen Seite angekommen waren, musste ich es deshalb noch einmal probieren und jetzt bin ich mir ziemlich sicher, dass die Hängebrücke auch die nächsten Verrückten aushält, die diesen Weg wählen.
Doch der Tag war noch lange nicht vorbei, denn nun hieß es irgendwie zurückkommen und am Anfang schien es noch wie ein leichtes Unterfangen, doch der Weg machte uns schnell einen Strich durch die Rechnung, als wir in einem Rekordmaß unglaublich viele Höhenmeter in sehr wenig Strecke überwinden mussten und ich mit Sandalen. Wir sind unten angekommen, ich denke das ist das einzige was ihr wissen müsst. Es gab auch noch regelmäßig sehr schöne Aussichten und wir haben eine Gottesanbeterin gesehen, also in freier Wildbahn, total krass.
Nun ja, viele Alpenveilchen später sind wir endlich in Brentino angekommen und unsere Wackelpuddingbeine schleppen sich nur noch die restlichen Meter, durch die Hilfe eines allseits bekannten Freundes: Eis.
Bis bald und ich lebe noch.