Veröffentlicht: 07.11.2024
Persönlicher Logbucheintrag vom Wohnschiff Betty HH-VX 717: Wir schreiben das Jahr 2024, 17. Oktober, 15:00 Uhr
Es ist bereits nach 15 Uhr, die Sonne scheint und unsere DFDS Fähre schaukelt sanft und ohne Fahrt zwischen Spanien und Marokko in der Dünung. Eigentlich hätten wir vor über einer Stunde im Hafen von Tanger Med einlaufen sollen, aber zusammen mit zwei weiteren Fähren dümpeln wir in Sichtweite von Marokkos Küste vor uns hin und nichts passiert. Die marrokanische Passkontrolle, die praktischerweise schon an Bord der Fähre stattfindet, haben wir bereits erfolgreich erledigt. Jetzt sind wir gespannt, was uns an Land bei der Zollkontrolle erwartet! Endlich um 16 Uhr mit fast zwei Stunden Verspätung rollen wir von der Fähre auf marrokanischen Boden. Direkt beim Verlassen der Fähre erfolgt noch einmal eine Passkontrolle und wir werden mit einem freundlichen „bienvenue en Moroc“ begrüßt. Soll das alles jetzt doch so easy sein? Weit gefehlt!
Wir rollen ca. einen Kilometer durch den hochmodernen Hafen von Tanger Med bis zur Zollkontrolle. Dort herrscht Chaos. Es gibt verschiedene Schlangen für Fahrzeuge und erstmal ist uns nicht klar wo wir uns denn überhaupt anstellen müssen. Ganz links steht eine lange Reihe völlig überladener Kleintransporter mit meist marrokanischem Kennzeichen, die anscheinend Ware nach Marokko bringen. Die Schlange sieht so aus, als wenn sie noch morgen da wäre. Nach einer ganzen Weile lässt sich ein Uniformierter mit einer kleinen Handbewegung dazu herab, uns in eine andere Schlange zu winken. Hier wartet die Röntgenkontrolle auf uns. Und alle anderen europäischen Vans und Wohnmobile von drei Fähren stehen vor uns. Das kann ja noch dauern. Nach fast einer Stunde sind wir dann auch mal dran und müssen aussteigen, während Betty mit einem mobilen Röntgengerät durchleuchtet wird. Geschafft, keine Waffen oder Drohnen an Bord! Jetzt geht es weiter zur eigentlichen Zollkontrolle und wir stellen uns an einem der vielleicht 4-5 Zollhäuser an.
Hier heißt es nochmals warten, bis sich der Zollbeamte in einer an Langsamkeit kaum zu unterbietenden Geschwindigkeit uns annimmt. Rechts ranfahren, Pässe abgeben und dann gaaanz lange warten. Der Zollbeamte, der auch optisch einer Karikatur eines Zollbeamten ähnelt, hat eine Arbeitsmethodik, die einen auf Effizienz getrimmten Nordeuropäer schier verzweifeln lässt. Während er so hin und her schlurft, wird unser Auto zweimal von Spürhunden erfolglos beschnüffelt. Irgendwann gegen 17:30 erlaube ich mir, ihn nochmal auf uns aufmerksam zu machen. „Ah, vos papiers mon monsieur“ erinnert er sich dunkel an uns und wir bekommen endlich den Zolleinfuhrbeleg für Betty in die Hand gedrückt, der bestimmt schon vor einer Stunde von seiner Assistentin in der Zollbude erstellt wurde. Ohne diesen Papierschnipsel, kaum zwei Kreditkarten groß, bekommt man bei der Ausreise Riesenprobleme. Also sicher wie Gold verwahren!
Nun noch schnell Marrokanisches Geld (Dirham, 1 DH = 9 ct) aus einem der vielen Automaten im Hafengebiet gezogen und noch eine letzte Polizeikontrolle am Ausgang passieren, dann biegen wir fast zweit Stunden nach Verlassen der Fähre endlich auf die Landstraße ein. Unser Ziel ist Asilah, ein Küstenort etwa 90 km südwestlich von Tanger Med. Da es schon relativ spät ist, nehmen wir lieber die Autobahn, die hier allerdings mautpflichtig ist. Die Fahrt verläuft relativ unspektakulär. Die Autobahn ist fast völlig leer und wir freuen uns unterwegs über die ersten Dromedare, die wir neben der Straße sehen. Bei der Ausfahrt Asilah zahlen wir immerhin umgerechnet happige 7 Euro für ca. 70 km Autobahn und fragen uns, welcher Einheimischer sich das denn hier leisten kann? Wir werden jedenfalls hier keine Autobahn mehr fahren, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Wie in jeder marrokanischen Stadt gibt es am Stadteingang eine Polizeikontrolle. Wenn auf dem Schild "Halte" steht, MUSS man anhalten, bis man durchgewunken wird, sonst gibt es Riesenärger. Steht auf dem Schild "Ralentir" darf man ganz langsam passieren. Ausländer wie wir werden meist durchgwunken.
In Asilah waren wir bereits 1984 auf unserer ersten gemeinsamen Interrail Tour. Mittlerweile ist die Stadt deutlich gewachsen und wir fahren durch große Neubaugebiete in die Stadt. Obwohl bereits durch diverse Marokko Reiseführer vorgewarnt, erschrecken wir doch beim Anblick der großen herum liegenden Müllmengen und der vielen streunenden Hunde. Aber das ist Marokko und nicht Deutschland und wir dürfen nicht unsere Maßstäbe anlegen. Asilah liegt direkt am Meer und wir bestaunen noch von der Uferstraße die hohe Brandung des Atlantiks. Wir steuern dann einen der beiden Campingplätze von Asilah an, die beide ganz dicht am Wasser liegen und bilden uns ein, dass es genau der von 1984 war! Hier werden wir ganz herzlich und auf deutsch von einem jungen Marokkaner begrüßt, der uns einweist. Campingplätze sind in Marokko sehr günstig. Die Preise bewegen sich zwischen 5 und maximal 10 Euro pro Nacht. Der Standard ist meist einfach und die sanitären Einrichtungen oft etwas rustikal. Aber die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Betreiber macht das wieder wett. Wir gehen noch einmal die imposante Uferpromenade (die breiteste, die wir jemals gesehen haben) auf und ab, bevor wir diesen aufregenden Tag mit einem Glas Wein vor Betty ausklingen lassen.
Die nächsten beiden Tage verbringen wir in Asilah und „grooven“ uns langsam in Marokko ein. Asilah hat eine wunderschöne Medina, die direkt an das Meer grenzt. Weiß - und Blautöne dominieren und die vielen Künstler, die in Asilah leben, haben sich mit Kunstwerken auf den Hauswänden verewigt. Vor der Medina liegen die Souks, die Einkaufsstraßen und Märkte. Hier geht es besonders abends zu wie in 1001 Nacht. Überall Straßenhändler, die ihre Waren anbieten. Ärmere Bauern legen ihre Ware direkt auf dem Bürgersteig zum Verkauf aus. Die Sinneseindrücke aus Farben, Gerüchen, Geräuschen und den vielen Menschen erschlägt einen fast. An einem Stand kaufen wir die leckersten Datteln der Welt. So eine Qualität wird in Deutschland nicht angeboten. Das befürchtete Angequatsche hält sich übrigens in Grenzen, die Händler sind angenehm zurückhaltend.
Überall kommt man mit den Menschen schnell ins Gespräch, zum Beispiel in einem Strandcafe wo wir den berühmten The Menthe (Minztee) und leckeren Avocadosaft trinken. Man ist neugierig wo wir herkommen, wie uns Marokko gefällt und was wir uns alles noch ansehen wollen. Fast alle Marokkaner können sehr gut Französisch (zweite Amtssprache) und ein paar Brocken Englisch und Deutsch können auch viele. Unser Französisch ist ziemlich eingerostet, aber man lernt ja schnell, wenn man muss! Übrigens ist das Fahrrad auch in Marokko ein gutes Verkehrsmittel, um Städte und Regionen kennen zu lernen. Insbesondere Kinder freuen sich immer, wenn man ihnen mit dem Rad begegnet. Zurück auf dem Campingplatz kommt auf einmal ein Bäcker um die Ecke und verkauft an der Schiebetür Kekse und Gebäck. Nicht ganz günstig, aber ich kann ihn noch etwas runter handeln. Susis (und meine) Meinung: Das beste Gebäck ever! Abends essen wir unsere erste Tajine (Schmortopf) und unser erstes Cous-Cous. Der Wirt kann erstaunlich gut Deutsch und wir verbringen einen lustigen Abend dort. Durch die mystisch beleuchtete Medina geht es zurück zum Campingplatz. Übrigens treffen wir auf dem Campingplatz auch Renate und Gerd aus Österreich wieder (kleiner Spoiler: beim Reisen mit dem Van durch Marokko trifft man sich IMMER wieder). Renate hatte uns beim Warten auf die Röntenkontrolle beim Zoll in Tanger Med angesprochen, weil ihr unser Vandesign mit "SurfEx" so gefiel. Die beiden sind super nett und haben auch schon richtig spannende Reisen gemacht. Z.B. haben sie in den 1990er Jahren China mit dem Rad durchquert, als das offiziell noch gar nicht erlaubt war. Wenn sie nicht mit dem Wohnmobil unterwegs sind machen sie große Touren mit ihrem Ural Beiwagenmotorrad. Nächstes Jahr soll es quer durch Südamerika gehen. Respekt!
Am nächsten Tag geht es weiter nach Moulay Bousselham gehen, ebenfalls am Atlantik gelegen. Hier soll es eine riesige Salzwasserlagune geben, auf der ich vielleicht wingfoilen könnte? Auf der Fahrt dorthin durchqueren wir riesige Obst- und Gemüseanbaugebiete. Überall werden gegen den allgegenwärtigen Staub schwer vermummte Arbeiter und Arbeiterinnen stehend zusammengedrängt auf offenen Pick-Ups und Lastern zu ihren Arbeitsplätzen gefahren. Da beschwere sich nochmal jemand in Deutschland über seine Arbeitsbedingungen… In Moulay angekommen geht es erstmal an den Atlantikstrand. Dieser liegt etwas außerhalb der Stadt an einer pompösen, völlig überdimensionierten Strandpromenade. Wir sind fast alleine dort und die ganze Promenade sieht eher so aus, als wenn sie selten mit Gästen ausgelastet wäre. Das Müllproblem von Marokko zeigt sich leider auch hier am Strand. Plastikabfälle überall. Die Wellen sind sehr hoch und vorsichtig wage ich mich zum Baden ins Wasser, das eine ganz angenehme Temperatur hat. Wir übernachten dicht an der Lagune auf dem Bauernhof von Khalid. Die Anfahrt führt über eine unbefestigte Straße durch ein slumartiges Wohngebiet, vorbei an fröhlich winkenden Kindern. Der Bauernhof ist eine kleine Oase und Khalid und seine Familie sind sehr nette, gastfreundliche Menschen. Bei einem Spaziergang an die Lagune kommen wir mit Belgiern ins Gespräch, die dort mit ihrem Wohnmobil bei einem Restaurant übernachten. Wir werden auf ein Bierchen eingeladen und bekommen viele Tipps von den beiden, die bereits sehr häufig in Marokko waren. Am nächsten Tag verlassen wir Moulay bereits wieder: der Ort selber ist nicht sehr attraktiv und die Lagune ist zum Wingfoilen nicht geeignet, da sie zu flach ist.
Wir haben uns entschlossen, uns erstmal vom Meer abzuwenden und das Inland zu erkunden. Wie haben es die Belgier gesagt: das Interessante von Marokko ist nicht die Küste, sondern das Inland… Wir fahren ostwärts in Richtung des Rif Gebirges. Die Straßen sind relativ gut ausgebaut, aber der Zustand ist sehr wechselhaft. Von perfekt bis Schlaglochpiste ist alles dabei. Eselkarren und Pferdekutschen sind normale Verkehrsteilnehmer. Einmal kommt uns sogar ein Pferdefuhrwerk auf einer vierspurigen Straße auf unserer Fahrbahn entgegen! Aber die die Marokkaner sind umsichtige Verkehrsteilnehmer und irgendwie fließt alles reibungslos zusammen. Der Standardtransporter in Marokko ist übrigens der Mercedes Transporter 207 bzw. T1, der bis 1995 gebaut wurde. Gefühlt fahren mittlerweile alle jemals gebauten T1 wohl jetzt in Marokko. Sowohl als Transporter wie auch als Überlandbusse, stets völlig überladen und mit 20 km/h die Steigungen hochkriechend. Aber die Fahrer lieben ihre Fahrzeuge , die sie oft liebevoll verzieren und die jeder Dorfschmied mit dem Hammer reparieren kann. Unterwegs kaufen wir noch ein. Wir brauchen Milch, Brot, Gemüse, Obst und eine marokkanische SIM-Karte. Das erledigen wir in Ouzzane, der Provinzhauptstadt des Rif-Gebirges. In den kleinen Geschäften sind die Preise nicht ausgezeichnet und wir müssen erstmal ein Gefühl für die Preise entwickeln. Milch und Wasser sind relativ teuer (fast wie bei uns), dafür sind Brot, Gemüse und Obst spottbillig, auch wenn wir manchmal sicherlich einen kleinen Touristenaufschlag zahlen.
Für das Rif-Gebirge haben wir uns über Park-4-Night wieder eine Übernachtungsmöglichkeit bei einem Bauern rausgesucht. Die Anfahrt führt über die Landstraße N13 durch ein sanftes Bergland, in dem sehr viel Landwirtschaft betrieben wird. Übrigens wird hier auch Cannabis angebaut und das Rif-Gebirge gilt als größtes Anbaugebiet Nordafrikas. Die Situation ist kompliziert. Für medizinische oder kosmetische Zwecke ist der Anbau mittlerweile legal, aber der größte Anteil ist nach wie für Rauschgiftversorgung Europas und das Rif-Gebirge ist eine No-Go Area für die marrokanischen Behörden. Die Zufahrt zum Bauernhof ist kaum zu finden, so dass wir erstmal auf der N13 stoppen, um uns zu orientieren. Wir fast überall in Marokko ist nach wenigen Augenblicken ein Straßenhund zur Stelle, der auf Essen hofft. Diese Hunde sind immer sehr friedlich und scheu und haben vor uns viel mehr Angst als wir vor Ihnen. Unsere Brotreste vom Vortag werden vorsichtig beschnüffelt und dann dankbar verputzt. Auch unsere Hundeleckerlis, die wir immer dabei haben, werden gerne genommen. Mit Hilfe von den Satellitenkarten von Google Maps finden wir dann endlich den Bauernhof Dar Kabira, der auf einer Anhöhe liegt. Wir werden sehr freundlich von Monim, dem Besitzer, begrüßt.
Monim lebt mit seiner ganzen Großfamilie (und Eseln, Maultieren, Hühner und Hunden) auf dem Anwesen, dass aus mehreren Häusern und Hütten besteht, die er weitgehend selber gebaut hat. Stolz führt er uns vor, wie man Lehmziegel herstellt, oder ein Dach aus Bambusstangen und Lehm erstellt. Wir werden eingeladen, gegen ein geringes Entgelt an den Mahlzeiten der Familie teilzunehmen. Vor dem Essen spielen wir alle zusammen Uno, das völkerverbindende Kartenspiel. Mit am Tisch ist noch in älteres französisches Ehepaar, die auch als einzige mit uns mit ihrem Wohnmobil auf dem Hof stehen. Das hilft ungemein bei der Kommunikation, denn unser Französisch ist (noch) sehr holprig. Die Frau von Monim ist eine tolle Köchin. Das Abendessen, z.B. eine Tajine wird in einer großen Schale auf den Tisch gestellt. Dazu gibt es selbst gebackenes Brot aus dem Lehmofen, dass als „Gabel“ dient. Teller oder Besteck gibt es nicht. Wir haben da wenig Vorbehalte und langen zu. Als Vorspeise wird ein frischer Granatapfel vom Strauch geholt und die Kerne aus der Frucht geschlagen. Knackig, süß und saftig und nicht mit dem vergleichbar, was in Deutschland angeboten wird. Alles was wir essen, kommt vom eigenen Land. Als Nachtisch macht Monim mal schnell einen Topf Popcorn, der Mais kommt selbstverständlich auch vom eigenen Feld!
Monim und seine Frau haben zwei Töchter, die so süß sind, dass Susi sie am liebsten klauen würde. Während Monim 31 Jahre alt ist, ist seine Frau erst 24 und die ältere Tochter bereits 8 Jahre alt. Und dann gibt es noch den lustigen Onkel Aziz, der immer zu einem Scherz aufgelegt ist. Das ist für uns als Westeuropäer sehr beeindruckend, wie herzlich, freundlich und fröhlich diese Menschen trotz ihres harten und entbehrungsreichen Lebens sind. Am nächsten Tag machen wir einen Spaziergang in die Felder, Wiesen und Olivenhaine unterhalb des Hofes. Wir überqueren einen Fluss und stehen plötzlich mitten in einer Cannabis Plantage, uups…! Uns wird etwas mulmig. Erst recht als uns der Bauer, der gerade mit seiner großen Sichel(!) am Ernten ist, zu sich herüber winkt. Ob wir denn mitarbeiten wollen, fragt er uns aus zahnlosem Mund breit grinsend auf französisch. Ich streue schnell in unser Gespräch ein, dass wir bei Monim und Aziz oben auf dem Berg wohnen und alles ist gut. Sein mit der Hand angedeutetes Angebot, etwas Cannabis zu kaufen, schlagen wir aus und machen uns auf den Rückweg. Am Fluss treffen wir noch einen älteren, ebenfalls zahnlosen Schäfer mit seiner Herde. Der Schäfer kommt extra nochmal über den Fluss gestakst, um uns zu begrüßen, die Hand zu schütteln und einige Worte (so gut es eben geht) mit uns zu wechseln.
Die zwei Tage auf dem Dar Kabira Bauernhof gehen wie im Fluge vorbei. Von dem französischen Ehepaar Martine und Jean Luis haben wir tausend Tipps zu Marokko bekommen. Die beiden kommen - wie sehr viele Franzosen - regelmäßig mit dem Wohnmobil zum Überwintern nach Marokko. Jean Luis war früher im Staatsdienst und hat jahrzehntelang in den französischen Überseedepartments wie Guadeloupe oder Französisch-Guayana gearbeitet. Er hat darüber viel zu erzählen, doch das würde hier den Rahmen sprengen. Auf jeden Fall bekommen wir noch eine Einladung, die beiden unbedingt bei unserer Rückfahrt in Perpignan, ihrem Wohnort zu besuchen. Wie nett! Sehr herzlich fällt auch der Abschied von Monim und seiner Familie aus. Die beiden kleinen Töchter knuddeln Susi noch ganz dolle, als wenn wir bereits Wochen dort verbracht hätten. Auch Monims Frau verabschiedet uns mit einer Umarmung, was für marokkanische Frauen eher außergewöhnlich ist. Wir sind tief beeindruckt von soviel Gastlichkeit, als wir den Motor von Betty anlassen und wieder auf die Landstraße einbiegen. Unser nächstes Ziel ist Meknes, einer der vier Königsstädte Marokkos, neben Fes, Marrakesch und Rabat.
Auf den Straßen ist wieder allerlei los.Wir überholen mit Stroh beladene Laster, bei der die Ladung die Fahrzeughöhe fast um das Doppelte übersteigt. Vom Eselkarren, uralten Autos, die der TÜV sofort an die Kette legen würde, bis zu hochmodernen Geländewagen ist alles auf der Straße vertreten! Wir machen einen kurzen Abstecher nach Moulay Idris. In Moulay Idris ist der Staatsgründer Marokkos König Idris aus dem 8. Jahrhundert begraben. Die Stadt ist den Muslimen heilig und durfte bis vor kurzer Zeit nicht von Ausländern betreten werden. Jetzt kurven wir mit Betty durch die engen Straßen der Stadt, die auf einem Hügel thront. Es herrscht ein unglaubliches Gewimmel und mehr als einmal wird uns freundlich zugewunken.
Von Moulay Idris sind es nur wenige Kilometer bis Meknes. Die Vororte von Meknes erscheinen uns sehr aufgeräumt und sauber. Über Park-4-Night haben wir von einem Parkplatz erfahren, der direkt vor der Medina liegen soll. Auf der Fahrt dorthin passieren wir ein monumentales Stadttor und fahren dann kilometerlang an den orange-braunen Mauern der königlichen Stadt entlang. Diese bilden eine Art Schlucht und wir sind fast das einzige Fahrzeug. Alle paar hundert Meter stehen Soldaten Wache an der Mauer und wir fragen uns schon, ob wir hier richtig sind. Doch dann kommt der Parkplatz in Sicht. Wie überall in Marokko wird jeder(!) Parkplatz von einem Mann in oranger Warnweste „bewacht“, der für seine Dienste ein paar Dirham (in diesem Fall 40 DH für 24 h) haben möchte. Dieser hier ist sehr freundlich, weist uns professionell in einen Platz ein und schon stehen wir mitten in Meknes. Ungefähr so, als wenn man mit seinem Wohnmobil neben dem Hamburger Rathaus parken und übernachten dürfte!
Wir sind nur wenige Minuten vom zentralen Platz Place el Hedim entfernt. Der Place el Hedim ist eine Art Miniaturausgabe des Djemaa el Fna in Marrakesch. Neben dem Platz gibt es einen überdachten Markt, auf dem wir uns erstmal mit Gemüse und Obst eindecken. Auch hier wieder überbordende Sinneseindrücke, exotische Gewürze, Oliven, Datteln in tausend Variationen und alles im Überfluss. Die Fleischgasse ist allerdings nichts für schwache Nerven… Abends lassen wir uns durch die Medina treiben, die ebenfalls direkt am Place el Hedim liegt. In Meknes gibt es keine aufdringlichen Händler, man wird in Ruhe gelassen und kann ganz in Ruhe durch die Gassen schlendern. Für den Rückweg müssen wir allerdings Google Maps in Anspruch nehmen. Arabische Medinas gleichen Labyrinthen! Zum Ausklang des Tages setzen wir uns an eine Mauer, die den Place el Hedim begrenzt und lassen das bunte Treiben auf uns wirken. Mitten in Meknes verbringen wir danach eine unerwartet ruhige Nacht im Van.
Am nächsten Vormittag setzen wir unser Sightseeing von Meknes fort. Wir besichtigen das imposante Mausoleum von Moulay Ismail, ein Meisterwerk der arabischen Baukunst. Gegenüber auf der Stadtmauer sitzen ganz malerisch Dutzende von Storchen, alle frisch aus Norddeutschland eingeflogen. Danach laufen wir eine gute halbe Stunde immer entlang der Stadtmauer, um die königliche Reitställe zu besichtigen, die einst Platz für mehr als 10.000 Pferde boten! Doch vor Ort erfahren wir, dass die Stallungen genau wie das berühmte Stadttor Bad Mansour wegen Renovierungsarbeiten geschlossen sind. In diesem Moment nähert sich uns zielstrebig ein etwas älterer, gut gekleideter Herr, der sich uns als Mohamed vorstellt. Er wäre Stadtführer und hätte wegen der vielen Bauarbeiten in der Stadt kaum Arbeit, aber er könne uns soviel interessante Dinge über Meknes zeigen und erzählen. Wir werden weich und willigen ein. Susi handelt ihn von den geforderten 200 DH auf 40 DH herunter und wir erleben mit ihm eine wirklich interessante und lustige Stadtführung. Am Ende fragt er uns, ob wir noch ein Paar Schuhe und etwas Schmerzsalbe für ihn hätten. Haben wir und er begleitet uns dafür die ganze Strecke zurück zum Van. Ein paar alte Sneaker, eine Handvoll Ibuprofentabletten und eine fast ausgedrückte Tube Schmerzgel sind für die Menschen hier Luxus!
Am Mittag lassen wir uns nochmal durch die Medina von Meknes treiben, kaufen frische Pfefferminze, Obst und Gemüse ein. Spontan besuche ich einen Friseur und bekomme einen sorgfältigen Haarschnitt für 30 DH. In einem versteckten Restaurant essen wir auf der Dachterrasse mit Blick auf die Medina eine leckere Tajine. In der Stoffgasse wird Susi fast schwach, so viele tolle Stoffe in den schönsten Farben und Mustern. Dazu kleine Läden, die nur farbiges Garn, dafür aber in jeder Farbnuance verkaufen. Jede Gasse in der Medina hat sich so auf ein bestimmtes Handwerk oder ein Produkt spezialisiert. Irgendwann finden wir wieder aus der Medina heraus und unser Aufenthalt in Meknes neigt sich dem Ende zu. Am 24. Oktober nehmen wir am Nachmittag Kurs Richtung Süden auf den mittleren Atlas in Richtung Azrou und Ifrane, dem Wintersportort von Marokko.
Fazit Marokko Teil 1: Die renomnierte Globetrotterin Astrid Därr schreibt in ihrem Standardwerk über Marokko "Marokko ist kein einfaches Reiseland". Dem können wir uns anschließen. Trotz Annäherung an Europa ist Marokko ein Land mit weitgehend orientalischer Lebensweise und Mentalität, die einem oft fremd ist. Europäische Maßstäbe an Komfort, Sauberkeit oder einer gewissen Distanz dürfen nicht angelegt werden. Wer sich aber auf Marokko einlässt, erlebt ein faszinierendes Reiseland mit herzlichen Menschen, toller Landschaft und Sinneseindrücken ohne Ende.
On the road: 276 Tage
Zurückgelegte Strecke: 17.000 km
Fortsetzung folgt