Veröffentlicht: 06.10.2024
Persönlicher Logbucheintrag vom Wohnschiff Betty HH-VX 717: Wir schreiben das Jahr 2024, 6. September, 11:00 Uhr.
Es ist wieder an der Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Am 6. September brechen wir morgens von "unserer" kleinen Burg Montfalco Murallat nordwestlich von Barcelona mit Ziel Mittelmeerküste auf. Unser Ziel ist zunächst die Bucht von Rosas, dicht an der französischen Grenze. Hier haben wir in der Vergangenheit schon einige schöne Campingurlaube mit unseren Jungs in unserem alten Alkoven-Wohnmobil verbracht. Danach wollen wir uns endlich einmal Barcelona ansehen!
Als wir uns der Küste nähern, reißt der Himmel immer mehr auf, die Sonne scheint und es ist ziemlich windig. An der Bucht von Rosas gibt es keine Bettenburgen, dafür zahlreiche Campingplätze, die allerdings sehr teuer sind. Über 80 € pro Nacht ist in der Hochsaison kein Problem. Freistehen ist an der ganzen Bucht streng verboten. Zum Glück gibt es mittlerweile nahe dem Örtchen San Pere Pescador einen neuen Stellplatz, der mit knapp 15 € für 24 h relativ erschwinglich ist und direkt am Strand liegt. Vor dem Sonnenuntergang kann ich noch eine schöne Windsurfsession einlegen. Das Mittelmeer ist angenehm warm, eine Wohltat nach vielen Wochen des eher kühlen Atlantiks. Die nächsten Tage sind wir stationär, eine weitere Windsurfsession ist auch noch drin und wir entdecken die Bucht von Rosas zu Fuß und mit den Bikes nochmal neu für uns. Im Norden der Bucht liegt Empuriabrava, eine Retortenstadt aus den 80ern. Nach dem Vorbild von Fort Lauderdale ist die gesamte Stadt von Kanälen durchzogen, so dass man seine Motoryacht vor der Haustür liegen hat. Mit 30 km Kanallänge und 5.000 Liegeplätzen immerhin die größte Marina am Mittelmeer. Ganz nett anzusehen, aber auch schon etwas in die Jahre gekommen. Abends möchte Susi noch nette Bilder von Betty in der untergehenden Sonne aufnehmen, findet aber irgendwie nicht den richtigen Blickwinkel. Spontan bekommt sie Hilfe angeboten. Etwas entfernt parken Stefan und Heike mit ihrem Iveco 4x4 LKW. Innerhalb von Minuten macht Stefan seine Drohne startklar und macht sehr routiniert tolle Bilder von Betty aus der Vogelperspektive. Wir unterhalten uns noch sehr nett mit den beiden, die seit 7 Jahren mit ihren beiden Kindern weltweit unterwegs sind und diese im Homeschoooling unterrichten. Respekt!!! Am nächsten Morgen trennen sich unsere Wege leider schon wieder, die Dream Life Family zieht es zügig in Richtung Andalusien. Aber soviel sei verraten: on the road trifft man sich immer wieder, manchmal auch mehrmals...
Am 10.9 brechen wir nach Barcelona auf. Nach längerer Recherche haben wir uns für einen Stellplatz in Cabrera de Mar entschieden, um Betty während unseres Barcelona Sightseeings sicher zu parken. Cabrera de Mar liegt etwa 25 km nördlich vom Zentrum und ist über eine Vorortbahn (die die ganze Zeit am endlosen Strand entlang fährt) sehr gut an Barcelona angebunden. Gegen Mittag kommen wir in Barcelona am zentralen Platz, der Placa de Catalunya an. Um uns erstmal einen Gesamtüberblick zu verschaffen, machen wir eine Hop-on/Hop-off Bustour. Auf zwei verschiedenen Routen bekommen wir auf dem Oberdeck des Doppeldeckers sitzend, mit einem deutschen Voiceguide über Kopfhörer versorgt, einen richtig guten, ersten Eindruck von Barcelona. Ein bisschen "touristisch", aber sehr nützlich. Natürlich geht es schon einmal an der Sagrada Famila vorbei, an den modernistischen Jugendstilhäusern von Gaudi und Co. und entlang des Hafens und des Stadtstrandes, vor dem gerade der America´s Cup ausgesegelt wird. Für Fußballfans des FC Barcelona: das berühmte Stadion Camp Nou wurde abgerissen und wird derzeit mit Jahren Verspätung neu aufgebaut, mehr als ein Rohbau ist nicht zu sehen. Dank Hop-off und Hop-on gehen wir auch schon einiges zu Fuß ab. Im ehemaligen Fischerviertel La Barceloneta mit seinen engen Gassen essen wir mittags in einem einfachen, einheimischen Restaurant. Geheimtipp: Fenstercheck! Befinden sich offensichtlich nur Arbeiter und Einheimische im Restaurant = gutes & günstiges Essen! Voll mit Eindrücken fahren wir spät am Abend, es ist schon dunkel, mit der Bahn in das ruhige Cabrera de Mar zurück und freuen uns schon auf den nächsten Tag in Barcelona.
Frühmorgens geht es mit der Vorortbahn vom Bahnhof Cabrera de Mar, der übrigens direkt am Strand liegt (ungelogen 20 m vom Meer entfernt) wieder nach Barcelona. Wir besorgen uns ein Tagesticket für den ÖPNV incl. der Metro und los geht´s. Von der Dachterrasse der zum Einkaufszentrum umgebauten Stierkampfarena "Arenas de Barcelona" hat man einen 360° Blick auf die Stadt. Von dort geht es auf den Berg Montjuic, auf dem sich das Olympiagelände von 1992 befindet. Vom Castel Montjuic aus gibt es eine spektakuläre Aussicht auf die Küste mit Hafen und Airport von Barcelona. Vom Berg aus nehmen wir die Seilbahn direkt in das Hafengelände hinein. Es ist wirklich beeindruckend, so rund 100 m über diesem tollen Hafen zu schweben. Für 2024 ist Barcelona der Austragungsort des America´s Cup. Die Hightech-Tragflächenboote erreichen über 90 km/h. Die Budgets der teilnehmenden Teams belaufen sich auf über 100 mio. Dollar (pro Team!). Wir sehen einige Boote bei absolutem Leichtwind über das Mittelmeer flitzen. Aus Zeitgründen (es gigt noch so viel zu sehen) holen wir uns Essen und Trinken im Supermarkt und setzen uns an den Stadtstrand, was auch sehr schön ist! Im Norden von Barcelona befindet sich der von Gaudi gestaltete Park Guell. Auch hier müssen die Tickets mindestens einen Tag im voraus im Internet reserviert werden, sonst bleibt man vor dem Tor. Die von Gaudi gestalteten Bauwerke im Park sind sehr sehenswert, aber vollständig von Reisegruppen aus Fernost belagert, so dass man nur noch Selfiesticks in den Himmel ragend sieht. Vom Park aus hat man einen schönen Blick auf Barcelona. Für immerhin 10 € Eintritt pro Nase hätten wir uns etwas gepflegtere Parkanlagen und mehr Erläuterungen zu den Bauwerken gewünscht. Zum krönenden Abschluss besuchen wir die Sagrada Familia (von außen). Diese Kathedrale ist das Hauptwerk von Antoni Gaudi und sicherlich als Weltwunder anzusehen, Seit 1882 befindet sie sich im Bau und nach einigen Verzögerungen soll sie nun 2033 endlich fertiggestellt sein. Jede Fassade der Kathedrale ist so einzigartig und mit so vielen Details versehen, dass man nicht glauben kann, dass EIN Mensch dieses alles geplant hat. Was uns wundert ist, dass die Sagrada Famila mitten in einem Wohngebiet steht, was den optischen Eindruck dieses Bauwerkes aus unserer Sicht mindert. Unschön ist auch, dass sich wirklich sämtliche(!) US-amerikanischen Fastfoodketten rund um die Kathedrale niedergelassen haben, wodurch sich ein gewisses Disneyland-Feeling ergibt. Abschließen tun wir unser Barcelona Sightseeing mit einem Spaziergang durch die Straße Passeig de Gracia, an der die berühmtesten Stadthäuser im Stil des Modernismus wie die Casa Batllo oder die Casa Mila stehen. Was für ein schöner und wagemutiger Architekturstil, der in ähnlicher Form prägend für eine ganze Stadt gewirkt hat. Wir sind begeistert!
Übrigens haben wir von der laut Internet in Barcelona grassierenden Kriminalität mit Taschendiebstählen und Raubüberfällen nichts bemerkt. Wir haben uns in der Stadt oder z.B. abends in der Vorortbahn rundum sicher gefühlt!
Am nächsten Morgen ziehen wir weiter, für Barcelona sind Regenschauer angekündigt und mehr als zwei Tage Großstadt verkraften wir als mittlerweile "Naturkinder" sowieso nicht mehr... Wir haben uns vorgenommen, dass rund 200 km südwestlich von Barcelona gelegene Ebrodelta zu besuchen. Dann hätten wir den Ebro fast vollständig von seiner Quelle in Nordspanien bis zur Mündung im Mittelmeer bereist. Am Ebrodelta angekommen sind wir etwas enttäuscht. Das Delta ist pottflach und fast vollständig landwirtschaftlich genutzt, unter anderem wird dort sehr viel Reis angebaut. Von dem versprochenen Naturparadies ist wenig zu sehen. Ein Fallwind donnert über die Berge und das Delta ablandig aufs Meer und wirbelt Staubwolken von den trockenen Feldern auf. Wir halten an der Touristinfo an und der nette Herr dort fragt, wie viele Tage wir denn bleiben möchten. Auf unsere Antwort, "nur eine Nacht" schaut er etwas resigniert (kennt er wohl schon) und markiert uns trotzdem geduldig mit einem Marker die wenigen Sehenswürdigkeiten des Ebrodeltas auf einer Karte. Wir fahren bis an die Mündung des Ebros in das Örtchen Riumar. Es ist wie im wilden Westen, die ganze Stadt wirkt komplett ausgestorben und der Wind peitscht den Sand durch die Straßen, so dass sich dort schon kleine Dünen gebildet haben. Aber Wind- und Kitesurfer sind auf dem Wasser, hier in Riumar kommt der Wind sideshore und zwar richtig stark. Ich ziehe mein kleinstes Segel auf und stürze mich in die warmen Fluten. Susi verkriecht sich derweil im Van, draußen wird man sandgestrahlt. Nach der Session beruhigt sich der Wind etwas, aber uns ist klar: im Ebrodelta bleiben wir nicht, auch nicht für eine Nacht.
In Castello de la Plana, etwa 100 km südwestlich vom Ebrodelta übernachten wir an einer ruhigen, palmengesäumten Strandstraße. Wir sind früh wach und sehen die Sonne über dem Mittelmeer aufgehen. Nach einem ausgiebigen Strandspaziergang machen wir unseren Frühsport im Park am Strand und gehen dann in der ordentlichen Brandung baden. Danach duschen unter der Stranddusche. Herrlich, dieses Outdoorleben!
Der nächste Spot Playa de los Cacedores bei Aguilas ist ein Tipp der Dreamlifefamily (siehe oben), danke! Dorthin fährt man durch eine karge, bergige Sierra, wie wir sie am Mittelmeer nicht vermutet hätten. Der Spot besteht aus zwei traumhaften Buchten, die durch eine Halbinsel getrennt sind und ist unter Vanlifern durch seinen "End of the World" Charakter recht beliebt. Fun fact: Die Grenze zwischen Katalonien und Andalusien verläuft mitten durch die Halbinsel. Die beiden Strandbars auf jeder Seite der "Grenze" positionieren sich über das Hissen der jeweiligen Landesflaggen. Wind und Erosion haben die Sandsteinfelsen um die beiden Buchten herum bizarr geformt. Oben findet sich Muschelkalk, der laut Infotafel 50 Mio. Jahre alt sein soll. Wir brechen eine Muschel heraus und finden, dass sie haargenau wie eine aktuelle Muschel aussieht. Am nächsten Morgen laufen große, steile Wellen in die Bucht und ich gehe mit dem Boogieboard zum Surfen raus. Für mich sind es die höchsten Wellen, die ich jemals im Mittelmeer erlebt habe und ich bekomme ganz schön auf die Mütze... Danach tun Kaffe und Frühstück besonders gut und wir reisen weiter in Richtung der "Wind Capital of Europe" Tarifa.
Hinter Almeria führt die Autobahn A-7 durch Europa´s größtes "Gewächshaus". Eine Fläche so groß wie Malta ist fast vollständig mit weißen Plastikplanen eingehaust, unter denen von Familienbetrieben Obst und Gemüse angebaut werden. Aus dem Weltall bzw. auf Google Maps ist diese Fläche als riesiger weißer Fleck deutlich auszumachen. Mittlerweile gibt es große Konkurrenz ais Marokko, dort sind die Löhne nochmals billiger. Wir verbringen die Mittagszeit in El Pozuelo, einem kleinen Ort am Wasser dicht an der Autobahn. Wir parken direkt am windgepeitschten Meer, die Sonne lacht. Auch hier wieder so ein Ort mit "Endzeitcharakter". Während unserer zwei Stunden Aufenthalt sehen wir so gut wie keine Menschenseele. Aber es gibt tolle Strandduschen mit Windschutz und das Wasser der Dusche ist ganz warm! Unwesentlich weiter liegt Torrox an der Küste. Hier haben mein im vergangenen Jahr verstorbener Onkel und meine Tante viele Jahre die Herbstmonate verbracht, um Licht und Sonne für den deutschen Winter zu tanken. Als wir am Ortseingang an einem Strandparkplatz anhalten, fällt uns ein künstlicher geformter Felsen am Wasser auf, der über und über mit kleinen bemalten Steinen bedeckt ist. Bei näherem Hinsehen erkennen wir, dass es sich um kleine Gedenksteine für geliebte und verstorbene Menschen handelt. Kurzerhand holt Susi ihre Acrylstifte heraus und gestaltet für meinen Onkel liebevoll einen kleinen Gedenkstein, den wir auf dem Felsen platzieren. Es wird ein unerwartet emotionaler Moment und wir fragen uns, warum wir genau hier und jetzt in Torrox auf so einen Gedenkfelsen stoßen?
Die Nacht verbringen wir in Benalmadena, kurz hinter Malaga. Die Hügel zwischen Autobahn und Küste sind ziemlich bebaut, aber die Park-4-Night App hat uns einen Platz in einer nicht bebauten Sackgasse in einem Wohngebiet hoch über der Küste vorgeschlagen, von dem wir abends über die ganze Küste von Malaga sehen können. Wir stehen alleine, nachts ist es sehr ruhig und morgens kräht auch noch ein Hahn. Die letzte Etappe vor Tarifa steht an. Bis dort sind es noch ca. 180 km. Die Fahrt führt an Marbella vorbei und auf der Küstenautobahn (fast immer mit Meerblick) sind schon mal Lamborghinis oder Ferraris (gerne auch mit deutschen Kennzeichen) zu sehen. Dann taucht "The Rock" bzw. Gibraltar am Horizont auf, erkenntlich an dem über 420 m hohen Berg, der sich wie ein schräges Tortenstück imposant aus dem Meer erhebt. Hinter Gibraltar liegt dann die große Hafenstadt Algeciras, von der die meisten Fähren in Richtung Marokko starten - und bald auch unsere! Hinter Algeciras schraubt sich die gut befahrene N-340 in die Küstenberge. Es ist windig, sehr windig! Kurz vor Tarifa gibt es auf einem Bwerg einen Mirador mit Aussicht auf Marokko, das von hier nur ca. 20 km entfernt ist. Der Wind bläst dort so heftig, dass wir die Türen von Betty mit beiden Händen festhalten müssen, damit sie einem nicht aus der Hand gerissen werden - und bitte auch nur eine Tür zur Zeit aufmachen, sonst ist der Van leergefegt! Die Meerenge von Gibraltar ist einer der windigsten Plätze der Welt. Entweder ballert der Levante von Ost auf das Mittelmeer hinaus oder der Poniente feuert aus West in das Mittelmeer hinein. Windstille ist hier weitgehend unbekannt. Mit zerzauster Frisur rollen wir am 15. September die Küstenberge nach Tarifa hinunter, dem Sehnsuchtsziel von Kitern, Windsurfern und neuerdings auch Wingfoilern entgegen.
Fazit Barcelona und Mittelmeerküste: Auf den rund 1.200 km von Rosas nach Tarifa haben wir eine unerwartet vielseitige Mittelmeerküste kennengelernt. Von mit Apartmentanlagen zugekleisterten Küstenbergen bis hin zu wüstenartigen, einsamen Landstrichen ist alles dabei. Großartige Naturwunder findet man hier nicht, dafür entschädigt das im September angenehm warme Mittelmeer. Das Freistehen mit dem Wohnmobil ist im Vergleich zu Nordspanien eher problemlos. Und nachdem wir nun endlich auch mal in Barcelona waren, ist unser Ranking eindeutig: Barcelona gefällt uns am besten, da können Lissabon, Porto, Bilbao und Co. aus unserer Sicht nicht mithalten! Die direkte Lage am Meer, die großzügig angelegte Stadt, die von Gaudi geprägte Architektur, kombiniert mit dem Licht und der Wärme des Mittelmeers haben uns in ihren Bann gezogen.
On the road: 237 Tage
Zurückgelegte Strecke: 15.000 km
FORTSETZUNG FOLGT