Veröffentlicht: 19.07.2023
Es ist Juli und wir haben 10 Tage Ferien. Nicht viel Zeit und in der besten Hauptsaison. Meeresstrände und hohe Berge fallen also aus. Wie wär es denn da mal mit der Champagne?
Vor zwei oder drei Jahren hat uns die Fahrt Richtung La Rochelle durch den Landstrich geführt, eine Nacht zwischen Champagnerreben und sanfte Hügel sind in Erinnerung geblieben. Es nicht so weit und einen Flohmarkt finden wir dort auch.
Romantische Weinberge und entspannte Paddeltouren auf dem noch weitestgehend naturbelassenen Flüsschen Aube, Spaziergänge durch malerische Dörfer und Badewannen voller Champagner vor Augen starten wir auf die kleine Reise.
Wir kommen an der Aube an und es ist heiß. Sehr heiß. Die Temperaturen nehmen neue Rekorde ins Visier, die Getränke sind pipiwarm, der Käse schmilzt. Auch der berühmte Chaource aus der Gegend, den schon Margarete von Burgund im frühen 14. Jahrhundert zu schätzen wusste. Kein Wunder, bei 50% Fett in der Trockenmasse. Aber vielleicht waren die Sommer damals noch nicht so heiß.
Die Paddeltour entfällt heute, denn bei 40°C im Schatten gerät die dazugehörige Wanderung einfach in den Bereich des Unmöglichen. In Ermangelung eines zweiten Fahrzeugs bringen wir das Schlauchboot an den Startpunkt der Wasserwanderung. Dort wird jegliches Zubehör im Gebüsch versteckt. Die Ventile nehmen wir sicherheitshalber mit, man weiß ja nie, auf welche Ideen pfiffige Mitmenschen kommen.
Dann fahren wir mit der Räuberhöhle an den Endpunkt der Paddeltour und lassen sie dort stehen. Den Autoschlüssel nehmen wir auch mit, seit den letzten Erfahrungen gut, sicher und wasserfest verstaut.
Nun machen wir uns auf die Wanderung zum Boot. Bei guten Bedingungen laufen wir 4-6km, um dann das erwählte Gewässer in vielen Windungen und Kurven in der doppelten Strecke zu meistern.
Aber nicht heute. Heute rücken wir mit dem wandernden Schatten einer kleinen Weide am Ufer Meter um Meter am Wasser entlang. Die Hitze ist erdrückend, wir starren Löcher in die schwere, schwülwarme Luft, ab und an schleppen wir uns ins eiskalte Wasser der Aube. Das ist so kalt, dass ich mich nur überwinden kann, ganz kurz einzutauchen, dann kribbelt die Kälte auf der Haut und ich muss ans rettende Ufer, wo ich sofort wieder schwitze.
Am Abend erleben wir den Park4Night-Effekt. Das Plätzchen am Ufer im Schatten hoher Pappeln wird schnell von orientierungslos wirkenden jungen Menschen mit Campingmöglichkeiten verschiendenster Art bevölkert. Wurfzelte, Schlafsäcke in Clios, ausgebaute Riesenvans mit Reisekatze oder einfach nur der VW-Bus, alle starren auf ihre Handys und sind überrascht, dass der kleine Platz schon ziemlich voll ist. Eine Weile bestaunen wir das Spektakel. Doch die Temperatur in der Räuberhöhle liegt immer noch bei 30°C, die Luftbewegung hat mit jedem ankommenden neuen Camper nachgelassen und die Mückenanzahl im Gegensatz dazu zugenommen.
Wir ergreifen die Flucht auf den nächsten Berg. Hier bläst der Wind die Blutsauger und die Hitze aus dem Auto.
Der Platz am Fluss ist bei Park4Night eingetragen, was sicherlich für die eine oder den anderen hilfreich ist. Bei solchen Anstürmen aber dazu führen kann, dass die Eingeborenen eines Tages abgenervt sind und diese schönen Orte mit Schildern, Schranken oder Ketten verriegeln und verrammeln und für Übernachtungen sperren.
Wir mussten schon erleben, dass radelndelnde Rentnerinnen uns an einem Park4Night-Platz, den wir wie vor 25 Jahren mit Karte und Intuition gefunden haben, bei einer kleinen Reiserast als "schon wieder solche Schwarzcamper" beschimpften.
Nein - für uns beide steht fest, bei dieser App wird keiner unserer über 300 naturnahen Schlafplätze in ganz Europa veröffentlicht werden.
Die Champagne hält einige Überraschungen für uns bereit. Wo wir romantische Weinberge mit edlen Trauben erwarten, empfangen uns riesige Äcker, sich unendlich in die Ferne ausdehnend, soweit das Auge reicht, bis an den Horizont. Reife Weizenähren wogen im sanften Wind, Kartoffeln und Rüben wachsen im satten Grün, der Raps ist schon gedroschen, Sonnenblumen, Luzerne und Schlafmohn schmücken mit bunten Blüten das Bild und unverschämt ungeheure Hanffelder verströmen ätherische Düfte.
Wir fühlen uns in die Magdeburger Börde versetzt, nur mit noch gigantischeren Ausmaßen. Nicht mal die malerisch auf den sanften Hügeln der weiten Landschaft verteilten Windkraftanlagen fehlen im sonst erneuerbaren Energien gegenüber nicht so sehr aufgeschlossenen Frankreich.
Welch ein Kontrast zu den kleinen Äckerchen des auf der Anfahrt durchquerten Saarlandes, wo Opa Achim seinen Trecker hätte stehen lassen und die Scholle mit Manneskraft und Spaten beackern würde - hier müsste er seine alte Brigade zusammentrommeln!
Nach der erfolglosen Suche von Weinhängen lernen wir, dass wir in der "Trockenen Champagne" gelandet sind, die gern auch die "Lausige" oder die "Kreidehaltige" genannt wird. An der schneeweißen Erde und den vielen Steinen erkennt man leicht die kalkigen Böden, die durch starke Düngung fruchtbar gemacht wurden. Monumentale Getreidesilos in den kleinsten Dörfern sind weit sichtbar und lassen selbst alte LPG-Bauwerke in ihrem Schatten versinken.
Doch in der Hauptsache sind wir zum Paddeln gekommen und das geht auf dem Lac d'Orient in den "Mangrovenwäldern". Das Office de Tourisme verspricht Mikroabenteuer zwischen Bäumen, die im Sommer vom Wasser umschwemmt werden. Hier müssen wir keine Wanderung in der Sommerhitze einplanen, das Boot kann am kostenfreien Parkplatz einschiffen und los geht die Tour.
Schnell durchqueren wir die glasklaren Fluten des mit 24km2 drittgrößten künstlichen Sees Frankreichs, der als einziger von den örtlichen drei Gewässern unter Naturschutz steht. Es ist wirklich ein Erlebnis durch die versunkenen Bäume zu rudern und die Pflanzenwelt bis zum Grunde des Sees bewundern zu können. Wie im Aquarium tummeln sich allerlei Fische im grünen Unterwasserurwald um uns herum. Es ist unbeschreiblich, wie klar das Wasser ist und natürlich lädt es bei den hochsommerlichen Temperaturen zum Bade ein.
Für eine kleine Pause suchen wir ein Plätzchen am Ufer. Am ersten wohnt Familie Schwan und ist nicht amüsiert über Besucher. Am zweiten wohnen viele Familien Mücke, die sind schon amüsiert, veranlassen uns aber schnell zur Flucht. Das dritte macht einen guten Eindruck, wir halten mit dem Boot an Land und Zappa schickt mich mich Unschuldsmine in den See. Das klare Wasser verändert die Dimensionen und trotz des lehmigen Bodens bin ich guter Dinge, hier stehen zu können. Doch kaum berühren meine Füße den Seegrund versinken sie schon im Lehm. Bis zu den Knien stecke ich schnell in der klebrigen Pampe und bekomme den rechten Latsch nicht mehr heraus. Oh nein, nicht schon wieder ein aussichtsloser Kampf um einen kostbaren Croq!
Was auch immer ich anstelle, das Schuhwerk steckt fest. Ich könnte meinen Fuß herausziehen, doch damit wäre der Latsch für immer verloren, denn der aufgewühlte Schlamm hat die Sicht im Wasser undurchdringlich eingetrübt. Tauchgänge sind aussichtslos.
Inzwischen nörgelt Zappa, was ich denn da treibe, schließlich will auch er ins erfrischende Nass und ich behindere seinen Ausstieg! Ich jammere, ich will meinen Gummischuh nicht aufgeben. Mittlerweile bin ich bis zum Bauchnabel versunken. Während sich Zappa missmutig aus dem Boot gleiten lässt, schwappt eine ordentliche Portion ebenjenes erfrischenden Nasses hinein ins Gefährt.
Meine Lage ist aussichtslos. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie sich Münchhausen an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen hat und beginne schon damit, mir die dicksten Stellen auf meinem Schopf zu greifen. Nun komme ich jedoch auf die Idee, meinen freien linken Fuß zu benutzen und damit im klebrigen Lehm zu buddeln. Immer tiefer grabe ich und das Wasser trübt sich mehr und mehr ein. Ich halte mich dabei am glitschigen Ufer fest und der ansässige grüne Frosch scheint sich sehr zu wundern, was an seinem gemütlichen Platz gerade so passiert.
Zappa wundert auch und zwar darüber, dass einige Liter Wasser im Boot gelandet sind und er wieder einen nassen Hintern bekommen wird. Meiner ist schon mehr als das und ich wühle immer noch in den Tiefen des Lacs herum. Dann endlich: ein sattes Schmmmmatz! und mein rechter Fuß ist frei und der Croq mit ihm! Unendlich erleichtert und glückselig rufe ich Hurraaa und schwimme hinaus in die klaren Fluten. Hinter mir her ziehe ich eine Schlammfahne und dicke Klumpen Lehm kleben an mir, die mein Held in mühevollster Kleinarbeit zwischen meinen Zehen mit einem Stöckchen liebevoll herauswaschen muss - ohne Kitzeln!
Schnell sind auch die Mücken wieder zur Stelle und beenden damit unser Mikroabenteuer im Mangrovenwald.
Die Paddeltour auf der Aube am Folgetag ist ein ähnlich aufregendes Erlebnis. Auch wenn wir in der glühenden Vormittagshitze die Meile zu Siebenvierteln machen und mit der Kirche ums Dorf laufen und damit die kleine Wanderung zum am Start ausgesetzten Schlauchboot um ein paar Kilometer verlängern. Die Mühe wird belohnt. Pfeilschnelle Strömungen und Strudel, scharfe Kurven, schroffe Uferkanten, kristallklares Wasser, dschungelartiges Pfeifen des gelben Pirols, giftiggrüne Schlangen mit Gartenschlauchmuster, blauschillernde Eisvögel, springende Forellen, Kormorane auf den Ästen, 20 Meter lange Wasserpflanzen, umgestürzte Bäume, hinterhältige Sandbänke, tiefschwarze Wolken und gruseliges Donnergrollen fordern viel Geschick und bescheren uns einen aufregenden Nachmittag.
Schade, dass wir keine zweite Tour in diesem Urlaub mehr schaffen.
Trotz des Magdeburger-Börde-Feelings begeistert uns die Champagne sèche. Auch wenn das Bad im edlen Getränk ausfällt, dieser Landstrich hat seinen eigenen Charme durch unendliche, menschenleere Weiten, beschauliche kleine Orte mit dem traditionellen schmalen, hohen Fachwerk und den entspannt wenigen Touristenattraktionen, was uns zu einer ausgeglichenen, gelassenen und unbeschwerten Reise abseits von Menschenmassen mitten in der sommerlichen Hauptsaison verholfen hat. Der Sound der Tour ist das immerwährende, durchdringende Dröhnen der Mähdrescher, über allem liegt der Hauch von Erntestaub und der ganze Landstrich riecht nach Shit.
Wir kommen mit Sicherheit wieder.