Veröffentlicht: 03.10.2023
Samstagmorgen um 6:30 Uhr auf dem Cours Général de Gaulle in Dijon. Es ist noch dunkel und mit 7°C auch nicht besonders warm. Gerade sehne ich mich nach Handschuhen für meine klammen Finger, die wohl wärmer als die Taschenlampen in unseren Händen wären. Und obwohl ich meinen ersten Kaffee heute schon getrunken habe, bin ich nicht sehr aufnahmefähig.
Auf den großzügigen Fußwegen der breiten Allee, die von Linden oder Platanen gesäumt werden - auch das kann ich derzeit nur schlecht ausmachen, ist mir aber jetzt auch egal - wird gerade der diesjährige Flohmarkt einer örtlichen Association aufgebaut, deren Namen ich sofort wieder vergessen habe. Dieses Event findet lediglich ein Mal Ende September statt, wird dementsprechend von Verkäufern wie Besuchern hoch frequentiert und ist deshalb ein Muss in unserem Reiseplan.
Übernachtet haben wir nur ein paar hundert Meter entfernt auf dem Cours du Parc, der eine Sackgasse ist und breite Parkstreifen am Strassenrand bietet, die kostenlos sind. Nur die vorbeirasenden Linienbusse bringen Nachts das Schlafzimmer zum Wackeln, aber sonst schlummern wir friedlich.
Bis noch vor dem Morgengrauen der Wecker grausam rasselt.
Ich schleiche Zappa hinterher, der sich schon ganz im Schnäppchenfieber zunächst beidseitig einen Überblick verschafft und es wirklich fertig bringt, im Schein der Straßenlaternen nach seinen Begehrlichkeiten Ausschau zu halten. Und schon hat er einen eisernen Schiffshobel erspäht! Nach dem Preis muss ich dann fragen, obwohl er eigentlich die Zahlen bis 10 schon kennt und wenn er die Antwort nicht versteht, kann man davon ausgehen, dass der Preis zu hoch ist. Hier können wir uns einigen und der Held ist glücklich, im kalten Morgengrauen ein Schätzchen gefunden zu haben.
Nachdem wir beide Reihen beidseitig schauend ein erstes Mal abgelaufen sind, so etwa einen Kilometer messend, ist es Zeit für ein Päuschen. Am Buvet gibt es Kaffee so schwarz wie die eben vertriebene Nacht und ebenso so stark und ohne Milch, aber mit viel Zucker, der alle Lebensgeister auch aus den letzten verpennten Ritzen holt und ein buttertriefendes, noch ofenwarmes Croissant.
Jetzt bin auch ich bereit, mich den Flöhen zu stellen und wir machen uns auf in die zweite Runde. Nun aber konzentriert den Blick auf eine Seite gerichtet. Und siehe da, endlich finde ich den rasierklingenscharfen Sparschäler, den ich zu Hause vergessen habe und der jetzt im Château bleibt. Glücklich kann ich die unansehnliche Rinde von den Möhren wieder entfernen und wie dieser Schäler schält - ohlala!
Mittlerweile strahlt die Sonne vom azurblauen Himmel und mein Bedürfnis, mir die warme Mütze von dem Stand da drüben zuzulegen, schmilzt mit den stetig steigenden Temperaturen. Ich bummle ein Stückchen weiter und drehe mich um, doch kein Zappa ist mehr zu sehen! Ich schaue vor, ich schaue zurück, kein Zappa! Wie vom Erdboden verschluckt! Ich entschließe mich, den Weg etwas zurückzulaufen und entdecke ihn. Er liegt vor einem Stand auf den Knien und steckt seine Nase in eine undefinierbare Holzkiste, die am Boden unter dem Tisch steht. Genaugenommen sehe ich nur noch seinen sexy Popo und die Füße. Er kramt, begutachtet und befummelt jedes Einzelteil in der Kiste.
Madame am Stand hat irgendwann Mitleid und bietet mir ihren Klappstuhl an. Nach gefühlten Unendlichkeiten und ihrer halben Lebensgeschichte erscheint mein Held mit einem dicken silbernen Stahlrohr in den Händen und bittet mich, Madame zu fragen, ob ihr Großvater Ingenieur war. Sie antwortet ein wenig überrascht "Oui, Grandpére war Optikingenieur."
Das Gerät entpuppt sich als Kollimator, mit dem man auf ein tausendstel Millimeter genau optische Systeme ausmessen kann. Zappas Gesichtsausdruck entnehme ich, dass dies exakt das ist, was er als Ergänzung zum daheim schon Vorhandenen für seine Kamerabasteleien seit Ewigkeiten erträumt hat und nun mit auf die Reise durch Frankreich geht.
Nach sage und schreibe fünf Stunden kehren wir zum Caravan zurück. Ich bin völlig entkräftet, schließlich haben wir so um die acht Kilometer im Schneckentempo zurückgelegt. Und während ich mich aufs Ohr haue, geht Zappa noch einmal los, er kann wohl doch nicht die 100 Jahre alte englische Detektiv-Magazinkamera bei Monsieur liegen lassen. Tut es am Ende aber doch, bringt statt dessen zwei riesige Druckluftmanometer aus Messing mit.
Ich halte es für möglich, dass uns die eine oder der andere von euch für ein wenig verrückt hält, aber nach dem Flohmarkt ist vor dem Flohmarkt und schließlich ist morgen Sonntag. Also fahren wir nach Sermesse, um hier am Ufer des Doubs zu übernachten und in den frühen Morgenstunden über einen Marché aux puces zu wandern. Und über noch einen und über noch einen.
An Markttagen beginnt schon vor Sonnenaufgang der Sturm auf offizielle und verbotene Parkplätze und selbst Monsieur Police Munipical steht mit schriller Trillerpfeife und ratlosem Schulterzucken dabei. Alles ist erlaubt, solange es noch irgendwie geht und wenn einer so dämlich parkt, dass ihm am Ende des Marktes ein Außenspiegel fehlt - na, er wirds schon merken, seine Strafe hat er weg und das erspart dann auch den lästigen Schreibkram. Und warum schon vor dem ersten Kaffee aufregen und einschreiten? Da gibt es doch Wichtigeres zu regeln, zum Beispiel dass der Grill angeworfen wird, damit bald die leckeren Merguez in den hungrigen Bauch kommen!
Die Zufahrt zum Parkplatz ist so eng mit Autos verstellt, dass Zappa 200m rückwärts um die Kurve rangieren und dann unter erschwerten Bedingungen auf einem engen Feldweg mit Wenden in drei Zügen über eine schräge Böschung abfahren muss. Attention! Auf dem superschmalen Chemin kommt ein verspäteter Schnäppchenjäger in seinem Sprinter angeschossen. Schreck, Action und Ausweichmanöver! Zappa lenkt das Gespann elegant aus der Crashzone, aber dabei setzt das Château in einem kleinen Schlagloch unglücklich auf, wobei das neue Rücklicht abgerissen wird. Bon merde. Doch der Held hat immer einen Rat und einen Schraubenzieher und beseitigt das Problem, nicht ohne dabei ordentlich über die französische Parkunordnung zu fluchen.
Der Tag ist lang und in Frankreich nimmt man sich gern das Mittagessen und den passenden Rosé mit an den Flohmarkt-Stand und wartet auch auf die Nachmittagsbummler, die noch die letzten Scheußlichkeiten erwerben. So wie Zappa auf dem Toute-la-ville in Bâgé-le-Châtel doch noch die wirklich unglaublich häßliche, italienische Wasserkanne, nein nicht kauft, sondern am Ende des vierten vide grenier des Tages geschenkt bekommt, damit sie nicht wieder mit in den heimischen Keller von Madame zurückgenommen werden muss.
Was er damit anfängt? Es gibt wohl Pläne, sie der Schwiegermutter zu schenken...