Cassiopeia
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Varkala, Alleppey - Indien

Veröffentlicht: 08.10.2023

Indien, ein Land das eigentlich ein eigener Kontinent sein sollte! Ein Land mit 179 Sprachen, in der Hinduismus, Buddhismus, Islam, Christentum, Daoismus und noch viele andere Religion direkt nebeneinander ausgelebt werden und sich die indischen Binnentouristen im eigenen Land wie Ausländer vorkommen. In diesem Land streife ich seit nun sechs Tagen alleine herum und ich liebe es!

Nach meiner 17 stündigen Reise von Sri Lanka in den Süden Indiens mittels TukTuk, Flugzeug, Bus, Bahn, Boot und eine Menge laufen schaffte ich es Abends dann in Varkala anzukommen. Das Land begrüßte mich mit dem Monsumregen pa exzellence und ich stapfte mit meinen FlipFlops durch die sich auf den Straßen bildenden Flüssen, in denen nicht nur der Geruch der dreckigen Straßen mitgetragen wurde, sondern auch all die Ursachen dieser Gerüche. Da ich mir beim Surfen ein paar wunde Stellen an den Füßen zu zog und ein Korallenriff versuchte mir meinen kleinen Zeh zu amputieren, dachte ich mir, als ein benutztes Pflaster in dem Rinnsal in dem ich stand, an mir vorbei floss, dass es das jetzt wäre. Innerliche stellte ich mich schon den sich immer weiter entzündeten Fuß ein, der immer dicker, röter und wärmer wird, bis irgendwann das Fieber eintritt und ich der Sepsis irgendwo in Indien erliege. Auch der Nipahvusausbruch in der Provinz von Kerala mit einer Letalitätsrate von 40-75% in der ich mich befand gab mir zu denken, dass meine Reise vielleicht doch frühzeitig in einem Sarg in Indien enden könnte. Doch hatte ich da keine Lust drauf, wenn es schon passieren sollte, dann wollte ich lieber traditionell wie in der nördlichen Stadt Varanassi am Ganges verbrannt werden und dann in den Fluss geworfen werden während die Bewohner sich dort badeten. Am liebsten würde ich aber quick lebendig weiter nach Nepal reisen, drum badete ich am Abend mein Fuß in alkoholfreien Antiseptikum und beobachtete die Wundheilung genaustens bis er gut abgeheilt war.

Als ich abends in der Unterkunft ankam begrüßten mich die Gäste mit einer Tanzsession im Eingangsbereich zu Bollywoodmusik. Ich war absolut gerädert und nachdem ich um 21 Uhr abends in einem Imbiss mir 1½ Stunden meine SIM-Karte einrichten ließ und ich mir eigentlich sicher war, nachdem der Verkäufer meinen Reisepass abfotografierte und mit mehreren verschiedenen Leuten telefonierte um diese einzurichten, dass ich gerade meine eigene Entführung und Identitätsdiebstahl herbeigeführt habe, nur noch schlafen wollte. (In diesem Imbiss kaufte ich mir auch nicht nur SIM-Karte, sondern auch einen Chai Massala, Batterien, einen Rasier, Zahnpasta und Nadel und Faden... ein interessanter Imbiss.)

Doch fing ich vor Freude an zu lachen, weil ich gerade realisierte, dass ich jetzt alleine durch gesamt Indien für die nächsten 50 Tage reisen würde und die Musik kam in meinen Knochen an. Drum schwang ich das Tanzbein noch ein bisschen mit und die Inder versuchten mir noch traditionelle Tänze vergeblich beizubringen. Dann fiel ich in einen langen, tiefen und traumreichen Schlaf.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich ein bisschen einsam und verloren in diesem neuen Land und mietete mir einen Roller mit dem ich durch indische Dörfer düste und mir eine riesige (wirklich RIESIGE) Adlerstatue anschaute. Sie ist eine Figur aus der hinduistischen Mythologie und mir kam genauso unecht wie die Geschichte dahinter die Existenz dieser Statue vor. Komplett aus Stein gemeißelt, war es für mich unbegreifbar wie Menschen so etwas erschaffen könnten. Abends schaute ich noch nach schönen Ringen, welche mir zu Wucherpreisen abgedreht wurden und selbst nach Minutenlangen falschen nichts zu ändern war. Später erzählte mir auch ein Einheimischer, dass ich genau so etwas auch für einzehntel des Preises in Goa bekommen würde. Ich fühlte mich ein wenig stolz nicht auf die Händler reingefallen zu sein, trotz meiner unglaublichen Lust mir genau diesen Schmuck zu kaufen. Die Vernunft siegte und meine Geduld muss noch warten. Dann nahm ich noch an einem Sonnenuntergangs Yogakurs mit Meerblick auf das arabische Meer Teil und war am Abend die Ruhe in Person, bis die Bollywoodmusik wieder lief und ich zeigen musste was ich am Abend zuvor gelernt hatte. Vor dem Schlafen nähte ich mir dann noch ein paar Löcher in meinen Klamotten und den Sri Lanka Patch auf meinen Rucksack, laß Stephens Kings "Pet cemetery" mit Gänsehaut und aufrecht stehenden Haaren im Nacken zuende.

In Alleppey angekommen ging ich mit ein paar Leute noch in eine Strandbar und trank einen Bananen-Erdnussbutter-Smoothie und verdammt hat der gut geschmeckt! Meine Erdnussbutter-Obzession die ich in Deutschland so gut zu pflegen verstehe konnte ich hier in keiner Weise ausleben, drum war dieses Glas für mich wie der heilige Gral aus Indiana Jones. Danach fühlte ich mich auch genau wie Indiana Jones: unsterblich und war immernoch wütend auf Nazis ;D

Ich verstand mich vorallem mit einem Inder richtig gut, Nanid sein Name. Er war super nett, interessiert, hilfsbereit und bestand darauf mir meine Mahlzeiten zu bezahlen damit ich mit meinem Geld so lang wie möglich reisen kann. Wir redeten über Politik, Kultur, Kulinarik, Studium, Bildung, die Liebe und Familie und spielten Jenga so ungeschickt wie Parkinsonerkrankte (ich hoffe das war nicht zu gemein :/ ). Am nächsten Morgen fuhren wir mit Kayaks zum Sonnenaufgang durch die berühmten "Backwaters" Allepeys. In der Peripherie der Stadt  fließen hunderte von Kanälen zwischen kleinen Landmassen auf denen Einheimische ihre Häuser errichteten und Kanus als einziges Transportmittel nutzen.

Auch andere nahmen an der Kayakfahrt teil und ab dann machte ich leider an diesem Tag nur noch Kontakt mit Menschen bei denen ich einfach nur den Kopf schütteln kann. Die anderen nahmen die Kayakfahrt lediglich durch die Kamera ihres Handys war während simultan alles auf Snapchat, Instagram, BeReal usw. gepostet wurde. Mir wurde auch Recht schnell klar, dass dies keine Dokumentation des Erlebnis war um eine Erinnerung für später zuhaben. Für eine Erinnerung ist ja auch ein Erlebnisse und Emotionen notwendig, doch fällt es mir einfach schwer zu glauben, dass diese Leute irgendetwas von ihrer Umgebung mitbekommen haben, weil sie damit beschäftigt waren zu überlegen welcher Song jetzt am besten unter das Video gelegt werden sollte. Die Dokumentation war lediglich für die unrealistische Darstellung ihres angeblichen "Alltags" da um ich schätze irgendeine Art Anerkennung von ihren tausenden Followern zu bekommen. Als einer von ihnen mir ganz stolz sein Instagramprofil zeigte, sagte er mir, dass er darauf Wert lege möglichst authentisch zu wirken, aber in Wirklichkeit nur Bilder hoch lädt, die auf jeder Reisebroschüre gedruckt sein könnten. 

Es ist der Versuch ein vollkommenes Bild zu präsentieren ohne zu realisieren, dass derjenige der nach Perfektionismus strebt nicht verstanden hat, was es heißt Mensch zu sein. Warum streben sich also so viele Menschen dagegen auch die negativen Gefühle und Erfahrungen zu teilen? Führt nicht die reine Existenz von Gut dazu, dass es auch schlecht gibt? Das eine bedingt das andere und ist nicht weniger natürlich oder wert. So wie der Tod unmittelbar unvermeidbar wird wenn man geboren wird. Nur durch das Verhältnis von schlecht zu gut bekommt erst eines von ihnen einen richtigen Stellenwert. Ist es vielleicht die Angst davor angreifbar zu werden? Ich habe leider keine Antworten auf die ganzen Fragen und bin mir auch bewusst selbst ein Teil dieses Problems zu sein. Doch Versuche ich auch genau hierdurch mich mehr daran zu gewöhnen nicht immer nur die Schokoladenseite zu zeigen.

Nichts desto trotz versuchte ich die Szenerie zu genießen und mich nicht darauf zu konzentrieren. Dies gelang mir bis zwei von den Leuten simultan auf ihren Handy in maximaler Lautstärke Musik anmachten. Der eine Linkin Park und der andere irgendeine sentimentale pseudopoetische Musik. Ich habe kein so großes Problem, wenn Leute sich selber Erlebnis so gestalten, und ich möchte auch bei Gott nicht behaupten, dass der Weg wie Reise der einzig wahre ist, doch finde ich es einfach unhöflich andere mit seinem Reisestil zu beeinflussen oder einzuschränken. Keiner von den beiden hat sich auch nur eine Sekunde gefragt ob man andere damit vielleicht stören könnte. So paddelten wir also mit einem lauten Musikmischmasch, gröhlenden Touris die eins mit ihrem Handy wurden durch die sonst seelenruhige Landschaft. Die unverständlichen und genervten Blicke der Einwohner der Kanäle für unsere Gruppe löste bei mir Scham aus und ich versuchte mich innerlich, sowie äußerlich so weit wie möglich mich von diesem Kollektiv abzugrenzen.

Am Nachmittag machte ich mich dann auf den Weg Richtung Vagamon und legte die erste Etappe mit einer vier stündigen Bootstour, die genau wie ein Bus durch die Kanalinfrastruktur der Backwaters an Mini Bootshaltestellen entlang fuhr, an denen Meistens nur ein einziges Haus stand, zurück. Ich genoss die Aussicht und dachte viel über Fremdwahrnehmung und eigene Werte nach. Als neben mir drei einheimische Männer ihr in Alufolie eingepacktes Paratha mit Hühnchen aßen und dann ohne jeglichen Gedanken daran zu verschwenden, die Verpackungen lässig über die Schulter in den Fluss warfen in dem ich zwei Minuten zuvor einen toten Varan im Plastik schwimmen sah, wurde ich das erste Mal auf dieser Reise wütend. Mir war einfach nicht begreiflich wie man so bewusst und zugleich unbewusst die eigene Natur zerstören kann. Zumal es drei, wie ich später noch herausfand, Ingenieure waren die fließend Englisch Sprachen. Es lag also nicht unbedingt an dem Bildungsgrad und die Infrastruktur in dieser Provinz ist auch gegeben um den Müllabtransport zu gewährleisten. Trotzdem fehlte anscheinend das Verständnis für jegliche Form von Umweltbewusstsein. Was bringt es denn dann eigentlich wenn man Deutschland mit ca. 85 Millionen Einwohnern Müll trennt, wenn ein Land mit 1,5 Milliarden Einwohnern ihren Müll wie Dünger verstreut? 

Ich hab's natürlich leicht von meinem hohen Ross des Europäers zu urteilen, während unsere CO²-Emission pro Kopf mit ca. 12T pro Jahr 10 mal so hoch sind wie die eines durchschnittlichen Inders. Doch erliege ich in diesen Momenten der Beschränkung des menschlichen Bewusstseins, dass das was man visuell sieht schlimmer wirkt als dass was man nicht sieht und dadurch nicht so greifbar ist.

Jane Austin's altmodisches Bild einer Gesellschaft aus ihrem Buch "Pride and Prejudice" verstärkte weiterhin meine gemäßigte Laune. Wobei ich sagen muss, dass der Titel den Nagel auf den Kopf trifft. Der Titel könnte nur noch akkurater sein wenn man "toxic relationship" und "sexism" einarbeiten würde. Dann reicht es auch aus nur den Titel zu lesen und sich ein anderes Buch zu schnappen.

Als am Abend dann noch Liebeskummer dazu kam, sehnte ich mich nur noch nach einer Umarmung, einen Kakao mit Wärmflasche und einer spannende Folge "Drei ???". Letzteres konnte ich in die Tat umsetzen und schlief mit dem Gefühl ein, dass morgen ein besserer sein würde.

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