Veröffentlicht: 11.02.2019
Gerade sitze ich am weißen Sandstrand, höre die Wellen rauschen und schaue Johannes im Wasser beim Surfen zu. Wir sind jetzt in Montanita und haben uns - vor allem Johnny - den Strandurlaub redlich verdient! Er hat nämlich einen zweiten Versuch gewagt, den Chimborazo zu besteigen. Am Montag, den 11.02.2019, sah er die Sonne am, gemessen vom Erdmittelpunkt, höchsten Punkt der Erde aufgehen! Da ich während dessen im Refugio blieb, liegt es an ihm, diese Geschichte zu erzählen. Jetzt ist es also Zeit, die Seiten zu wechseln: ich geh jetzt surfen - und Johnny muss schreiben!
'Wie die fleißigen Leser von unserem Bog ja sicher wissen, war unser erster Versuch ein ziemlicher Reinfall... 250$ für einen Bruchteil der Wegstrecke ausgegeben zu haben und dafür nichts erreicht zu haben, war mir allerdings doch zu wenig.
Die Entscheidung noch einmal zu Versuchen, den Gipfel zu erreichen fiel mir allerdings aus mehrer Hinsicht nicht leicht:
Zum einen saß die Enttäuschung nach dem ersten, misslungenen Versuch wirklich tief (v. a. weil wir uns ja zum Zeitpunkt der Umkehr noch in guter Verfassung wähnten), die Bequemlichkeit sich auf Davids Couch selbst zu bemitleiden und die „Flucht“ Richtung Strand zu suchen, war des weiteren sehr verlockend... zum anderen missfiel mir der Gedanke natürlich auch extrem, für eine weiteren Versuch wieder tief (noch tiefer) in die Tasche greifen zu müssen, ohne jegliche Garantie, diesmal mein heiß ersehntes Ziel zu erreichen.
Folglich machte ich mir in Entscheidung nicht leicht, schlief erst mal zwei Nächte darüber, googelte erneut diverse Unternehmen, die geführte Touren auf den Gipfel des Chimborazo anbieten, um Preise zu Vergleichen und ortsansässige Agencies ausfindig zu machen.
Die letztendliche Entscheidung FÜR einen zweiten Versuch sehe ich heute einerseits in der Enttäuschung aus dem ersten Versuch und der „Wut“, so nah dran gewesen zu sein, andererseits aus - für mich - einfach logischen und vernünftigen, geographischen Beweggründen... Wer weiß, wann ich das nächste Mal nach Ecuador komme (und bereits eine annehmbare Akklimatisation auf mich genommen habe)? Das nächste Sabbatjahr kommt zwar bestimmt... aber wann...!?
Außerdem war mein Ehrgeiz nach dem ersten Mal geweckt und ich hätte es mir in zwei drei Wochen, Monaten, ... sicher nicht verziehen, es nicht noch einmal versucht zu haben!
Am Donnerstag, den 07.02.2019 machten wir uns also auf den Weg in die Stadt zu den Reisebüros und fanden im letzten der drei recherchierten auch das Angebot, das mir am ehesten zusagte. Professionell geplant, mit zwei Tagen im Vorfeld am Refugio zum Gewöhnen an die Höhe, das Essen, das Schlafen und den Luftdruck!
Letzterer machte mir beim Schlafen in der ersten Nacht am Refugio (Samstag, 09.02. auf Sonntag 10.02.) enorme Probleme, sodass ich nach zwei ruhigeren Atemzügen immer mit einem Riesen Schnaufer um Luft rang, weil ich das Gefühl hatte, mir bliebe die Luft weg. Den Tipp, am/an den Vortag/en der Tour möglichst viel zu trinken behertzte ich schon mal übermäßig... leider mit dem falschen Getränk!
NEIIIIIIN! Nicht was ihr mir wieder unterstellen werdet... BIER!? Der KOKA-TEE war‘s, der seinen Teil zu meiner schlaflosen, ersten Nacht beitrug. Seine Wirkung, besser mit der Höhenluft klarzukommen kann ich leider nicht wirklich bestätigen/beurteilen... wohl aber seine aufputschende Wirkung, die bei jedem Ruheversuch mein Herz rasen ließ!
Bergsteigerisch wurde mir empfohlen, am Anreisetag (SAMSTAG, 09.02.2019) lediglich den Aufstieg vom Eingang in den Nationalpark an der Straße zum Refugio Caroll (4800m) zu machen... und vielleicht noch ein bisschen weiter; zum Refugio Whymper, der Lagoona (kurz oberhalb) oder maximal zu den Whymper-Needles; all dies mit aus dem Grund, da es nicht ratsam sei, am höchsten erreichten Tagesziel zu nächtigen...
Die Whymper-Needles (5300m), ein paar spitz aufragende Felszacken, entgegengesetzt der Aufstiegsrichtung zum Gipfel wählte ich dann, und war - bei leider leichtem Nieselregen und Nebel - nach ca. 1,5 Std. am höchsten Punkt; etwas oberhalb der Needles... dem Ausgangspunkt einer früheren Gipfelroute (Whymper-Route), die momentan leider nicht (mehr) begangen werden kann. Einen kurzen Aufriss der Nebeldecke und Blick auf die steile Felswand und den blauen Himmel über dem Nebel konnte ich glücklicherweise erhaschen, dann ging‘s zurück zum Refugio zum (üppigen) Abendessen...
Am Aufstiegstag selbst solle ich lediglich, für Kreislauf usw. am Vormittag etwas auf der Höhe herumwandern (oder bis zum Ref. Whymper) gehen und mich ab Mittag vollständig ausruhen und früh schlafen gehen, da wir Sonntag Abend/Nacht den Wecker auf 22:00 Uhr gestellt hatten und um 23:00 Uhr starten wollten.
Gut versorgt mit Essen und Trinken an den Vortagen (Suppe und eigentlich viel zu schwerer Kost —> Schwein, Pommes, Salat, Chicken-Wings, Reis, ...) und eigentlich auch zu einer - für mich vollkommen untypischen - vernünftigen Schlafenszeit gingen wir am Vortag des Aufstiegs ins Bett.
Hatte ich noch gedacht, die Nacht am Rifugio des Iliniza Norte ließe sich an Schlaflosigkeit nicht überbieten, sah ich mich weit gefehlt. Da wir bereits um 19:00 Uhr im Schlafsack lagen und es um uns herum sogar (unerwartet) ruhig war - lediglich ein weiteres Pärchen wollte am Samstag den Gipfel besteigen und war schon vor uns in der Falle - erhoffte ich mir min. 12 Std. friedlichen (Aus-)Schlafens. Das komplette Gegenteil war leider der Fall!
Geschlagene 13 Stunden vergingen ohne eine einzige Sekunde Schlaf! Lediglich besagter Koka-Tee zeigte seine Wirkung und ließ mich volle sieben Mal das stille Örtchen aufsuchen um mich seiner zu entledigen... es war zum Verzweifeln und zum daran Zweifeln, ob ich mein geplantes Unterfangen derart unausgeschlafen am folgenden Abend überhaupt würde antreten können!?
Gott sei Dank konnte ich am Folgetag (Sonntag, 10.02.2019) ab Mittags wenigstens die eine oder andere Stunde schlafen, war allerdings trotz aller Vorkehrungen, Materialcheck, ... ganz schön nervös und aufgeregt; der Wecker war gestellt auf 22:00 Uhr!
Nach einem warmen Tee und ein paar Bissen trockener Semmel mit furchtbarem Käse traten wir vor die Tür. Liesl war natürlich mit aufgestanden, genauso nervös wie ich und schaute mit darauf, dass/ob ich auch alles beieinander hätte. Ein letztes Abschieds-/Startfoto von meinem Guide (und Koch) Juan und mir vor unserer Tour, und los ging's um 22:48 Uhr, die angesetzten sieben bis neuen Stunden (bei 1450hm) über die so genannte „Ruta El Corredor“ zum Aufstieg - Chimborazo Hauptgipfel!
Dick eingepackt stiegen wir in ca. 30 Min. zunächst zum Refugio Whymper (5000m) auf, dann vorbei an der Lagoona Condorcocha (5100m). Meine Kleidung - ich trug lediglich ein Merino-Longsleeve unter der fetten Bergjacke der Agency - war hier bereits durchgeschwitzt!
Bei leichtem Nebel und stockfinsterer Nacht ging es weiter eine Schutthalde hinauf durch grobes Geröll; je höher wir kamen, desto vereister und härter wurde der Untergrund. Kurz nach Mitternacht ging es so nicht mehr weiter und wir mussten die Steigeisen anlegen. Vereinzelte Schneefelder und das Geröll ließen uns immer wieder wegrutschen, außerdem lag vor uns ab nun ohnehin fast nur noch Schnee und Eis als Gelände. Auch nahm mich Juan ab hier an’s Seil und wir bildetet eine Zweier-Seilschaft für den weiteren Weg. Besser und sicherer ausgerüstet stiegen wir weiter durch die Nacht.
Die nächste geplante Pause legten wir am El Castillo ein, auf 5500m um 01:10 Uhr, nach 2 Std. 20 Min. Hier begann die eigentliche Gletscher-Begehung; ein schier endlos erscheinender Schneehang mit einigen Stellen um die 45° Steigung (der durchschnittliche Neigungsgrad lieg bei 35 - 40 Grad) und zwei kleinen Kletterstellen im bis zu III. Grad. (Gletscherspalten sah ich nur ganz vereinzelt und sehr klein!)
Ab hier wurde es für mich richtig anstrengend und ich fing an mich mit dem Schnaufen schwerer zu tun. Um der Steilheit des Geländes zu entkommen, stapften wir in Serpentinen durch den Schnee und bald brauchte ich - zunächst bei jeder zweiten, dann bei jeder Kehre - eine kurze Pause um Durchzuatmen.
John, der Chef der Agency über die ich gebucht hatte, sagte in unserem vorbereitenden Gespräch... „Das einzige, was einen irgendwann am Aufstieg hindern kann, sind einsetzende Höhenwinde!“ (außer natürlich menschliches Versagen!) Wenn es also sehr windig werden würde, würden sich die gefühlten -8° C Durchschnittstemperatur in Gipfelnähe um einiges kälter anfühlen, des Weiteren würde der Wind kleine Schnee- und Eisteile herumwirbeln...
Um 02:45 Uhr empfand ICH es schon als sehr windig und als narrisch kalt! Folglich zogen wir uns eine weitere (Zwischen-)Schicht unter die wasserdichte Überjacke an und auch zusätzliche Überhandschuhe waren von Nöten! Meine Finger waren das, was sich am schwersten Erwärmen ließen, obwohl sie noch ein, zwei Stunden zuvor, durch die Anstrengung, keine Spur von Kälte gezeigt hatten.
Die Kommunikation zwischen Juan und mir gestaltete sich nicht leicht, da er nahezu kein Englisch verstand; aber wir verständigten uns mit Händen und Füßen und ich konnte ihm Gott sei Dank immer wieder klar machen, dass/wenn ich eine Pause brauchte. Frustrierend wurde es lediglich dann, wenn bei meiner regelmäßigen Frage, wie lang es noch bis zum Gipfel sei, aus den beim letzten Stopp angesagten 1,5 Std. plötzlich 2 - 2,5 Stunden wurden. Aber auch diese Missverständnisse stellten wir irgendwann ab, indem wir mit dem Eispickel die Zeit in den Schnee malten!
Immer länger, höher und weiter stiegen wir auf und ich kam wirklich an meine Grenzen, was das Schnaufen anbelangte; vielleicht war es auch dem Schlafmangel geschuldet, dass meine Kräfte immer mehr schwanden?! Ich weiß es nicht! Jedenfalls muss ich gestehen, trotz der steigenden, ersehnten Gipfelnähe, diverse Male ans Abbrechen der Tour gedacht zu haben. Da mein Guide aber keine Anstalten machte und immer nur kurz nach meinem „OK“ fragte (nach mehrmaligem tiefem Durchatmen bekam er mein OK), kam ein Umkehren überhaupt nich in Frage!
So erreichten wir um 04:45 Uhr endlich den ersten der beiden Chimborazo Gipfel, den Veintimilla auf 6234m und ich war heil froh, hier erst einmal länger verschnaufen zu können.
Durch den starken Wind war allerdings von Gemütlichkeit keine Rede... so bemühte ich mich, einen beinahe zu Stein gefrohrenen Müsliriegel mit etwas lauwarmen Tee hinunterzuspülen und möglichst schnell wieder meine warmen Handschuhe anzubekommen.
Jacke, Stirnlampe, Rucksack und sogar Kamera... alles war überzogen von einem Eisfilm und direkt starr vor Kälte! Dennoch knipsten Juan und ich uns gegenseitig und machten ein gemeinsames Selfie, als ob wir alle Zeit der Welt hätten; eine dankbare Umarmung an meinen Guide auf meinem ersten 6000er und ein Dank gen Himmel dass wir heil bis hier herauf gekommen waren, durfte nicht fehlen. Wie zur Belohnung leuchteten die Sterne unvergleichlich über uns!
Nach dieser Pause war ich zwar nicht fitter, jedoch euphorisiert vom bisher geschafften und so stiegen wir über einen Sattel in eine kleine Senke und wieder bergan, hinauf Richtung Chimborazo Hauptgipfel, der von Weitem nur schemenhaft im Halbdunkel zu erkennen war. Lediglich der Nordstern schien fantastisch hell über dem höchsten Punkt und der Schnee reflektiere das Licht unserer Stirnlampen...
Je näher wir dem Gipfel kamen um so dichter wurde leider der Nebel... um 05:30 Uhr hatten wir es dann Gott sei Dank endlich geschafft und fielen uns erschöpft in die Arme... und danach in den Schnee!
In 6 Std. 40 Min. hatten wir den Hauptgipfel erreicht und uns jetzt eine Pause auf dem 6310m hohen Gipfel – und damit höchsten Gipfel der Welt (gemessen vom Erdmittelpunkt sogar höher als der Mount Everest) – verdient!
Leider ließ der immer dichter werdende Hochnebel oder die Wolken keinen Talblick zu und sogar das Schießen von Fotos stellte sich bei diesem Mix aus kaltem Wind und Nebel als relativ schwierig heraus. Da wir ja noch den Abstieg von 2 - 3 Stunden vor uns hatten, wollte Juan bei diesen Bedingungen auch nicht zu lange am Gipfel verweilen und trieb mich an, dass wir uns an den Rückweg machen sollten.
Kaum waren wir 15 Min. im Abstieg unterwegs und beinahe wieder am Gipfel des Veintimilla, klarte es merklich auf und wir bekamen doch noch unseren/meinen heiß ersehnten Rundum- und Tiefblick mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages, um 06:15 Uhr. Wolkenfelder wie Zuckerwatte über dem Tal in der einen Richtung, die teilweise mit dem Schnee vor uns verschwommen, zwischendrin der eine oder andere Tiefblick in Richtung Refugio und ein unvergleichliches Spiel aus Licht und (dem überdimensionalen) Schatten des Chimborazo, der sich wie eine riesige, unwirkliche, schattige Pyramide über den Landsrich unterhalb schob und den wir - nun im Abstieg - immer im Blick hatten! (den Gipfel selbst - im Nacken!)
Die im Aufstieg für mich schon harte Wegstrecke von gut vier Stunden über den eisigen Schneehang, die wir im Zickzack zurückgelegt hatten, sollte ich nun, laut Guide Juan, quasi in der Direttissima absteigen... wäre der Schnee etwas weicher gewesen, das Gelände etwas weniger steil und meine Kniebeschwerden beim Absteigen ein bisschen weniger, wäre es sicherlich eine große Zeitersparnis gewesen. So mussten wir – ähnlich wie im Aufstieg – alle 20, 30 Meter Pause machen... und ich war „ganz froh“ darüber, weil ich auch im Weg hinunter immer wieder Momente zum Durchatmen brauchte!
So ging es, mit immer besser werdender Sicht, den Hang bergab, der sich leicht in südwestlicher Richtung zum Refugio zog und ganz langsam von der Morgensonne, die sich im Schneckentempo um den Chimborazo schob, in goldenes Licht getaucht wurde. (Timecheck: 07:50 Uhr)
Am El Castillo angelangt ging’s – zu meinem (Knie)Leidwesen – wieder quer Feld ein, das vereiste Geröllfeld hinunter, mit bergab Blick, direkt auf die Lagoona Condorcocha und die Refugii Whymper und Caroll... und zu unserer Linken, die gewaltige, vereiste Südwand mit einigen Eisabbrüchen und gestapelten Erdschichten, die wie aus der Eiszeit wirkten.
Nur gut, dass das Ende der Tour in Sicht war, denn ich musste mir selbst eingestehen, dass meine Kräfte langsam zur Neige gingen!
Um 08:48 Uhr, also nach genau 10 Stunden, erreichten wir das Refugio Whymper und somit endlich auch (schon einen Tick eher, an der Lagoona) das Ende des weglosen Geländes!
Erneut schauten sich zwei glückliche Gesichter an... das meine Juan, weil ich unglaublich froh und dankbar war, mein gesetztes Ziel (fast schon) geschafft zu haben... und Juans meines, weil er – wie ich glaube – wirklich froh war, dass er mich ENDLICH die letzten steilen Meter herunter gebracht hatte; ich hatte ihn im Abstieg wohl sicher eine, bis eineinhalb Stunden gekostet!
Die letzte halbe Stunde auf unserem Weg hinab zum Refugio Caroll versuchte ich mich, bei so mancher Unebenheit, noch einmal gut zu konzentrieren und dabei kamen mir immer wieder die Worte von „Huberbua“ Alex Huber bei seinem Besuch im März letzten Jahres in den Kopf... „Du hast einen Berg erst dann wirklich geschafft, wenn du heil wieder unten gelandet bist!“
Zwischen 09:00 Uhr und 09:30 Uhr war es dann geschafft! Wir erreichten sicher unseren Ausgangspunkt nach ca. 10,5 Stunden Hochtour...
Liesl hatte wohl schon geahnt, dass wir jetzt sicher gleich wiederkommen würden und spazierte uns erst entgegen und die letzten Meter bis zur Hütte neben uns her.
Froh, stolz, dankbar für und erschöpft von diesem fantastischen Abenteuer ging ich in die Hütte, ruhte mich etwas aus und wir packten unseren Kram für die Heimreise nach Riobamba.
Jetzt freute ich mich schon narrisch auf eine Woche „Strandurlaub“ mit Sonne, Wärme, Surfen und v. a. Barfußlaufen und nix außer Badehose tragen...!