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Halbzeit!

Veröffentlicht: 30.11.2018

Wie in der sportlichen Berichterstattung manchmal üblich wird es auch von mir ein kleines Interview zur Halbzeit geben. Der Fragesteller bin ich und natürlich gebe ich auch selbst die Antworten darauf :D 

Hi Alex, schön das du die Zeit gefunden hast für ein kurzes Interview. Das wichtigste zu erst, wie geht es dir denn? 

Danke der Nachfrage. Mir geht es hier sehr gut. Natürlich ist das Leben hier nicht mit dem Leben in Deutschland vergleichbar, trotzdem sind die Grundbedürfnisse auch hier vollkommen abgedeckt und ich bin bisher glücklicherweise von größeren Krankheiten verschont geblieben. 

Du bist jetzt seit fast drei Monaten in Somaliland, wie fällt dein Zwischenfazit bisher aus? Entspricht es deinen Vorstellungen, oder ist es doch ganz anders als gedacht? 

Vor der Reise nach Somalia bzw. Somaliland hatte ich eigentlich keine konkreten Vorstellungen wie das Leben und der Alltag hier wohl sein würden. Natürlich liest man vor dem Antritt einer solchen Reise viel, insbesondere über die Sicherheitsbedenken und die Kulturunterschiede. Auch einige meiner Freunde und meine Familie haben sich Sorgen um meine Sicherheit gemacht. Die Realität sieht dann doch meist ganz anders aus als das Niedergeschriebene, ich selbst war bisher noch keiner Situation ausgesetzt in der ich Angst um mein Leben hatte oder Sorgen hatte, dass mir irgendwas passieren könnte. Die Arbeit im Projekt ist aber schon ein wenig anders als ich es mir vorgestellt habe, was aber auch damit zusammen hängt, dass die Arbeit im Krankenhaus überraschend gut läuft. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich mehr direkt am Patienten arbeite und den Krankenpflegerinnen und Pflegern unter die Arme greife und ihnen vielleicht das ein oder andere beibringen kann, dies ist aber gar nicht so oft nötig, da die Nurses auch in Somaliland eine dreijährige Ausbildung absolvieren und dort jede Menge über den Menschen und Krankheitsbilder lernen. Alles in allem fällt mein Zwischenfazit zu dem Projekt also positiv aus und die Arbeit die wir hier täglich machen ist durchaus sinnvoll und hilft den Menschen vor Ort.

Du hast das Projekt ja schon angesprochen, was macht ihr eigentlich genau dort und wie sehen deine Aufgaben so aus? 

Cap Anamur unterstützt in Caynaba ein regionales Krankenhaus, wir bauen es aus und bieten den umliegenden Dörfern kostenlos medizinische Hilfe. Mittlerweile beschäftigen wir am Krankenhaus 54 Mitarbeiter und betreuen in dem gesamten Projekt mehr als 30000 Patienten im Jahr. 

Wie sieht die Hilfe konkret aus? 

Im Krankenhaus selbst, haben die Patienten rund um die Uhr die Möglichkeit von einem Arzt konsultiert zu werden. Dieser entscheidet dann über das weitere Vorgehen. Benötigt der Patient weitere Blutuntersuchungen, werden dies von unserem Labor durchgeführt. Wenn der Patient dann aufgenommen werden muss, bekommt er ein Bett zugewiesen, Verpflegung und Medikamente von uns gestellt. Es gibt aber auch viele Patienten die nur zur ambulanten Versorgung zu uns kommen und mit der passenden Medikation nach Hause geschickt werden. Außerdem bauen wir gerade eine Isolationsstation am Krankenhaus, damit Patienten mit hochansteckenden Krankheiten auch entsprechend isoliert werden können.

Neben der Arbeit im Krankenhaus, haben wir aber auch eine Mobile Clinic. In dieser fährt ein Team, bestehend aus zwei Krankenpflegerinnen und einem Arzt, in die verschiedenen abgelegenen Dörfer in der Region und leistet den Menschen direkt vor Ort Hilfe. Außerdem planen wir aktuell an verschiedenen Punkten der Region Health Post zu errichten. In diesen sitzen dann zwei Nurses, mit einer Grundausstattung an Medikamenten und die Bewohner der umliegenden Region können bei Bedarf den Health Post besuchen, eine erste medizinische Einschätzung erhalten und auch mit Medikamenten versorgt werden. 

Warum sind Einrichtungen wie ein Health Post überhaupt nötig? 

Das Gesundheitssystem und die Gesundheitsvorsorge in Somaliland ist in keinster Weise mit dem Gesundheitssystem in Deutschland vergleichbar. Während in Deutschland ein Rettungswagen innerhalb von 10 - 15 Minuten vor Ort sein muss, müssen die Leute hier oftmals lange Fußmärsche auf sich nehmen um überhaupt medizinische Unterstützung zu erhalten. In der Mobile Clinic haben wir beispielsweise mal einen Mann behandelt der 7 Stunden gelaufen ist um unsere Behandlung in Anspruch zu nehmen. Neben Medikamente gegen seine Gastritis haben wir ihm dann auch noch was gegen seine Knieschmerzen gegeben, die er aufgrund des langen Weges hatte. Mit den Health Post wollen wir es den Menschen also erleichtern Zugang zu Medikamenten und medizinischer Versorgung zu bekommen. 

Wie wird das ganze eigentlich finanziert? 

Da es in Somaliland bisher keine funktionierende Krankenversicherung gibt und auch die Regierung nur sehr zurückhaltend Unterstützung leistet, finanziert sich das alles aus Spendengeldern von den Menschen in und um Deutschland.

Neben dem Mann der sieben Stunden gelaufen ist um von euch behandelt zu werden, welche Momente bleiben dir noch im Gedächtnis?

Im Gedächtnis bleiben sicherlich die vielen unterernährten Kinder, die wir hier fast tagtäglich behandeln. Auch die zwei Babys die vor einiger Zeit kurz nacheinander im Krankenhaus gestorben sind. Erst vor zwei Tagen ist in der Nacht ebenfalls ein Baby gestorben. Die Mutter hatte den Leichnam des Kindes anschließend in Tücher gewickelt und im Kinderward liegen lassen und hat in der selben Nacht noch das Krankenhaus verlassen. Am nächsten Morgen war das Kind schon ganz steif und es war für mich unverständlich warum man den Leichnam einfach so zurück lassen konnte. Vermutlich musste die Mutter aber zurück zu ihrer Familie, weil sie noch mehr Kinder zu versorgen hatte oder sie war auch selbst mit der Situation überfordert. 

Neben solchen Geschichten bleiben einem aber natürlich auch die schönen Dinge und Momente im Gedächtnis und die vielen dankbaren Gesichter in die man Blicken kann, wenn es den Menschen wieder besser geht. 

Solche Situationen sind für dich sicherlich auch nicht immer einfach, worin siehst du die Herausforderungen in dem Projekt? 

Die Herausforderungen in dem Projekt sollte man sicherlich in verschiedene Herausforderungen unterteilen. Da gibt es zum einen die persönliche Herausforderung. Man steht in dem Projekt 24 Stunden am Tag unter Polizeischutz, das Wohnhaus in dem wir leben ist von einer hohen Mauer umgeben die mit Stacheldraht abgerundet ist. Man kann also nicht mal eben ins Café um die Ecke gehen und sich mit Freunden treffen oder einfach mal eine Runde laufen gehen um den Kopf frei zu bekommen. Auch was die Auswahl unseres Essens angeht sind wir hier sehr limitiert. Kein Alkohol, keine Schokolade, nur selten Fleisch. Meist beschränkt sich die Essensauswahl auf Spaghetti, Reis oder Bohnen. Das positive daran ist, dass ich schon einige Kilo Gewicht verloren habe. 

Neben der persönlichen Herausforderung bringt natürlich auch die Arbeit im Krankenhaus und im Projekt einige Herausforderungen mit sich. Wie werden Konflikte gelöst, wie bringt man die Nurses dazu ihre Arbeit besser zu dokumentieren, wie kann man die Arbeit und Hilfe vor Ort verbessern.  

Kommt es auch mal zu Konflikten aufgrund der unterschiedlichen Kulturen?

Nein eigentlich gar nicht. Allgemein streiten und debattieren die Menschen in Somaliland emotionaler und auch mal lauter und verlassen dann recht schnell auch mal die sachliche Ebene. Oftmals findet man dann doch am Ende des Gesprächs einen Konsens mit dem alle beteiligten Leben können. Das es hier aber Konflikte aufgrund unterschiedlicher Hautfarbe oder unterschiedlichem Glaube gibt habe ich bisher nicht erlebt.

Hat sich durch deine Arbeit im Projekt der Blick auf die Entwicklungshilfe geändert?  

Insgesamt schätze ich unsere Arbeit hier als sehr sinnvoll ein. Die Menschen die hier Leben haben oftmals weder Strom, noch Zugang zu sauberem Wasser und kochen oftmals noch auf offener Flamme. Durch uns haben die Menschen hier Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Es gibt aber auch Momente und Überlegungen die mich etwas nachdenklicher Stimmen. Neben Cap Anamur sind hier in der Region auch andere Hilfsorganisationen tätig. Eine davon ist beispielsweise die WFP (World Food Programm) die die Menschen hier mit Lebensmittel und Wasser versorgt. Natürlich ist auch dies sehr sinnvoll, gleichzeitig trägt es aber auch dazu bei, dass die Menschen in einer Region bleiben, in der sie weder sich selbst noch ihre Tiere adäquat versorgen können und dauerhaft von Lebensmittelspenden abhängig sind. Bis 2050 wird mit mehr als 250 Millionen Klimaflüchtlingen gerechnet, durch diese Lebensmittelspenden wird das Problem also nur aufgeschoben und die Menschen in einer Region gehalten in der sie eigentlich nicht mehr leben können, die aber auch ihre Heimat ist. 

Du bist jetzt fast noch 3 Monate in Somaliland, was hast du noch für Pläne und gibt es auch schon Überlegungen für die Zeit danach? 

Nächste Woche werden wir voraussichtlich unseren ersten Health Post eröffnen. Die Mitarbeiter dort müssen mit eingearbeitet werden und mit unserer Art der Dokumentation vertraut sein. Außerdem wollen voraussichtlich noch in diesem Jahr einen zweiten Health Post besichtigen, bauliche Maßnahmen einleiten und nach geeignetem Personal Ausschau halten. Für das neue Jahr habe ich die Idee im Krankenhaus ein "Teaching-System" einzuführen, bei dem das medizinische Personal geschult wird und mit dem lebenslangen Lernen vertraut gemacht wird. Im Januar kommt außerdem noch ein weiterer Mitarbeiter von Cap Anamur in das Projekt. Vielleicht können wir uns dabei gemeinsam ein Bild von den ITP-Camps der Region machen. In den Camps leben tausende von Menschen, die während der letzten Dürreperiode ihr komplettes Vieh verloren haben und jetzt von der Hilfe der Gemeinschaft und von Hilfsorganisationen abhängig sind. Leider hatte ich bisher noch nicht die Zeit mir selbst ein Überblick davon zu schaffen. 

Für die Zeit nach dem Projekt habe ich erst mal wieder geplant in meiner alten Stelle weiter zu arbeiten. Falls aus dem Medizinstudium in absehbarer Zeit nichts werden sollte, kann ich mir aber durchaus auch vorstellen wieder in einem Projekt für Cap Anamur zu arbeiten. Aktuell sondiert Cap Anamur beispielsweise die Lage im Jemen.

Außerdem würde ich mir gerne einen Oldtimer kaufen und damit über die Alpen bis nach Rom fahren, was daraus aber schlussendlich wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. 

Danke für das Gespräch.


#AlexinSomaliland

Antworten (4)

Cornelia
Alex, tolle Idee. Klingt nach einer durchweg positiven Zwischenbilanz. Klasse, dass du das machst.

Margreth
Hallo Alex ,erstmals sind wir froh ,wenn du wieder nach hause kommst, und nicht schon wieder Pläne für weitere Projekte schmiedest,denn du vergisst sonst dein schönes Kesselbach.Danke für deinen Bericht ,der wieder sehr interesant und aufschlußreich ist. GLG.

Sonja
Ein tolles Interview. Jeder hat Träume und Pläne. Das schöne ist, dass man sie heutzutage bis ins hohe Alter leben kann.

Sim
Ein tolles und interessantes Interview!