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Chile und Argentinien II

Veröffentlicht: 16.12.2017

Das Leben ist kein Ponyhof

Bei den Chilenern fällt auf, dass sie sehr tüchtig sind. Sie möchten arbeiten – und zwar soviel, damit das Geld für das teure Leben in ihrem Land ausreicht. Es stellt eine Herausforderung dar und ist zum Teil schwierig umzusetzen. Viele Einheimische sind am Abend nach ihrer regulären Arbeit auf der Strasse – verkaufen entweder ihre selbsthergestellten Artikel oder verdienen mit ihrem Talent wie Jonglieren oder Musik weitere Chilenische Pesos, die wichtig für ihren Lebensunterhalt sind.

Eine soziales Netz, das einen bei allfälliger Arbeitslosigkeit auffangen könnte, gibt es nicht. Sobald man in Chile den Job verliert, kann es einem passieren, auf der Strasse zu enden. Eine Pensionskasse existiert nicht. Die Altersvorsorge ist so tief, dass viele ältere Leute gezwungen sind, bis fast an ihr Lebensende zu arbeiten.

Chile hat Potenzial und ist im Aufschwung. Die Wirtschaft wird hauptsächlich durch Kupfer, Gemüse- und Früchteexport angekurbelt. Das Bildungssystem hat ein grosses Manko und muss entwickelt werden. Die öffentlichen Schulen haben einen sehr schlechten Ruf und die Universitäten sind zu teuer. Auch der Salär der Lehrpersonen ist tief. Deshalb gehen viele Lehrkräfte der öffentlichen Schulen nach ihrer regulären Arbeitszeit einer weiteren Beschäftigung nach. Dadurch fehlt ihnen oft die Zeit für nötige Vorbereitungen für ihren Unterricht. Die mangelnde Präparation führt zu schlechten Lektionen. Dieser Teufelskreis wird zu stoppen versucht. Die Präsidentin Michelle Bachelet holt sich Tipps für Chiles Schulsystem im fortschrittlichen Skandinavien und versucht diese laufend umzusetzen. Es braucht noch viel Zeit.


Nacht- und Nebelaktion

Am Morgen, 1. Dezember fuhren wir aus Santiago de Chile und verbrachten einige Stunden in einem grossen Outlet ausserhalb der Stadt.

Anschliessend begaben wir uns Richtung San Rafael, Argentinien. Bei Dunkelheit erreichten wir den Zoll. Wir düsten in der Nacht solange es nur möglich war. Unterwegs wollten wir die Lagune del Diamante hoch oben in den Bergen besuchen und am nächsten Tag bewandern. Auf den letzten Kilometern herrschte stockdicker Nebel. Als wir um zwei Uhr mitten in der Nacht vor dem verschlossenen Tor des Parkeingangs standen, kehrten wir wieder um und wollten nach einer Übenachtungsmöglichkeit suchen. Kaum 20 Meter von dem Tor entfernt, blinkte ein helles Licht in unsere Richtung. Wir hatten ein mulmiges Gefühl. „Was ist das?“, fragten wir uns. Es hörte nicht auf. Auf und ab. Links und rechts. Vor allem aber in unsere Richtung zeigte es. Rezi kurbelte das Fenster runter, um allfällige Aussengeräusche besser wahrnehmen zu können. Nichts. Wir halteten. Das Licht aus der Ferne kam näher. „Es muss ein Fussgänger sein!“, dachten wir uns. Rezi rief aus dem Fenster und fragte, wann der Park öffne. Aus der Weite war eine Antwort zu hören. „Hola, hola!“ Das unbehagliche Gefühl verstärkte sich. Mitten im Nebel. Keine Sicht. Mitten in der Nacht. Dunkel. Schotterstrasse mit kondensierten Grashalmen am Strassenrand. Auf einmal stand ein Mann vor dem Fahrerfenster, begrüsste uns höflich und machte uns auf nette Art klar, dass der Park zurzeit wegen Schnee auf der Zufahrtsstrasse geschlossen sei. Der Park öffne erst Mitte Dezember. Ein bisschen enttäuscht und trotzdem erleichtert, fuhren wir einige Kilometer aus dem Nebel und schliefen im Auto. Die Nacht war kurz und das Wetter am Morgen auch nicht besser.


Hilfe!

Auf dem Weg durch San Rafael passierte ein Malheur. Im letzten Moment an einer Kreuzung entschieden wir uns noch, zur ältesten Bodega der Stadt abzubiegen. Langsam chauffierten wir unsere Kutsche auf den Randstein. Kaum die Höhe des Trottoirs mit dem vorderen linken Rad erreicht – Plumps, passierte es. Wir stürzten ein. „Was war das?“, fragten wir uns. Wir stiegen aus und der Fall war klar. Die Lösung dafür vorerst nicht. Völlig hilflos standen wir zwei Touristen vor dem versunkenen „Hilüxli“. Wie bringen wir die Karre, die einen knappen halben Meter im Bach klemmte, wieder heraus? Plötzlich kam ein Mann mit Sohn zu uns und bat seine Hilfe an. In Kürze standen fünf weitere Männer rund um das Auto und versuchten, eine Lösung zur Herausforderung zu finden. Mit robustem Abschleppseil, starkem 4x4-Antrieb und ein wenig Manneskraft schafften wir es, das Auto aus der Senke zu ziehen. Wir bedankten uns herzlichst bei den Helfern und machten uns auf den Weg zu einer Olivenölproduktion. Schliesslich wollten wir dem kommenden Gastgeber Rolf ein kleines Geschenk mitbringen.


Auf Rolfs Finca

In San Rafael übernachteten wir bei Rolf, der ein eigenes Weingut von 30 Hektaren besitzt. Er ist der Vater der Schulsozialarbeitererin in Niederhelfenschwil. Sein Zuhause begeisterte uns sehr. Wir waren beeindruckt von dem grossen Haus und dem Spitzenwein, den er uns offerierte. Kaum bei ihm angekommen, verwöhnte uns Rolf mit einer feinen Grillade. Am nächsten Tag hatten wir ein leckeres Festessen in einer Weinkellerei in der Nähe. Das Fleisch wurde auf argentinische Art auf offenem Feuer zubereitet. Es hing ungefähr für vier Stunden am Spiess. Mit dem Fahrrad erkundeten wir die Umgebung San Rafaels. Am dritten und letzten Abend kochten wir für Rolf ein Pilzrisotto mit der Vorspeise einer Kürbiscrèmesuppe und einem fruchtigen Dessert. Wir fühlten uns sehr privilegiert, an diesem schönen und abgelegenen Ort zu nächtigen.


Ein Stück Heimat

Auf der Weiterfahrt in den Süden verspürten wir ein bisschen Heimweh. Die unzähligen Autofahrstunden und das miserable Wetter verderbte uns die Laune. Die Distanzen auf diesem Kontinent sind unglaublich gross. Wir unterschätzten sie. Es liess uns die schönen Dinge zu Hause vermissen. Beim Heimweh kam die Geschichte von Janosch „Oh, wie schön ist Panama“ in den Sinn. Manchmal muss man auf die Reise gehen, um zu merken, wie schön, wir es eigentlich zu Hause haben. Wobei die Reise auf keinen Fall fehlen darf, um überhaupt auf diese Erkenntnis zu kommen. Was ist Heimat? Ist es ein Ort, wo man sich wohl fühlt? Oder ist es mehr als nur ein Ort? Dieser Begriff steht nicht nur mit einem Ort, sondern auch mit Gewohnheiten und Vertrautheit im Zusammenang. Heimat heisst, sich geborgen zu fühlen. Ein sehr grosser Teil konnten wir zum Glück auf unsere Reise mitnehmen. Unsere gewohnte Zweisamkeit, in der wir uns behütet fühlen. Schluss mit den philosophischen Gedanken – zurück zur Reise. Nach einer zähen, gewitterhaften Nacht im Auto bei einer Tankstelle fuhren wir bei Morgendämmerung los und kamen schliesslich in eine Region, die uns an die Schweiz oder Kanada erinnern liess. Nordpatagonien. Es war ein Stück Heimat. Die Gedanken an unser Daheim verwandelten sich in eine Art Dankbarkeit, am Reisen zu sein. Es ist ein besonderes Recht, die Schönheit hier entdecken zu dürfen. Die klaren Seen, Flüsse, verschneiten Berggipfel und die Natur im Allgemeinen waren so ähnlich wie in der Schweiz – nur grösser. Deshalb entstand der Vergleich mit Kanada. Wir bestiegen Berge und schätzten das Leben als Camper erneut in vollen Zügen.


Die zwei Globis bei den Indianern

Dank unserem 4x4 und dem sehr hilfreichen App „iOverlander“ erreichten wir sehr abgelegene Plätze. Über Stock und Stein und durch ein Fluss führte uns ein Weg, der mit „No Pasar“ angeschrieben war. Wir gaben diesem nicht ganz einfachen Weg eine Chance und landeten an einer Bucht am See wie aus dem Bilderbuch. Kaum waren wir aus dem Auto gestiegen, hörten wir zwei Hunde bellen. Es hatte eine Holzhütte an dieser Küste. Wir gingen Richtung Haus, um nachzufragen, ob wir am See übernachten dürften. Die Hunde hörten nicht auf zu bellen. Wir riefen aus der Ferne. Keine Antwort. Das Bellen übertönte womöglich unsere Stimmen. Die Hunde rund ums Haus verschafften uns, beim Verteidigen ihres Reviers, Respekt. Auf gut Deutsch: „Mir händ üs fascht i d'Hose gschisse!“ Wir kehrten zu unserem „Hilüxli“ zurück. Eine Weile später kam eine Frau mit rotem Beret zu uns. Sie kam nicht ganz alleine. Eine Katze, zwei Hunde und eine einhörnige Ziege begleiteten sie. Die Frau erkundigte sich äusserst höflich bei uns. Sie freute sich darüber, dass wir am See übernachten möchten. Wir könnten auch mehr als nur eine Nacht hier sein, bekundigte sie. Sie war indianischer Abstammung und gehört zum Stamm der Mapuchen. Die Idee ihres Lebens sei, dass sie mit ihren Schafen, Rindern, Ziegen, dem Fischfang, ihrem Gemüse und Obst genügend zum Leben haben. Sie wirkte sehr zufrieden. Auch zeigte sie uns ihr einfaches „Casita“ und führte uns durch ihren kleinen Gemüsegarten. Wir kauften ihr ein wenig Salat und Kräuter ab. Es war eine schöne und berreichernde Begegnung.


Pflegeleicht

Ja, das sind wir. Die Pflege als Camper ist einfach, jedoch nicht immer so komfortabel. Glücklicherweise stinken wir beide nicht so schnell – zumindest haben wir dieses Gefühl. Wir können nicht jeden Tag duschen, waschen uns aber immer wieder. Das Unangenheme daran ist, dass die Seen und Flüsse saukalt sind. Wir gehen im ersten Zug ins klirrend kalte Nass. Anschliessend crèmen wir uns im Trockenen mit Schampoo ein und hüpfen ein zweites Mal ins Wasser. Was sich im Moment schon fast schmerzhaft anfühlt, entpuppt sich im Nachhinein als überaus wohltuend.


Hoch hinaus

Immer wieder unternahmen wir Wanderungen. Die zweitägige Bergtour auf den Vulkan Lanín ist jedoch speziell zu erwähnen. Dieser Vulkan ist mit seinen 3728 m.ü.M. der höchste Punkt im gleichnamigen Nationalpark. Bevor wir uns auf die Tour machten, mussten wir einerseits eine Bewilligung für den Berg holen und andererseits das nötige Material ausleihen. Nebst unseren schweren Bergschuhen und funktionaler Kleidung, die wir selbst mitgebracht hatten, mussten wir Steigeisen, Pickel, Helme, Stöcke und Funkgerät ausleihen. Beim Parkeingang wurde unser Material genaustens kontrolliert. Da das zweite Refugio ausgebucht war, entschlossen wir uns, das eigene Zelt mitzunehmen. Mit der schweren Last von Gaskocher, Essen, Ersatzkleidung, diversem Bergmaterial, Schlafmatte bis hin zum Zelt machten wir uns auf den sechstündigen Aufstieg. Als erste waren wir auf dem zweiten Camp angekommen. Nach dem Zeltaufbau sassen wir uns auf einen von der Sonne aufgewärmten Fels und genossen die eindrückliche Weitsicht. Das Gefühl von „Die Welt gehört uns“ war unglaublich. Nach dem Kochen legten wir uns schon bald ins Zelt. Zuvor bot uns noch ein einheimischer Bergsteiger sein selbstgebrautes Ale an.

Um zirka vier Uhr Morgens frühstückten wir und machten uns auf den Weg des viereinhalbstündigen Auftieges zum Gipfel. Der Aufstieg war problemlos. Die Aussicht atemberaubend. Auf den letzten Metern zum Gipfel standen uns vor Freude die Nackenhaare zu Berge. Wir waren überglücklich, als erste ins Tal zu funken und mitzuteilen: „003, los Suizos son feliz en el cumbre.“

Der obere Teil des Abstieges war lustig – wir schlittelten im Schnee auf unseren Regenhosen zu unserem Zelt runter. Rodeln auf dem Kronberg ist nicht annähernd der gleiche Spass. Wir lachten, kreischten und amüsierten uns köstlich. Der zweite Teil des Abstieges war jedoch zäh und sehr langatmig.


Dummes Geschwatz

Wie wichtig es auch für uns ist, mit dummem Gerede uns zu unterhalten. Humor ist wohl das wichtigste, besonders in einer Situation, in der es vielleicht nicht einmal ums Lachen ist. Wenn es windet, kalt ist und es einem womöglich ins Essen regnet, dann wird es schwierig, der Situation mit Leichtigkeit zu begegnen. Oftmals gelingt es uns recht gut, dumm zu schwatzen und viel zu lachen. Die Prise Humor oder auch Ironie darf nicht fehlen. Ansonsten wird es langweilig.

„Ironie ist das Körnchen Salz, das das Aufgetischte überhaupt erst geniessbar macht.“ - J.W. Göthe

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