Veröffentlicht: 23.05.2024
수레국화 (su-reh-gu-kwah) Kornblume
Es ist ja nun schon an der ein oder anderen Stelle durchgesickert, dass ich eine koreanische Freundin habe. Vor mittlerweile vier Jahren haben wir uns online kennengelernt, sind seitdem regelmäßig im Kontakt, haben uns jetzt schon 2 Mal in echt gesehen, und wenn es sie nicht gäbe, wäre ich auf dieser Reise schon einige Male komplett verzweifelt. Sie hat mir nicht nur den Freund in ihrer Heimatstadt Yongin vorgestellt, sondern auch ein Date mit ihrer Mama vermittelt - und das fand am Mittwoch statt!
Ich habe mich sooo sehr auf dieses Treffen gefreut! Übrigens hat mich Jiyeons Mama sogar zu einem Ausflug mit anschließendem Grillen zu sich nach Hause eingeladen, allerdings hat sich das zeitlich leider mit meinem zu diesem Zeitpunkt bereits gebuchten Trip nach Sockho überschnitten.
Der Mittwoch startete mit meiner allerletzten Privatstunde, worüber sowohl meine Lehrerin als auch ich total traurig waren. Zur Feier des Tages haben wir nur gequatscht, sie hatte ein paar Themen rausgesucht und es hat einfach wieder so viel Spaß gemacht. Ich wünschte ich könnte einfach jeden Tag eine Stunde Konversationstraining machen. Aber dann waren die zwei Stunden leider vorbei und wir haben uns verabschiedet.
Und dann kam der langersehnte Mittwochabend. Bei strahlendem Sonnenschein habe ich mich mal wieder auf den Weg nach Gangnam gemacht, sehr frühzeitig, um der Rushhour möglichst auszuweichen. (Hat so semi-gut funktioniert.) Am Treffpunkt angekommen, wollte ich noch Blumen kaufen. Leider hatte der Blumenladen, den ich mir dazu rausgesucht hatte, schon zu. Dafür hab ich in dem Kaufhaus aber eine fette Kakerlake gesehen… Igitt! 🪳
Leider mit leeren Händen bin ich dann am Treffpunkt erschienen. Ich hoffe ich darf das hier so öffentlich schreiben, aber Jiyeons Mama ist so unglaublich lieb und süß! Und total begeistert, was alles mit Pflanzen und Natur angeht, deswegen hat es sich direkt ein bisschen nach zu Hause angefühlt.
Zuerst sind wir essen gegangen (Vietnamesisch), und dann spazieren am Yangjaechon Flüsschen. Obwohl ich jetzt schon mehrfach in Gangnam war, sah es hier schon wieder ganz anders aus. “Man merkt, dass es eine reiche Nachbarschaft ist”, meinte Jiyeons Mama ganz treffend. So viel grün, ruhige Straßen und tolle, hohe, alte Bäume, dass man komplett vergessen kann, sich in einer Metropole zu befinden.
Wir haben uns ganz toll unterhalten, auf Koreanisch und mit Hilfe von Händen und Füßen und Übersetzungsapp und sehr verrückten Umschreibungen. Zum Beispiel wusste ich das Wort für “Nonne” nicht, und hab es dann so erklärt: “Die Personen, die in der Kirche arbeiten und mit Gott verheiratet sind”. 😄 Aber immerhin, soweit kann ich mir nun schon helfen!
Nach dem Spaziergang sind wir zu einem Supermarkt gegangen, weil sie mir unbedingt noch Snacks und Getränke kaufen wollte. Ich musste sie regelrecht ausbremsen, dass es nicht zu viel wird, weil ich ja alles entweder vor Freitag aufessen oder mit in den Süden nehmen muss. Mit einem Eis haben wir uns dann auf eine Bank gesessen, und sind später dann zur U-Bahn spaziert, wo sich unsere Wege dann getrennt haben, nachdem ich versprechen musste, mich aus Busan zu melden. Was für ein wunderschöner, glücklich machender Abend!
Ich denke, ihr habt es aus meinen Erzählungen vielleicht ein bisschen mitempfunden, dass Gastfreundschaft in Korea etwas ganz Besonderes ist. Und dazu möchte ich euch noch kurz etwas über die koreanische Kultur erzählen, falls ihr Lust habt. Falls nicht, könnte ihr an dieser Stelle aufhören zu lesen, der Tagesbericht ist damit zu Ende.
Fun fact: Während bei uns die Gesellschaft eher individualistisch geprägt ist (jeder macht sein Ding und niemand quatscht rein), ist Koreas Gesellschaft eher kollektivistisch geprägt. Das Fundament des Zusammenlebens ist hier die Idee einer gemeinsamen sozialen Verantwortung. Davon zeugt auch das Wort (uri - unser), was hier im Zusammenhang mit vielen Dingen benutzt wird, wo man in Deutschland “mein” benutzen wurde: Statt mein Land, meine Mama, mein Zuhause sagt man unser Land, unsere Mama, unser Zuhause.
Eine Mutter erzieht und behütet nicht nur ihr eigenes Kind, sondern alle Kinder. Fürsorge und Gastfreundschaft bedeuten hier, einzuladen, selbstverständlich für die andere Person alles zu bezahlen (und jeden Versuch des anderen, sich zu revanchieren, rigoros abzuwiegeln), besorgt nachzufragen und immer die Bedürfnisse des anderen zu achten, tausend Fragen zu stellen und alles wissen zu wollen, und tausend Ratschläge zu geben. Es gibt für diese fürsorgliche Art sogar ein eigenes Wort: 정 (Dschong).
Für jemanden, der das so nicht kennt, kann das sehr überwältigend wirken und sich bisweilen sogar wie ein Eindringen in die Privatsphäre anfühlen. Und ich kann mich an Situationen erinnern, insbesondere im Austausch mit meinen koreanischen Ex-Schwiegereltern, die sich unangenehm übergriffig angefühlt haben. Aber in einer Welt, in der sich individuelle Freiheit auch sehr einsam anfühlen kann, ist diese kollektivistische Gesellschaftsstruktur auch etwas, das einen total auffangen und das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben kann.
Auch wenn ich weiß, dass ich auf Dauer an den fehlenden Grenzen meiner individuellen Freiheit und den teilweise strikten, hierarchischen Regeln des Zusammenseins hier verzweifeln würde, weiß ich es für die kurze Zeit meines Reise zu schätzen, dass mich Korea in die warme 정-Umarmung aufnimmt und mir immer wieder Momente beschert, die sich so kostbar anfühlen.