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Südostbrasilien: Sāo Paulo...

Veröffentlicht: 13.03.2017

Überall in der Stadt auf dem Gehsteig liegend schlafende Obdachlose..

TAG 1:

Wir hatten im Vorfeld viel über die größte Stadt Brasiliens, dem wirtschaftlichem MittelpunktBrasiliens, Sāo Paulo gehört und gelesen. Mit  ca.11 Mio Einwohnern, von denen etwa ein Viertel unter der Armutsgrenze in äußerst prekären Verhältnissen lebt, an sich schon eine tickende Zeitbombe. Armut und Obdachlosigkeit sind hier omnipräsent und unübersehbar. Selbst im Zentrum schlafen die Ärmsten zum Teil mitten auf dem Gehsteig. Man gewinnt den Eindruck, dass beinahe in jeder Gasse zumindest ein Obdachloser "lebt".




Kriminalität ist hier ebenso ein grosses Problem und man solle sich vorsehen und als Tourist allzeit seine Tasche fest im Griff haben, keinesfalls das Handy auf der Strasse zeigen und vorsichtig und aufmerksam sein. Man tue daher gut daran, manche Gebiete vor allem nachts völlig zu meiden.

Die Herren hier passen auf, dass nichts passiert...

Was für mich aber vor allem ebenso unübersehbar ist: pure Lebensfreude, wenn getanzt wird, und das einfach überall!


Wir haben die Avenida Paulista besucht, eine riesige, mehrspurige Einkaufsstrasse, so wie es sie in vielen Großstädten gibt. Doch jeden Sonntag wird diese tagsüber für Autos gesperrt und die Strassenmitte wird dann zu einem Paradies für Skater, Läufer und Radfahrer. Links und rechts davon treten unzählige Strassenkünstler auf, talentierte Musiker, und Vortänzer, die Massen in Bewegung bringen, und zwar Menschen jeden Alters- und die haben wahrlich Rythmus im Blut!

Tanzen macht viel Spass und eine gute Figur;)



Capoeira gehört in Brasilien natürlich unbedingt dazu..


Sehr beeindruckend fanden wir auch die beiden Slagline-Akrobaten.



Was auch total schön ist, dass sich dort auch gerne wirklich "schräge Vögel" (meine ich jedenfalls positiv) zeigen.




Bewegung macht hungrig, deshalb gibt es auch köstliche Imbissstände für wirklich jeden Geschmack. Die Köstlichkeiten kann man, falls man keinen Sitzplatz ergattert hat, fast noch besser im direkt an der Strasse liegenden Park geniessen. Denn dort gibt's Schatten und genug Parkbänke.

Ausserdem werden Kunsthandwerk,  Schmuck, sowie Antiquitäten angeboten.

An der Avenida Paulista liegt auch das Museo de Arte de Sao Paulo, kurz MASP genannt. Das Gebäude an sich ist schon für sich allein sehenswert.


Bin selbst kein Formel-1-Insider, doch dass Ayrton Senna, der leider 1994 im Alter von 34 Jahren als dreifacher Weltmeister beim Rennen tödlich verunglückt ist, ein Kind dieser Stadt war, erkennt man daran, dass hier sein Andenken noch immer besonders in Ehren gehalten wird. Habe gelesen, dass ihm bei seinem Begräbnis hier in der Stadt  allein damals 3 Mio (!) Menschen die letzte Ehre erwiesen haben.




TAG 2:

Dieser Tag ist heute leider der traurigste Höhepunkt unserer bisherigen Reise. Gestern habe ich meine Einschätzung zum Thema Kriminalität hier relativiert. 
Heute haben wir die Erfahrung machen müssen, dass hier die kriminelle Energie bedingt durch extreme Armut, Alkohol-und Drogenproblematik tatsächlich zum Alltag der Menschen gehört.
Wir waren gerade auf dem Weg zur Catedral Metropolitana de SP, als uns ein Mann mit einer Eisenstange in der Hand entgegen kam, einen verwirrten Eindruck machend, an uns vorbei marschierte. Wir bewegten uns gerade auf einen kleinen Platz vor dem Eingang zu einer U-Bahnstation zu, wo sich eine Menschenmenge bereits gebildet hatte, die sehr aufgebracht schien und in unsere Richtung auf den beschriebenen Mann zeigte und schrie. Ein Passant verfolgte ihn auf seinem Motorrad, aber er war nicht allzu flott unterwegs und konnte nach kurzem relativ leicht von der hinzu gerufenen Polizei gestellt werden. Um die Ecke standen Menschen in einigem Abstand und starrten auf einen auf dem Bauch liegenden Mann, der halb in einem Lokal und halb auf dem Gehsteig lag. Er lag mit dem Gesicht in einer Blutlacke, die sich rasch ausdehnte. Als ich zu ihm lief, um seinen Puls zu tasten, sah ich erst das wirkliche Ausmaß der Katastrophe. Ich möchte nicht mehr ins Detail gehen, nur soviel, dass der arme Kerl eine sehr schwere Kopfverletzung erlitten hatte und bereits tot war.
Die Menschenmenge kam nun langsam näher und kommentierte das Geschehen. Im Lokal sah ich in das Gesicht des Anstellten, dieser bediente einen Gast, so als ob nichts geschehen wäre, und das wenige Meter vom Toten entfernt.
Peter zog mich aus dem Schauplatz sanft, aber bestimmt weg, da konnte ich meine Gefühle nicht mehr länger zurückhalten. 
Warum das alles passiert war und was wohl der Auslöser für dieses Verbrechens war? Die fast teilnahmslosen Gesichter der Passanten, das alles ist für uns, die glücklicherweise solche Gewaltausbrüche mit derart fatalen Folgen nur aus den Medien und Filmen kennen, schlichtweg unfassbar. Da wird einem ganz brutal vor Augen geführt, wohin soziale Kluft führen kann. Einerseits benützen hier die Superreichen  Helikopter als Transportmittel, um dem extremen Verkehr zu entgehen und möglicherweise, um nicht mit dem Elend der Mio (!) Obdachlosen der Stadt unmittelbar konfrontiert zu werden. Deren vermeintlich einziger Ausweg scheinen Alkohol und Drogen, um diese triste Art zu leben irgendwie ertragen zu können.
Nicht verwunderlich, wenn die Schwelle zu Gewaltbereitschaft dabei extrem sinkt.

Nachdem wir uns wieder einigermaßen gefangen hatten, sind  wir weiter zur ganz nahegelegenen Catedral da Se und haben dort einen Teil der Mittagsmesse miterlebt. Wir sind zwar beide nicht gläubig im christlichen Sinn, aber heute haben wir dort Kerzen für den armen Kerl gezündet. Die Catedrale ist sehr beindruckend und wirklich sehenswert. Der davorliegende Platz ist sehr belebt und auch hier trifft man auf besonders viele Wohnungslose.




Die Stadt ist sehr multikulturell. Neben Libanesen und  Portugiesen und Deutschen leben hier viele Italiener. Letztere haben die Küche sehr massgeblich beeinflusst. Angeblich gibt es sogar 6000 Pizzerias in SP und - etwas scherzhaft wird behauptet- noch bessere Pizzen als in Italien selbst.
Doch hier lebt auch die weltweit größte japanische Community außerhalb Japans, die ein Viertel kulturell besonders geprägt hat, das heute Libertade heißt. Hier findet man neben Meditationszentren, speziellen asiatischen Geschäften auch naturgemäß eine Vielzahl sehr guter japanischer Restaurants. Wir haben ein nettes Lokal gewählt und dort eine Kleinigkeit gegessen.


Danach sind wir weiter zum Edificio Martinelli, dem ersten Wolkenkratzer in Brasilien, wo man zu bestimmten Zeiten gratis in den 26.Stock auf die Dachterrasse hochfahren kann, um einen Rundumblick auf die Stadt werfen zu können. Der Himmel war heute ziemlich trüb und diesig, aber von dort oben kann man erst wirklich einen Eindruck für die wahre Größe SP's  gewinnen.


Wir sind dann schon frühabends ziemlich erledigt in unser Hotel zurückgekehrt. Morgen fahren wir weiter nach Rio de Janeiro, da gibt's wieder genug vorzubereiten, worüber wir beide im Moment ganz froh sind.....

Trotz des schrecklichen Erlebnisses heute ist mir ganz wichtig festzuhalten, dass wir von hier auch die Erinnerung an so viel Lebensfreude, Liebenswürdigkeit und Vielfalt der Menschen mitnehmen und sicher nicht vergessen werden..

NACHTRAG:

Das Titelfoto zu diesem Beitrag wurde von mir ganz bewußt gewählt, um den von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen hier auf diesem Blog quasi stellvertretend für alle einen "Raum" zu geben. Wer mich kennt weiß, dass es mir fern liegt, mich über das Leid anderer in den Mittelpunkt zu stellen.
Aber ihre Präsenz ist es, die das Bild der Stadt maßgeblich prägt und selbst einem sehr "harmoniebedürftigem" Menschen wie mir, ist es nicht möglich diese schockierende, zutiefst berührende Realität auszublenden. Was ohnedies kaum vermittelbar erscheint, ist das beklemmende Gefühl, das einem als Europäer beschleicht, wenn man mit solchen menschenunwürdigen Lebensbedingungen noch dazu in einem so extremen Ausmaß konfrontiert wird.
Auch ich möchte hier viel lieber positive Erfahrungen und Eindrücke teilen. Nach meinem Empfinden wäre das aber eine völlige Verzerrung und Ignoranz und Nichternstnehmen der Menschen, denen man hier begegnet, aber auch der eigenen  Erfahrungen.
Keinesfalls waren wir natürlich auf so ein extremen Zwischenfall, wie oben beschrieben, vorbereitet.Wie auch?
Vielleicht mag es irritierend wirken, dass wir "in Bewegung" blieben. 

Möglicherweise ist dies schwer zu verstehen, aber wir haben uns zu dieser Reise entschieden- ohne Anspruch darauf, dass uns nur Schönes, Lebendiges, Faszinierendes widerfahren wird. Und ja, selbstverständlich haben die Bilder und Eindrücke, die ich in meinem Kopf habe, etwas gravierend verändert, was schwer in Worte zu fassen ist. Jedenfalls haben wir unsere Aufmerksamkeit den Verhältnissen hier angepasst und vermeiden es nachts in bestimmten Bereichen unterwegs zu sein.

Wir haben uns auf diese Reise gemacht, um uns ein Stück weit selbst ein Bild der "Welt", bzw. der Länder, die wir bereisen, zu machen. Die Freude am Entdecken und Kennenlernen wollen wir uns aber erhalten....

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