Wir hatten im Vorfeld viel über die größte Stadt Brasiliens, dem wirtschaftlichem MittelpunktBrasiliens, Sāo Paulo gehört und gelesen. Mit ca.11 Mio Einwohnern, von denen etwa ein Viertel unter der Armutsgrenze in äußerst prekären Verhältnissen lebt, an sich schon eine tickende Zeitbombe. Armut und Obdachlosigkeit sind hier omnipräsent und unübersehbar. Selbst im Zentrum schlafen die Ärmsten zum Teil mitten auf dem Gehsteig. Man gewinnt den Eindruck, dass beinahe in jeder Gasse zumindest ein Obdachloser "lebt".
Kriminalität ist hier ebenso ein grosses Problem und man solle sich vorsehen und als Tourist allzeit seine Tasche fest im Griff haben, keinesfalls das Handy auf der Strasse zeigen und vorsichtig und aufmerksam sein. Man tue daher gut daran, manche Gebiete vor allem nachts völlig zu meiden.
Die Herren hier passen auf, dass nichts passiert...
Was für mich aber vor allem ebenso unübersehbar ist: pure Lebensfreude, wenn getanzt wird, und das einfach überall!
Wir haben die Avenida Paulista besucht, eine riesige, mehrspurige Einkaufsstrasse, so wie es sie in vielen Großstädten gibt. Doch jeden Sonntag wird diese tagsüber für Autos gesperrt und die Strassenmitte wird dann zu einem Paradies für Skater, Läufer und Radfahrer. Links und rechts davon treten unzählige Strassenkünstler auf, talentierte Musiker, und Vortänzer, die Massen in Bewegung bringen, und zwar Menschen jeden Alters- und die haben wahrlich Rythmus im Blut!
Tanzen macht viel Spass und eine gute Figur;)
Capoeira gehört in Brasilien natürlich unbedingt dazu..
Sehr beeindruckend fanden wir auch die beiden Slagline-Akrobaten.
Was auch total schön ist, dass sich dort auch gerne wirklich "schräge Vögel" (meine ich jedenfalls positiv) zeigen.
Bewegung macht hungrig, deshalb gibt es auch köstliche Imbissstände für wirklich jeden Geschmack. Die Köstlichkeiten kann man, falls man keinen Sitzplatz ergattert hat, fast noch besser im direkt an der Strasse liegenden Park geniessen. Denn dort gibt's Schatten und genug Parkbänke.
Ausserdem werden Kunsthandwerk, Schmuck, sowie Antiquitäten angeboten.
An der Avenida Paulista liegt auch das Museo de Arte de Sao Paulo, kurz MASP genannt. Das Gebäude an sich ist schon für sich allein sehenswert.
Die Stadt ist sehr multikulturell. Neben Libanesen und Portugiesen und Deutschen leben hier viele Italiener. Letztere haben die Küche sehr massgeblich beeinflusst. Angeblich gibt es sogar 6000 Pizzerias in SP und - etwas scherzhaft wird behauptet- noch bessere Pizzen als in Italien selbst. Doch hier lebt auch die weltweit größte japanische Community außerhalb Japans, die ein Viertel kulturell besonders geprägt hat, das heute Libertade heißt. Hier findet man neben Meditationszentren, speziellen asiatischen Geschäften auch naturgemäß eine Vielzahl sehr guter japanischer Restaurants. Wir haben ein nettes Lokal gewählt und dort eine Kleinigkeit gegessen. Danach sind wir weiter zum Edificio Martinelli, dem ersten Wolkenkratzer in Brasilien, wo man zu bestimmten Zeiten gratis in den 26.Stock auf die Dachterrasse hochfahren kann, um einen Rundumblick auf die Stadt werfen zu können. Der Himmel war heute ziemlich trüb und diesig, aber von dort oben kann man erst wirklich einen Eindruck für die wahre Größe SP's gewinnen.
Wir sind dann schon frühabends ziemlich erledigt in unser Hotel zurückgekehrt. Morgen fahren wir weiter nach Rio de Janeiro, da gibt's wieder genug vorzubereiten, worüber wir beide im Moment ganz froh sind..... Trotz des schrecklichen Erlebnisses heute ist mir ganz wichtig festzuhalten, dass wir von hier auch die Erinnerung an so viel Lebensfreude, Liebenswürdigkeit und Vielfalt der Menschen mitnehmen und sicher nicht vergessen werden.. NACHTRAG: Das Titelfoto zu diesem Beitrag wurde von mir ganz bewußt gewählt, um den von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen hier auf diesem Blog quasi stellvertretend für alle einen "Raum" zu geben. Wer mich kennt weiß, dass es mir fern liegt, mich über das Leid anderer in den Mittelpunkt zu stellen.Aber ihre Präsenz ist es, die das Bild der Stadt maßgeblich prägt und selbst einem sehr "harmoniebedürftigem" Menschen wie mir, ist es nicht möglich diese schockierende, zutiefst berührende Realität auszublenden. Was ohnedies kaum vermittelbar erscheint, ist das beklemmende Gefühl, das einem als Europäer beschleicht, wenn man mit solchen menschenunwürdigen Lebensbedingungen noch dazu in einem so extremen Ausmaß konfrontiert wird.Auch ich möchte hier viel lieber positive Erfahrungen und Eindrücke teilen. Nach meinem Empfinden wäre das aber eine völlige Verzerrung und Ignoranz und Nichternstnehmen der Menschen, denen man hier begegnet, aber auch der eigenen Erfahrungen.Keinesfalls waren wir natürlich auf so ein extremen Zwischenfall, wie oben beschrieben, vorbereitet.Wie auch?Vielleicht mag es irritierend wirken, dass wir "in Bewegung" blieben. Möglicherweise ist dies schwer zu verstehen, aber wir haben uns zu dieser Reise entschieden- ohne Anspruch darauf, dass uns nur Schönes, Lebendiges, Faszinierendes widerfahren wird. Und ja, selbstverständlich haben die Bilder und Eindrücke, die ich in meinem Kopf habe, etwas gravierend verändert, was schwer in Worte zu fassen ist. Jedenfalls haben wir unsere Aufmerksamkeit den Verhältnissen hier angepasst und vermeiden es nachts in bestimmten Bereichen unterwegs zu sein.Wir haben uns auf diese Reise gemacht, um uns ein Stück weit selbst ein Bild der "Welt", bzw. der Länder, die wir bereisen, zu machen. Die Freude am Entdecken und Kennenlernen wollen wir uns aber erhalten....