Veröffentlicht: 11.03.2022
Eigentlich habe ich 2017 meine letzte Skitour gemacht und bin danach in Ski-Rente gegangen: zu morsch die alten Knochen, zu wenig Knorpel übrig im Knie, zu oft das Wetter schlecht, wenn ich gerade Zeit für eine Tour habe - und der Schnee sowieso. 50 Shades of Scheiß-Schee - den Traumpulver gibt es ja irgendwie nur auf den Werbefotos der Sportartikel-Hersteller und nicht dann, wenn ich unterwegs bin.
Mit meiner alten Schulfreundin Brigitte ist in den Weihnachtsferien die Idee entstanden, mein Sabbat-Halbjahr für ein gemeinsames, langes Wintersport-Wochenende zu nutzen - wann sonst habe ich die Gelegenheit, im März, wenn im Job alles auf Hochtouren läuft, in den Schnee zu kommen. Eigentlich wollten wir Schneeschuhwandern und vorsichtshalber die Tourenski mal mitnehmen, nur so, quasi für den Notfall. Der Termin war lange vorher geplant, die Ferienwohnung im Schmirntal längst gebucht. Was wir nicht absehen konnten, war das stabile Hochdruckgebiet, das seit zwei Wochen über Mitteleuropa hängt und die Menschen im Allgemeinen nicht nur mit Sonnenschein erfreut, sondern die Skitourengeher im Besonderen mit einer ungewöhnlich niedrigen Lawinengefahr.
Uneigentlich ist es keine Frage, dass wir mit Skiern losgehen, direkt am Haus, wie so oft schon zusammen von einer Hütte. Der Schnee ist hart gefroren, -8° meint der Wetterbericht. Wir sind zu faul, die Harscheisen zu montieren und rutschen teils ganz schön herum auf dem steilen Hang. Aber mein Körper weiß noch, wie es geht, wie man Spitzkehren macht und verharschte Flanken quert, wann man die Steighilfe der Bindung hochklappt und in welchem Tempo man gehen sollte, wenn man länger durchhalten will. Ich bin sehr glücklich, dieses Gefühl noch einmal erleben zu können, dieses Gefühl des Sich-Auflösens zwischen Sonne und Schnee, des Verschmelzens mit der Natur um im gemächlichen, gleichmäßigen Rhythmus langsam, aber beständig dem Gipfel näher zu kommen.
Am Gipfel des Rauhen Kopfes, 2150m, machen wir erstmal Brotzeit, bevor wir hinüberqueren zu unserem Zweitgipfel, dem Hohen Napf, 2247m. Die 7 durchtrainierten Steirer, die hier eine Tourenwoche verbringen, sitzen schon in der Gipfelsonne des Hohen Napfes, als wir ankommen, abfellen und die Bindung umstellen von Aufstieg auf Abfahrt. Dabei entgleitet mir ein Ski und rauscht mit noch eingeklapptem Stopper in Falllinie Richtung Tal. Die Steirer beobachten das und einer von Ihnen springt sofort auf, um meinen Ski zu holen, den wir ca 50 Höhenmeter tiefer aus den Augen verlieren. Sehr schnell ist er zu Fuß unten an der Baumgruppe und bleibt dort stehen: zum Glück hat sich mein Ski dort verfangen und wurde gestoppt. Wenig später ist er wieder oben und ich nehme etwas verlegen meinen geretteten Ski entgegen.
Wir bleiben lange in der Sonne sitzen, unterhalten uns noch ein bisschen mit den Steirern und fahren erst ab, als sie außer Sichtweite sind. Ich möchte mich ob meiner langen Skipause und der Ungewissheit, ob ich meine Ski nicht doch runtertragen muss, nicht noch weiter blamieren. Brigitte fährt in flotten Schwüngen ab und wartet geduldig, bis ich mich durch den Harsch hinunter gearbeitet habe. Völlig geschafft, aber ebenso glücklich komme ich heil unten an der Ferienwohnung an.
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