2017 VespamerikasuR 2019
2017 VespamerikasuR 2019
vakantio.de/vespaamerikasur

ab 21.01.: Pomerode / SC

Veröffentlicht: 22.01.2019

21.01.:

mein hostelsenor führte mich gestern auf die straße vor seinem haus. ich wusste erst nicht, was er von mir wollte, aber dann zeigte er mir ein loch in seiner straße und auf ein gerissenes kunststoffrohr, durch das das von den bergen kommende wasser mit hochdruck - einem springbrunnen gleich - herausspritzte. das ist sauberes wasser!, betonte er.
er hat schon einige von diesen achteckigen pflastersteinen draufgelegt, um den strahl so zu steuern, dass er nicht den rest der stark abschüssigen straße unterspült. mein erster gedanke: ein sanitärnotdienst, die polizei oder die feuerwehr.
die antwort lautete lapidar: vacaciones, verlängertes wochenende. und er fügt hinzu: das ist brasilien...

vielleicht tat mir das zurückholen in die brasilianische gegenwart ganz gut. denn ich habe mir in den zwei tagen doch immer mal wieder die frage gestellt: warum reden die denn alle portugiesisch? wir sind doch - nein! wir sind in brasilien - nicht in rinteln oder bayreuth.

lass es damit gut sein. fahre weiter in den süden. verlasse santa catarina und komme wieder in südamerika an! deswegen bist du doch hier. deutschland hast du, wenn du zurück bist, genug.
aber das bayrische magst du doch auch...,
kommt zögerlich zurück

aber da ist dieses pomerode. die brasilianer sprechen es pomerodschi aus. und das ist eine kleinstadt mit vielleicht 30 tsd einwohnern. und der spiegelartikel "pommern unter palmen" hat mir doch suggeriert, dass es dort ganz anders sei, als in blumenau, dass die deutsche tradition auch im alltag gelebt würde, es heute noch - zwar auf freiwilliger basis - deutschunterricht in den schulen gäbe.

pomerode, das auch im europäischen tal liegt, ist nur 30 km von hier entfernt. ich entscheide mich, dort eine nacht zu verbringen. ein halber tag reicht, um einen eindruck zu bekommen. dann bloß weg...

das ist der plan...

etwas sorge hat mir meine abfahrt bereitet. soll sie genauso kompliziert werden, wie meine ankunft hier? bevor der hostelsenor mich zu dem loch geführt hat, habe ich ihn gefragt, ob er denn am montagfrüh sein auto aus der garage fahren könne. so wäre es für mich einfacher, die vepse zu packen. selbstverständlich! so ist die heutige abfahrt nicht schlimm.

mittlerweile ist der springbrunnen versiegt und ein 70iger verbindungsstück eingebaut. auch das ist ein interessantes phänomen in südamerika. die verlegten rohre haben genau diesen durchmesser. nicht etwa 100 oder 110. das führt dazu, dass neben jedem klo ein eimer - mit etwas glück mit deckel - steht. die rohre würden sofort hoffnungslos verstopfen, wenn das papier nicht in den bereitstehenden eimer geworfen würde.

die umgewöhnung zuhause - nach meiner ersten rückkehr -  war schon eine gewisse herausforderung. da stand kein eimer...

wolkenloser himmel. etwas wind. die temperaturen sind noch unter 30 grad. das frühstück entspricht dem hostelpreis und ist immer der aufguss vom vortag... aber wenn das weissbrot getoastet ist, dann dominiert es den margarinegeschmack. der kaffe ist wenigstens heiss.

ich bewege mich derzeit in der welt von sebastian fitzeck, der mich mit seinem psycho-thriller total fesselt, in der brasilianischen und in der deutschen welt. entweder ich lösche das buch von meinem reader und konzentriere mich ausschließlich auf diese welt - oder ich lasse mich weiter fesseln. ich komme nicht von ihm los.
ich habe zeit, denke ich. in maximal zwei stunden bin ich am zielort und begebe mich während ich meinen nicht mehr ganz heissen kaffee trinke in die pathologie und zu dem gerichtsmediziner, der auf rache sinnt...

aber dann reisse ich mich los, packe, fülle öl und benzin nach und fahre los. die straße ist stabil und nicht von den wassermassen vollends unterhöhlt.

es ist zwar nicht das holstentor, das ich bei meiner ankunft in pomerode durchfahre, aber ich werde daran erinnert.

kopfsteinpflasterstraßen, bungalows mit gemähten großen rasenflächen, frisch verputzte, zweistöckige häuser mit balkonen und bayrisch anmutenden dächern mit großen dachüberständen. auch die rasenflächen auf spielplätzen und parks sind getrimmt, sogar die abfallkörbe haben ein eigenwilliges design mit schmiedeeisernen elementen und den fahrradfahrern gehört eine eigene, rot angepinselte spur auf den bürgersteigen.

deutscher perfektionismuss

ich fahre an einer konditorei vorbei, die sich "tortenparadies" nennt, an einem schokoladenladen, ich komme beim "wunderwald" vorbei, bin neugierig und will dort mittagessen, werde aber von lederhosentragenden kellnern abgeschreckt und fahre weiter und komme schließlich bei schroeders restaurant an. ein sehr gepflegtes haus, schilfgrüner putz mit weiss abgesetzten fensterrahmen. es gibt einen parkplatz "nur für gäste" im hof. zwar habe ich noch keinen hunger, aber ich weiss, wenn nicht jetzt, dann muss ich den restlichen tag auf gesunde kost verzichten.

als ich die gaststube betrete, habe ich in sekundenschnelle mehr als 10 tsd km zurückgelegt und befinde mich im bayrischen rosenheim.

vierer und sechsertische mit weissen tischdecken und tischnummern, deren holzummantelung mit edelweissmotiven verschönert ist. an den wänden hängen stilleben mit blumenarrangements und schwarzweissfotos von der zeit, als bei schroeder alles anfing.

ich finde das buffet wie in jeder cantinha auch. und auch hier reichhaltig mit allem, was das herz begehrt. hier gibt es sogar schwäbischen kartoffelsalat und zum nachtisch vanlillepudding mit mirabellenkompott!
was es in rosenheim nicht gibt ist der frischgepresste zitronensaft. während ich mich am buffet gütlich tue bekomme ich gesprächsfetzen mit, die mich doch wieder in die rosenheimer gaststubengemütlichkeit zurückholen. ich höre deutsche worte. ganze sätze und sogar eine unterhaltung. etwas bayrisch ist auch dabei.

ich begebe mich zu meinem tisch, werde nur kurz beäugt und bestelle meinen zitronensaft auf deutsch. vorher frage ich aber noch, ob der kellner deutsch spricht. ein kehliges aber sicher kommt zurück.

wo bin ich hier?

der herrenclub unterhält sich über das wochenende und über die erlebnisse während des pomeroder sommerfestes. touristen sind es keine. als drei von ihnen aufstehen kommt die frage: müsst ihr noch was schaffe?

ich bestelle noch einen kaffee mit milch - auch wieder auf deutsch - werde ausgesucht höflich bedient und bemerke, dass die sprache zwar deutsch ist, der wortschatz aber weit vor unserer zeit liegt. die einzige möglichkeit, die sprache anzupassen ist die deutsche welle. die hört mein bäcker aus sao francisco... sonst aber fehlt es an gelegenheiten, den eigenen wortschatz zu modernisieren.
ich bezahle später und fühle mich doch schon etwas erleichert, als ich rosenheim verlassen darf.

selbst der tankwart, den ich nach dem weg zu meinem hostel frage, antwortet mir auf deutsch. hört das denn nicht auf? schießt es mir durch den kopf.
ein zwiespältiges gefühl: auf der einen seite ein nachhausekommengefühl, auf der anderen aber ein unwillen darüber, dass es aber noch viel zu früh für das nachhausekommengefühl ist.

als ich mein hostel erreiche, befinde ich mich plötzlich in der baden württembergischen landeshauptstadt. nicht im kessel, sondern am rand mit blick auf  - pomerode. das schmiedeeiserne einfahrtstor öffnet sich selbsttätig, als ich den klingelknopf drücke, der in einer hohen, ockerfarbenden mauer eingelassen ist. vor mir breitet sich silbergrauer, in der sonne funkelnder schotter aus, vor dem meine 12 zoll räder großen respekt haben. wie schnell kann es passieren, dass sie aus der spur kommen. das haus ist ein sehr gepflegtes, mit weissen sprossenfenstern und terassentüren versehenes haus, auch im ockerton gestrichen und mit einem balkon. der rasen ist dunkelgrün und frisch gemäht. etwas verschwommen erkenne ich ein swimmingpool.

der hostelsenor ist vielleicht ende sechzig und erst seit 20 jahren in pomerode. auf den zweiten blick erkenne ich, dass er hier auch seine kanzlei hat. er hat sich auf kriminal, zivil- und arbeitsrecht spezialisiert und führt als nebeneinnahme noch das hostel. es trägt den bezeichnenden namen "Paradies" - nicht paraiso...

eigentlich weiss ich jetzt schon, dass eine nacht zu wenig ist.

22.01.:

szenenwechsel.

knapp 24 stunden bin ich hier und der akklimatisierungsprozess ist nahezu abgeschlossen.

pomerode empfängt mich mit offenen armen und will mir anscheinend sagen: so schnell lassen wir dich nicht gehen.

luxus pur!

antonio, mein hostelchef verkündet mir heute morgen, dass mein zimmer schon verbucht sei, tätigt für mich zwei anrufe, und nur eine halbe stunde später befinde ich mich in der pousada MAX. ein haus aus den späten 20igern des 20. jahrhunderts.  früher war es eine apotheke. dunkle dielen, hohe decken, ein großzügiges treppenhaus, eine schmale treppe mit ausgetretenen stufen.mein zimmer hat ein fenster und eine balkontür, die tatsächlich zu einem balkon führt, der mich in den garten blicken lässt. ein großzügiges bad - auch mit fenster! ich habe 2 nächte gebucht für sage und schreibe 28 euro pro nacht! wer hätte da nein sagen können und wäre gleich weiter nach rio do sul gefahren?

rückblende:

nach der siesta in antonios ruhigem haus treibt es mich nach draussen. auf einem verkehrsübungsplatz (!), nicht weit vom haus dreht ein fahrschüler seine runden. 

zwar drückt die sonne vom himmel, aber die neugierde lässt sich davon nicht bremsen. es ist halb fünf. zwar ist es noch viel zu früh dafür, aber ich habe lust auf ein gezapftes pils von der hiesigen schornsteinbrauerei. blumenau hat sein eisenbahnbier und pomerode seine schornsteinbrauerei.

ich verlasse irgendwann die prachtstraße und erwarte die südamerikanische realität in den nebenstraßen, aber weit gefehlt. gemähter rasen, gepflegte gärten und häuser, bepflanzte balkonbrüstungen und geranien, die noch am anfang ihrer blüte stehen.

an mir vorbei holpert eine bunt geschmückte kutsche mit einem zweiergespann.

wenig später, als ich mein bier vor mir stehen habe, fährt ein alter, auf hochglanz polierter ford-lkw vorbei und mehrere oldtimer jeeps.
ist es eine hochzeit? aber dann fällt mir ein, dass heute der letzte tag des pomeroder sommerfestes ist. vielleicht ein umzug?

ich bezahle und lasse mich zum "pavilhao de cultura" navigieren.  ich stelle sehr schnell fest, dass ich mich auf der route des festumzuges befinde.

und dann fällt mein blick auf eine lambretta. eine? bestimmt 3 oder vier und dann noch zwei vespen! eine mit anhänger, auf der ein bierfass steht, das für ein frisch gezapftes an eine fußpumpe angeschlossen ist.
die mitglieder dieses vespaclubs tragen zwar keine lederhosen, müssen aber karierte hemden tragen.  ich komme mit zwei älteren vespafahrern ins gespräch, die mir die dollsten geschichten von aufgesägten motorblöcken erzählen, damit ein größerer zylinder eingebaut werden kann. jetzt fährt sie 140 km/h!! beide sprechen gut deutsch, und wie es immer so ist, sie erzählen mehr, als ich. wir müssen hier rauchen, erklärt mir mein gesprächspartner, der eine eine altertümliche pfeife zwischen seine lippen klemmt. egal ob pfeife, zigarre oder zigarette. es muss qualmen.

aber soweit kann ich durchdringen, dass sie ihren anderen kumpels von meiner südamerikadurchquerung erzählen. ich zeige meinen blog und einige fotos von der vollbepackten vepse. große resonanz ernte ich nicht. das liegt vielleicht daran, dass der wortschatz für fragen etc nicht ausreicht?
im vergleich zu ihren urgroßvätern ist meine vepse noch grün hinter den ohren. das wäre es doch, wenn ich sie schnell holte und mich dem konvoi anschlösse. die erlaubnis hängt von einem hemd und hosenträgern ab. wenn ich so etwas hätte, könnte ich mitfahren. ohne geht einfach nicht. schimmert da etwa deutsche bürokratie und engstirnigkeit durch?

bestimmt hätte mir auch der passende kopfschmuck gefehlt

es ist 19 uhr. der zug setzt sich in bewegung. ich eile voraus, um die vespen bei ihrer ankunft gut im bild zu haben.

handgepumptes pils vom fass auf einer vepse mit anhänger
lambrettas und vepsen

aussetzer?
unterschiedliche spielmannszüge in lederhosen und dirndels spielen auf, kindergärten und schulen sitzen auf geschmückten wagen, die kids teilweise schüchtern, teilweise wie die profis winkend, wenn sie merken, dass smarties auf sie gehalten werden.

die begeisterung kennt keine grenzen


der funke ist übergesprungen

das bayrische brauchtum pflanzt sich fort

das saiteninstrument wird hier teufelsgeige genannt

schon bald befinde ich mich beim eingang zum messegelände. ich vermute, dass ich eine eintrittskarte benötige und schaffe mich vor bis zur billeteria, werde aber sofort von einem securitymann gestoppt. auch hellhäutig mit kariertem hemd und lederhose bekleidet. er bedeutet mir ein no go und ich verstehe, dass erst dann einlass geboten wird, wenn der umzugszug angekommen ist. ich werde rumgeschubst und dann bildet sich eine kette der security-leute, um dem ansturm der auf das gelände strebenden menschenmasse gewappnet zu sein. ich schlängele mich durch und bekomme nur einen kleinen zettel in die hand gedrückt. eintritt muss ich nicht bezahlen...

ich entdecke eine kasse und begreife sehr schnell, dass es hier die bons für das bier zu kaufen gibt. ein bier kostet umgerechnet 2,50 euro! es gibt fressstände, die deutsche kost anbieten. ich wähle spätzle und stärke mich. dann gehts ins getümmel. die hohe dach ist mit blauweissen girlanden geschmückt. es gibt mehrere bühnen und tanzflächen. jetzt überwiegen lederhosen, karierte oder weisse oberhemden, wollsocken und dirndel in den unterschiedlichsten kombinationen. mir fällt auf, dass es nur wenig typisch brasilianische gesichter gibt. aber wenn ich sie entdecke sind sie genauso, wie ihre deutschen mitbewohner dem oktoberfestgetümmel verfallen. denn nichts anderes ist das hier. ein kleines oktoberfest, das den blumenauern handfeste konkurrenz bietet. die pomeroder pflegen das deutsch-bayrische brauchtum.

...die holzhacker buam
außer rand und band

so wie bei uns die karnevallisten das jahr über ihre büttenreden und tänze einstudieren oder ihre festwagen schmücken oder schwellköppe bauen, gibt es auch hier vereine, die sich mit nichts anderem beschäftigen, als mit der vorbreitung der 5. und 6. jahreszeit. und das merke ich. es gibt die holzfällerbuam genauso wie die männlichen tänzer, die sich mit schmackes und im takt zur musik auf ihre oberschenkel klopfen. dazu musik von den spielmannszügen -  ganz so wie in rosenheim oder bayreuth.

aber sie reden portugiesisch miteinander!!

ein szenario tut sich auf:

ich versetzte mich zurück in die 60iger jahr, als deutschland händeringend "gastarbeiter" brauchte. nichts anderes hat der brasilianische kaiser pedro mitte des 19. jahrhunderts getan. ich stelle mir weiter vor, dass unsere neuen mitbewohner aus dem norden spaniens oder italiens kommen und in die strukturschwachen gebiete geschickt werden. sie siedeln sich dort an, gründen kleinere und mittlere unternehmen, schaffen wirtschaftskraft und arbeitsplätze. das führt dazu, dass deutsche angezogen werden, die dort arbeiten wollen. und nun der vergleich: sie bekommen nur einen arbeitsvertrag ausgehändigt, wenn sie spanisch oder italienisch können... sie ordnen sich unter, passen sich der spanischen und italienischen kultur an, lernen flamenco tanzen, spaghetti- oder pizzarezepte und paella kochen...

in einer doku auf youtube hat es ein deutschbrasilianer auf den punkt gebracht: ich hatte einen schwarzen, der bei mir die platten gelegt hat. natürlich musste er deutsch können, sonst er den auftrag nicht bekommen. er würde hier kein bein auf den boden kriegen...

alter schwede!, war die antwort des reporters.

das sommerfest feiert übrigens ein 60ig jähriges jubiläum. 1959 erhielt pomerode seine selbständigkeit und gehört seit dem nicht mehr zu blumenau.

zurück in die gegenwart:

der heutige tag ist vom blog bestimmt. so viele eindrücke, so viele gedanken. das tagebuch ist für mich eine lebensnotwendigkeit. die erlebnisse und begegnungen muss ich aufschreiben, sonst würde ich ersticken und bald nicht mehr wissen, wo ich was erlebt und wo ich was gedacht habe.

schade, würde viellleicht jeder andere in meiner situation denken. das kann er doch später machen. sitzt in seinem kämmerlein und schreibt blogs. während draussen das leben "tobt". warum macht er diese tour? um blogs zu schreiben? ja - diese gedanken kommen mir auch immer wieder. aber ich bemerke das gefühl des erstickens, wenn ich nicht die tasten meines labtops malträtieren kann.

so ist es nach einer verdienten siesta schon wieder 17 uhr,  als ich diese pousada verlasse. mich treibt es zu den einwandererhäuschen, die für ein museum wieder aufgehübscht wurden. klar:  sie schließen um 17:00 uhr und sind geschlossen. ich setze mich auf die treppe zu einer der veranden und schaue in den garten, der mich umgibt. ich fahre mental  runter und bin in der gegenwart angekommen. gucken, gucken, auf die geräusche hören, das licht beobachten - immer mit dem gefühl verbunden: wo bin ich? ich erinnere mich an meine reise mit heiko und eddo nach danzig, an unsere reise nach breslau. ich fühle mich jetzt nicht mehr in bayern.

auf meiner fahrt mit der vepse durchfahre ich ein tal. an den hängen sehe ich  baustile, die ich von zu bause kenne, die mir aber auch in polen begegnet sind. dann wieder erinnere ich mich an kufstein, an thiersee, an bayern. ich fahre an einem sägewerk vorbei, von denen es im kufsteiner land - und nicht nur dort - viele gibt - ich sehe kirchtürme mit kleinen kirchen und friedhöfe an den hängen. das nachmittagslicht gibt der ganzen szenerie noch etwas besonderes. das grün der gemähten oder abgefressenen wiesen wirkt intensiver, die farben der häuser auffälliger und dann sind da die kleinen siedlerhäuschen. sie werden bewohnt. alte schuppen, die sich hinter ihnen - vielleicht etwas verschämt ob ihres zustandes - verbergen, werden benötigt für holz und kohle. das widerum erinnert mich an ostfriesland. und wieder, immer wieder die frage: wo bin ich hier? südamerika ist sooo weit weg! das kleine deutschland - lese ich auf plakaten, die für das europäische tal werben. es sind die deutschen, die aus ihrer angestammten heimat vertrieben wurden. es sind die, die das feindbild der siegermächte in sich tragen.

und trotzdem - von der schönen nachittagsstimmung verführt - stelle ich mir vor, wie es wäre, hier zu leben. die natur ist noch jungfräulich - für meinen blick jedenfalls - hier ein kleines siedlerhäuschen kaufen, eddo und heiko zu einem anderen lebensmodell überreden. es sind träume, die mir aber zeigen, was in meinem innersten für bilder wachsen. auch vor dem hintergrund, dass für heiko bald ein neuer lebensabschnitt beginnt... ich denke dabei an sein grafschafter häuschen, das dem der siedlungshäuser zum verwechseln ähnlich sieht. ich denke aber auch an karin und an meine gegenwart.

ich biege die nächste möglichkeit links ab. hier begann das neue leben der imigranten. ich fahre weiter und komme bald auf einen schotterweg. links und rechts von mir begegnen mir bewaldete hänge, aber nur wenige meter von mir sehe ich maisfelder. zwar nicht viele und sicherlich nicht für den industrielllen verbrauch gedacht - aber es könnten mehr werden.

bewaldete hänge. viel land. viel platz. viel ruhe.

ein frisch gepflügter acker im nachmittagslicht

ein kleines maisfeld - nur für den privaten gebrauch

ich fahre wieder richtung pomerode, als mir ein plakat mit einem käfer aus den 50iger jahren begegnet. ich fahre zurück. die werkstatt ist geschlossen, aber - wie ich später beim aufrufen ihrer website feststelle, verkauft sie ersatzteile für käfer, variants, bullis aller baujahre- zu einem für uns annehmbaren preis. eine nicht  ganz legale geschäftsidee, der auch nur eine recht kurze existenz beschieden ist, flackert auf. ich frage die käferrestauratoren in ritterhude, welche teile sie brauchen. ich bringe sie mit...ob es das gaspedal ist, das kein pedall, sondern eine rolle hat, ob es die haltegurte für die beifahrer sind, die oberhalb der türholmen befestigt sind, ob es der schaltarm ist oder das lenkrad mit der wolfsburg in der mitte... es wird sicherlich bei der idee bleiben.

ich mache dann doch noch einmal halt bei einer kleinen kirche. sie ist geöffnet und gibt der gemeinde geborgenheit. die bemalung wirkt auf mich etwas kitschig, aber das maß aller dinge hier ist die gemeinde. ich besuche den friedhof, der auf den ersten blick recht sachlich wirkt. er wird nicht von großen bäumen geschützt. er ist der südamerikanischen mittags- und abendsonne ausgeliefert. ich schaue mir die grabsteine an, lese deutsch klingende namen, errechne stattliche lebensjahre und komme zu den gräbern, die kleiner sind. sie liegen nebeneinander und machen den eindruck, dass es viele sind. hier liegen babies und kinder, die den tag ihrer geburt oder nur ihre ersten jahre erlebt haben. ein todesdatum fällt mir auf, das den 25.12. trägt. was für schicksalsschläge!

das nervige kopfsteinpflaster erinnert mich daran, dass ich wieder im geltungsbereich von pomerode bin. der kartoffelsalat von heute mittag nagt an meiner kehle und lechzt nach einem gezapften bier. der himmel bezieht sich. es könnte regen und ein gewitter geben. ich stelle die vepse in meiner pousada max ab und sitze wenig später mit meinem e-reader und sebastian fitzeck in einem biergarten. die pomeroder erholen sich von den strapatzen des wochenendes. hier ist niemand. so kann ich guten gewissens in die schreckenswelt der psychopathen und gerichtsmediziner abtauchen.

mein fazit dieses tages: ich reise gerne mit mir.

23.01.:

die glocken der nahen kirche wecken mich um 06:00 uhr. was für ein wohlklang!

das thermometer hat sich in den letzten tagen gut benommen. aber nun sind es heute wieder 36 bis 37 grad. mit dem ansteigen der temperaturen fällt der energiepegel.

lesen, schreiben, schlafen. morgen geht es weiter südwestlich in die berge nach rio do sul, das im vergangenen september unter argem hochwasser litt. die hotelpreise sind dort mehr als moderat! knapp 20 euro für eine nacht mit frühstück und wifi!!

womit verdient sich aber pomerode sein geld? über 50 tsd menschen müssen ihr auskommen finden. und so wie die stadt sich gibt, muss sie über beträchtliche steuereinnahmen verfügen.

es gibt hier schon seit den 1930iger jahren einen zoo, es gibt ein theater, neben der messe halle auch noch einen kulturpavillon und es gibt die haushaltsmittel, um das städtchen in schuss zu halten. die gartenanlagen sind gepflegt, die straßen ohne schlaglöcher, die bürgersteige ohne stolperfallen und immer wieder hingucker zu schönen fassaden.

das geheimnis lüften drei platzhirsche der industrie: bosch rexroth hat sich hier schon in den fünfzigern niedergelassen, baut pumpen für die ölförderung. und beschäftigt ca. 400 mitarbeiter. wichtigster kunde sei die petrobas. ein industrieanlagenhersteller  - familiengeführt - aus oberfranken, der sich hier in den 70iger jahren angesiedelt hat, beschäftigt 600 mitarbeiter und der dritte im bunde ist die firma a. schmidt, die sich mit der porzellanherstellung beschäftigt. sie produziert hier seit 1945.

die kleineren unternehmen - vorwiegend handwerk und gewerbe - sind auch emsig dabei. hier wird gerne gefeiert, aber auch gearbeitet.

der tourismus trägt auch sein schärflein dazu bei und dafür sorgt die gemeinde. das pomeroder sommerfest, das oktoberfest und das osterfest werden hier gefeiert.

gestern morgen habe ich den angelhaken ausgeworfen. ich kam mit der enkelin des apothekers ins gespräch und habe ihr meinen blog gezeigt. sie spricht ganz gut spanisch, so dass die verständigung besser ging, als sonst. zum ende unseres schwätzchens habe ich ihr gesagt, dass ich hier gerne deutschunterricht geben, oder aus deutschen büchern vorlesen würde, um für die einheimischen das deutsch zu schulen und den sprachschatz zu aktualisieren. wenn daraus was geworden wäre...

liebevolles hand- und kunstwerk

das ist kein privater vorgarten. das ist "gemeindegut", das von ihr in schuss gehalten wird.

ich wurde in den letzten tagen immer wieder mit meinem persönlichen "deutschtum" konfrontiert. andersherum gesagt: die improvisationen, die mich seit meiner tour begleiten - ob bei der ersten oder auch bei der zweiten etappe - habe ich nie so richtig für mich realsiiert. das ist halt südamerika. aber wenn mir dann so etwas wie pomerode begegnet, dann wird mir das defizit so richtig bewusst. wie ein ausgetrockneter schwamm saugt sich meine seele mit diesen positiven eindrücken voll. ob es der individuell gestaltete müllbehälter auf der straße ist oder die bepflanzten beetrabatten entlang der bürgersteige oder auf den verkehrsinseln. ob es das kunstvoll geschmidete handwerk ist, das den geschäften hier einen namen gibt, die dächer, die nicht mit billigem wellblech, sondern mit schwalbenschwänzen wie im ländle gedeckt sind - mein blick hat sich geändert und will nur ungern davon lassen.

dort wo in den anderen städten, die ich bereist habe, die klimaanlagen vor sich hin tropfen und den sockel der häuser demolieren - hier sorgen plastikschläuche für den kontrollierten abgang des wassers. die geranien freuen sich über diese stetige wasserzufuhr.

jetzt bin ich gespannt, wie groß der kulturschock sein wird, der mich in rio do sul erwartet.

langsam sollte ich wieder in südamerika ankommen.



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